Bevölkerungsentwicklung im Kreis Ahrweiler Stadt, Land, Flucht?

HOLZWEILER · "Ich kann mir nicht vorstellen, in den nächsten Jahren wieder aufs Land zu ziehen." Das sagt Studentin Selina aus Holzweiler. "Ich studiere in Würzburg und habe dort viele Möglichkeiten, die ich in meinem Heimatort nicht habe."

Schnell mal eben mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn ins nächste Café fahren? In einem Dorf auf der Grafschaft nahezu undenkbar. Besonders aber die beruflichen Perspektiven ziehen junge Menschen von kleinen Ortschaften in die großen Städte. Auch Ortsvorsteher Wilhelm Dreyer sagt: "Die Arbeitsplätze im Ort sind äußerst begrenzt."

Der wesentliche Grund für die "Smartphone-Generation", nach der Schulausbildung die Koffer zu packen, ist jedoch das Studium. "Immer mehr Kinder erreichen einen höheren Bildungsabschluss, die entsprechenden Ausbildungsstätten gibt es bei uns nicht", so Dreyer.

So zog es die 21-jährige Studentin Anne von ihrem Holzweiler Elternhaus an die Universität im rund 200 Kilometer entfernten Landau in der Pfalz. Sie sagt: "Mir blieb doch nichts anderes übrig. Wenn ich studieren möchte, noch dazu Sonderpädagogik, muss ich wegziehen." Ein Zurückkehren in die alte Heimat kann sie sich aber "durchaus vorstellen". So ähnlich geht es vielen ihres Alters, die wegen ihres Studiums oder Ausbildung der gewohnten Umgebung den Rücken kehren.

Friseurin Marina Sonntag aus Esch dagegen schloss ihre Ausbildung in Rheinbach ab. Anschließend zog es sie für die Meisterschule nach Köln: "Es war schön, dort für eine gewisse Zeit zu leben. Man ist schon sehr flexibel, und eine Stadt wie Köln hat viel zu bieten." Dennoch wohnt sie heute wieder in einer Wohnung direkt neben ihrem Escher Elternhaus. Dort will sie ihren eigenen Salon eröffnen. "Besonders wegen meiner Freunde und Familie bin ich zurückgekommen. Die im Vergleich niedrigen Mietpreise spielen aber auch eine Rolle", sagt die junge Meisterin.

Trotzdem: Landflucht ist in. So prognostiziert auch das statistische Landesamt in Bad Ems für den Kreis Ahrweiler langfristig sinkende Einwohnerzahlen. Der Zenit mit knapp 131 000 Bürgern im Jahr 2004 ist längst überschritten. Aktuell sind es rund 127 000.

Ob es die beruflichen Perspektiven oder das Großstadtleben selbst ist, das die jungen Menschen bewegt, ihre sieben Sachen zu packen, ist schwer zu sagen. Marc Sonntag aus Esch, Präsident des Junggesellenvereins und Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr, ist sich sicher: "Die Gemeinschaft, wie sie es hier auf dem Dorf gibt, findet man in der Stadt nicht. Deshalb bleibt auch der Großteil meiner Freunde auf dem Land wohnen."

Allerdings sei das bei Schulkameraden, mit denen er sein Abitur gemacht habe, anders. "Ich denke, von denen werden viele in Großstädte gehen, um zu studieren." Generell käme es ganz auf die individuellen Zukunftswünsche an. Ansonsten jedoch stellt der junge Mann mit Bedauern fest: "Die traditionellen Feste wie das Maibaumaufstellen oder die Kirmes sind schon lange nicht mehr das, was sie mal waren. Man kann froh sein, wenn 200 Leute kommen." In Holzweiler ist der Junggesellenverein hingegen schon seit einigen Jahren eher in Ruhestellung. Dass es auch anders geht, zeigt der Holzweiler Möhnenverein. Mit 21 Frauen gibt es dort so viele aktive jecke Wiever wie noch nie. Auch die Freiwillige Feuerwehr Holzweiler-Esch klagt nicht über Nachwuchsmangel, hat erst im vergangenen Jahr "Mädels als Verstärkung" bekommen. Dennoch geht die Beteiligung am Vereinsleben zurück. Die Besucherzahlen der Feste dito.

Olympia Gäb aus Holzweiler, zweite Vorsitzende des Möhnenvereins und Leiterin der ortseigenen Tanzgruppe "Europe", erklärt das so: "Viele Zugezogene kennen unsere Traditionen nicht oder wollen nichts damit zu tun haben. Das schädigt die Gemeinschaft. Daher liegt es an den jungen Generationen, sich zu engagieren und das Dorfbrauchtum zu pflegen."

Denn das sei es, so sind sich alle einig, was das Leben auf dem Dorf auszeichne. Friseurmeisterin Marina Sonntag zieht ihr eigenes Fazit: "Dorf ist nicht gleich Dorf. Wir haben hervorragende Anbindungen an die Autobahn und sind in kurzer Zeit in Bonn, Köln oder auch Koblenz."

Ortsvorsteher Dreyer gibt die Hoffnung nicht auf. Er beobachtet die Entwicklung, dass viele "Städteausflügler" mit neuen Partnern oder dem Wunsch, ein Haus in der Heimat zu bauen, wiederkommen: "Schließlich sind wir ein guter Ort zum leben."

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