Telefonseelsorge im Kreis Ahrweiler Wenn Einsamkeit zum Hörer zwingt

KREIS AHRWEILER · Theologe Michael Bruckner spricht beim Burgforum über den Alltag der Telefonseelsorge.

Eine junge Frau (34): „Ich habe ein Problem und noch niemals darüber gesprochen. „Was ist es?“ Schweigen. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Schweigen. Weinen. „Was ist passiert?“ Schluchzen. „Was möchten Sie: Was kann ich für Sie tun?“ Schweigen. Schluchzen. Der Hörer wird eingehängt.

Die Frau hat Hilfe gesucht. Bei der Telefonseelsorge in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Zum Hörer hat sie gegriffen. Dazu gehört Mut. Doch dann verließ sie selbiger. Vielleicht ruft sie noch einmal an. Das haben im vergangenen Jahr bei der Telefonseelsorge in der Kreisstadt 16.000 Menschen getan, zu allen Tageszeiten. Eine Zahl, die nicht zu schaffen wäre, wenn die Telefonseelsorgen nicht kooperieren würden. Wer im Kreis Ahrweiler die 0800/1110111 wählt, bekommt anonym und kostenlos einen Ehrenamtler an die Strippe. Dieser kann, so sind die Nummer geschaltet, wenn in der Kreisstadt besetzt ist auch in Krefeld, Düren oder Aachen sitzen und umgekehrt.

60 Menschen versehen den freiwilligen Dienst in der Kreisstadt, drei Schichten pro Person und Monat oder eine Nachtschicht. „Wir brauchen dringend Zuwachs“, sagte auch Lena Salzmann von der Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler beim jüngsten Burgforum im Studienhaus Sankt Lambertus in Lantershofen. Dort widmete sich der der Diplom-Theologe und Diplom-Psychologe Michael Bruckner unter dem Titel „Zuhörkünstler, Anteilnehmer, Gesprächsmillionäre“ dem Alltag der Telefonseelsorger.

Diese hat der aus Ahrweiler stammende Leiter der Katholischen Lebensberatungsstelle Düsseldorf für eine Studie befragt: „Was nehmen Sie aus dem Alltag der Telefonseelsorge für das eigene Leben mit?“ Dankbarkeit und Demut, waren die ersten Antworten. Die Ehrenamtler lernten ihr Leben neu zu leben, achtsamer, entschlossener, verantwortlicher, empfindsamer und gelassener mit sich und anderen umzugehen.

Telefonseelsorge ist quasi ein Geben und Nehmen. Denn die Freiwilligen, die in der Regel ab 30 aufwärts sind, erleben durch ihre Gesprächspartner, von denen sie nur das Alter wissen wollen, Freude und Hoffnungen, Ängste und Zweifel, Trauer und Schmerz, aber auch Zorn und Ekel. „Es gibt viele Menschen und viele Gründe, mit uns zu reden“, sagte Bruckner und nannte Beispiele: Menschen, die am Tag noch mit niemandem gesprochen haben, Menschen die wegen Tod oder Trennung trauern, alte und kranke Menschen, die leiden, abhängige Menschen, die raus aus dem Teufelskreis Drogen oder Alkohol wollen und nur die Adresse von Selbsthilfegruppe erfragen wollen oder auch Menschen, denen die Meinung eines Außenstehenden wichtig ist. Am Hörer sind aber auch verzweifelte Arbeitslose, Kinder und Jugendliche, denen sonst keiner zuhört, Menschen die des Lebens müde und suizidgefährdet sind. Und, und, und.

Zu den häufigsten Themen zählen laut Bruckner das Alleinsein, Einsamkeit, Isolation, familiäre Beziehungen, Partnerschaftsproblemen aber auch Stress, Ärger und Aggression. Wobei das Gros des Klientels zwischen 40 und 60 Jahre alt ist (43 Prozent), 24 Prozent sind älter als 60, nur fünf Prozent sind Kinder und Jugendliche. Auffallend: 58 Prozent der Anrufer geben an, allein zu leben, was wiederum die Häufigkeit von Problemen mit Einsamkeit und Isolation erklärt.

Um sich diesen Gesprächen stellen zu können, bedarf es einer Ausbildung. „Bei uns sind das 90 Stunden binnen eines Jahres“, sagte Lena Salzmann. Dazu kämen dann Trainingseinheiten mit erfahrenen Telefonseelsorgern, Supervisionen. Die Gemeinschaft trage die Mitglieder, in Vorbereitung und auch in der Nachsorge. Wobei im aktiven Dienst klar gilt: Selbstsorge geht vor Fremdsorge. Bruckner: „Der andere soll mir seine Welt erklären, erläutern, darlegen, was ihn bewegt so zu fühlen oder so handeln zu wollen.“ Mit Beleidigungen, die auch an der Tagesordnung seien, gelte es gelassen umzugehen und mit einer respektvollen Respektlosigkeit zu kontern.

Handwerkszeug wird den künftigen Telefonseelsorgern an die Hand gegeben: zur Persönlichkeitsbildung, zu Krankheitsbildern bis hin zur Suizidgefährung, zu Fragetechniken und verhaltenstherapeutischer Gesprächsführung. Letzteres auch in Rollenspielen.

Dann kann der Telefonseelsorger auch mit dem 48-Jährigen umgehen , der da sagt: „Kennen Sie das: Sie haben alles getan und trotzdem das Gefühl, Sie haben etwas Wichtiges nicht beachtet.“ Oder dem jungen Mann, der seinem Leben ein Ende setzen will kontern: „Geben sie dem Baum in ihrem Garten noch ein Jahr. Trägt er keine Früchte, können sie immer noch ans Fällen denken. Aber geben sie dem Baum doch die Chance.“ Der junge Mann lebt, hat den Baum beschnitten und freut sich auf die Blüten im Frühling.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort