„Erst müssen sie unseren Hund segnen“ Was ein Pfarrer aus Bad Neuenahr als Militärseelsorger erlebte

Bad Neuenahr · Seine Gedanken zum Weihnachtsfest teilt Pfarrer Karsten Wächter aus Bad Neuenahr mit den GA-Lesern. Dabei erinnert er sich an den Heiligen Abend vor acht Jahren im afghanischen Kundus.

 Soldatinnen und Soldaten singen im Feldlager in Kundus gemeinsam Weihnachtslieder unterm Tannenbaum.

Soldatinnen und Soldaten singen im Feldlager in Kundus gemeinsam Weihnachtslieder unterm Tannenbaum.

Foto: Bund

"Alle Jahre wieder“. So beginnt ein bekanntes Weihnachtslied. „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind, auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.“ Jedes Jahr bin ich neu auf der Suche und versuche irgendwo zwischen all dem Rummel und den vertrauten Ritualen einen Hauch davon zu erhaschen, dass Gott zu mir kommt und mir Frieden schenkt.

Und manchmal, in einem kleinen Augenblick der Stille, erfasst es mich auch tatsächlich. Auf besondere und überraschende Weise begegnete ich diesem Thema vor acht Jahren, als ich in Kundus in Afghanistan war, um als Seelsorger die deutschen Soldatinnen und Soldaten zu begleiten.

Ich hatte geplant, nachmittags mit dem Kommandeur zusammen die Soldaten zu besuchen, die die Feiertage nicht im Schutz des Feldlagers verbringen konnten. Sie hatten den Auftrag, mitten im Gebiet der Aufständischen eine Stellung auf einem Hügel zu halten. Als wir bei diesem Vorposten ankamen, fühlte ich mich wie an der Front: Schützengräben, Maschinengewehrstellungen, Sandsäcke… Ich wusste: Diese Männer würden keine friedliche und besinnliche Weihnachten haben.

Sie lebten quasi wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte draußen, mussten aber dazu ständig mit Beschuss rechnen. Ich ging auf eine Gruppe von Soldaten zu und sagte: „Eigentlich wollte ich ihnen frohe Weihnachten wünschen, aber ich merke gerade, dass es wohl nichts Unpassenderes gibt. Aber: Was kann ich ihnen hier wünschen?“ Schweigen.

Trostloser kann es im Stall auch nicht gewesen sein

Dann sagte einer: „Pfarrer, schön dass sie da sind.“ Die Sehnsucht nach Hause wurde nicht wirklich ausgesprochen, nur angedeutet. Jetzt bloß keine Gefühle. Sie erklärten mir ihre Lage und ihren Auftrag und dass sie das hier einfach gemeinsam durchziehen. Ich erzählte ihnen, dass Gott seine Engel zuerst zu den einfachen Menschen draußen in der Nacht geschickt hat und in ihnen die Hoffnung auf Frieden geweckt hat.

Zum Abschied drückte ich ihnen eine kleine Christophorus-Plakette in die Hand und wünschte ihnen schlicht, dass Gott sie beschützt. Anschließend ging es zu einer Polizeistation, wo die übrigen ihr „Quartier“ hatten, nicht mehr als ein Rohbau ohne Fenster, Strom und Wasser. Während ich mich umschaute, dachte ich: Fast wie in Bethlehem. Trostloser kann es im Stall auch nicht gewesen sein…

Trotzdem Tröstliches: Der Spieß hatte einen Plastiktannenbaum im Hof aufgestellt und mit bunten Knicklichtern behängt. In der schnell heraufziehenden Dämmerung legte er Fleisch auf den Grill. „Herr Pfarrer, erst müssen sie unseren Hund segnen. Dann bekommen sie auch ein Steak.“ Ich kam seinem Wunsch nach und sagte dem Hund anschließend, dass er auf sich aufpassen sollte, denn schließlich sei er für die Männer hier draußen ein wichtiger Begleiter.

Plötzlich gab es einen entfernten Knall

Kurz vor der Rückfahrt stieg ich noch schnell hoch zu den Soldaten im Wachturm. Plötzlich gab es einen entfernten Knall – ich zuckte zusammen. Doch es waren die eigenen Leute im Feldlager, die eine Leuchtgranate in den dunklen Himmel geschossen hatten, als kleinen Gruß: „Wir sind bei euch in Gedanken.“

Sehr nachdenklich stieg ich wieder in das gepanzerte Fahrzeug. „Das ist die Welt, in die Gott hineingeboren wurde“, dachte ich und war angerührt davon, dass die Männer sich dem klaglos und tapfer stellen und wie die Gemeinschaft sie stützt. Mir wurde auf neue Weise klar, dass Gott überall zu uns kommt, auch in so eine trostlose Situation, in denen Menschen der Kälte, der Nacht und der Gefahr ausgesetzt sind. Damals in Bethlehem hat er sich jedenfalls genau dafür entschieden, ganz klein und unscheinbar und vielleicht genauso unerkannt wie heute.

Abends feierten wir im Feldlager so gut es ging: Es gab ein richtiges Krippenspiel, eine Lichtfeier in unserer „Gottesburg“, zwischendurch Gänsekeule mit Rotkohl, und abends spät, als ich in meine stille Stube zurückkehrte, öffnete ich wehmütig die Päckchen, die mir aus Deutschland geschickt worden waren, und telefonierte mit meinen Lieben. Räumliche Entfernung steht zum Glück nicht im Einklang mit innerer Verbundenheit.

Die Sehnsucht nach Gottes Frieden in meinem Herzen – ich sehe darin die Frage, was eigentlich wirklich wichtig ist. Diese Frage stellt mir das Weihnachtsfest. In der Ferne und im Unfrieden ist mir das deutlich geworden. Und: Gott ist mir in der Trostlosigkeit begegnet, in den kleinen Möglichkeiten, sie zu überwinden, und in der Begegnung mit den Menschen, die darin leben. Möge Gott sie trösten und ihnen Frieden schenken. Mit dem Blick auf die Geburt von Jesus Christus. Egal wo sie sind!

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