Auch im AW-Kreis: Angriffe auf Sanitäter Wenn Helfer zu Opfern werden

KREIS AHRWEILER · Immer öfter werden Helfer, die am Unfallort ankommen, dort von Passanten oder Angehörigen bedroht. Das Rote Kreuz im Kreis Ahrweiler finanziert jetzt Selbstverteidigungskurse für gefährdete Rettungssanitäter.

Auch im AW-Kreis: Angriffe auf Sanitäter: Wenn Helfer zu Opfern werden
Foto: DRK Ahrweiler

Kaum zu glauben, aber wahr: Rettungssanitäter des Roten Kreuzes absolvieren jetzt Selbstverteidigungskurse, weil sie bei Einsätzen vermehrt angegriffen, geschlagen und angepöbelt werden. Seit einigen Jahren kommt es immer öfter vor, dass ohne Grund vor allem Schaulustige an Einsatzstellen aggressiv gegenüber Rettungskräften werden. „Die Respektlosigkeit uns gegenüber hat dramatische Ausmaße angenommen. Unverschämtheiten und Handgreiflichkeiten häufen sich“, so das DRK im Kreis Ahrweiler. Der Kreisverband führte nun eine spezielle Fortbildung zur Deeskalation und notfalls auch zur Selbstverteidigung durch.

Gaffer-Selfies am Einsatzort, Foto- und Videoaufnahmen per Smartphone vom Unfallort, genutzt als „Liveübertragung“ in die Welt der Social-Media: Die Rettungskräfte an Unglücksstellen haben es zunehmend mit Verrohungen und Charakterlosigkeiten zu tun. Im Auftrag der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen verfasste die Ruhr-Universität Bochum eine Studie zu dem Thema „Gewalt gegen Rettungskräfte im Einsatz“. Das erschreckende Ergebnis: 98 Prozent aller Rettungskräfte in NRW haben bereits verbale Gewalt erlebt, 59 Prozent berichten sogar von einem aggressiven Übergriff. In Rheinland-Pfalz sieht das kaum anders aus, bestätigt Thorsten Trütgen, Pressesprecher des DRK-Kreisverbandes Ahrweiler. Die häufigsten Attacken gegen die Rettungsdienstler äußern sich demnach in Abwehren, Wegschubsen, Anspucken – und schlimmsten Pöbeleien. Dabei treten allerdings nicht nur Schaulustige als Aggressoren auf.

„Am schlimmsten sind alkoholisierte und unter Drogen stehende Opfer, die kennen oftmals keine Hemmschwelle mehr“, so Trütgen. Seine Kollegen vom Bayerischen Roten Kreuz im Nürnberger Rettungsdienst haben sich sogar schon auf eigene Kosten Stichschutzwesten zugelegt, um gegen Messerattacken gewappnet zu sein. Die hat es im Kreis Ahrweiler zwar noch nicht gegeben, Handgreiflichkeiten hingegen sehr wohl. Beispiel: Remagen. Zwei Männer im Alter von 22 und 29 Jahren behinderten dort einen Einsatz, bei dem es um Leben und Tod ging. Einer der Männer stellte sich zunächst in den Fahrweg des Rettungsfahrzeuges und schlug anschließend auf die Motorhaube. Als die Rettungssanitäter ausstiegen, wurden sie tätlich angegriffen.

Andreas Müller, Trainer im Ju-Jutsu Club Tanaka Rieden mit viel Erfahrung in der Selbstverteidigungsausbildung, leitet derzeit die Fortbildung der Ahrweiler Rettungskräfte. Unterstützt wird er dabei von seiner Tochter Kathrin, die ebenfalls seit vielen Jahren im asiatischen Kampfsport aktiv ist.

Thorsten Brustmann, Mitarbeiter im DRK-Rettungsdienst und in seiner Freizeit ebenfalls Ju-Jutsu-Sportler, brachte seine Erfahrungen als Rettungskraft in die Fortbildungsvorbereitung ein. „Dadurch wird natürlich ein sehr guter Praxisbezug für die Kollegen gewährleistet“, so Trütgen. Rund 60 Rotkreuzmitarbeiter und somit zwei Drittel des im Rettungsdienst des DRK im Ahrkreis tätigen Personals nehmen an den Fortbildungswochenenden teil. Der Schwerpunkt der Kurse liege in der Deeskalation. „Eine energische und laute Ansprache müssen manchmal auch gestandene Männer erst lernen“, erklärt Trainer Müller.

Oft sei das richtige Auftreten ausreichend, um sich in kritischen Situationen Respekt zu verschaffen. Sollte es dennoch zu Übergriffen auf die Retter kommen, werden zum Eigenschutz Fallübungen, Grundkenntnisse der Angriffsabwehr und für absolute Notfälle auch Selbstverteidigungstechniken der asiatischen Kampfsportart Ju-Jutsu vermittelt. Trütgen ist sich sicher: „Die neuen Kenntnisse wirken sich auf das Selbstbewusstsein und das sichere Auftreten der Einsatzkräfte aus und tragen somit zur Deeskalation bei.“

„Seit vielen Jahren sind Übergriffe gegen Rettungskräfte ein zunehmendes Problem“, erklärt DRK-Kreisgeschäftsführer Frank Trömel, wie diese Fortbildung zustande kam. Dabei gehe es keinesfalls um krankheitsbedingte Tätlichkeiten.

Trömel: „Dass Menschen mit psychischen Erkrankungen auffällig oder Angehörige von Notfallpatienten manchmal gereizt reagieren, ist unseren Mitarbeitern natürlich bekannt.“ In erster Linie seien aggressive Schaulustige das Problem: „Um genau diesen Personen richtig gegenübertreten zu können, führen wir diese Fortbildung durch.“

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