Skandal um verdünnte Krebsmedikamente Patienten in Bad Neuenahr verunsichert

BAD NEUENAHR · Aufatmen für Hunderte Krebskranke in Bad Neuenahr: Die größte onkologische Schwerpunktpraxis hat keine gepanschten Krebsmittel verwendet. Sie bezieht seit Jahren Medikamente von der Bonner Hardt-Apotheke. Eine andere Arztpraxis der Stadt hat aber vermutlich Medikamente vom Betrugs-Apotheker aus Bottrop erhalten. Um welche Praxis es sich handelt, wird derzeit vom rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium geprüft.

3700 betroffene Patienten in sechs Bundesländern, ein Apotheker aus Bottrop, der wegen 62 000 Arzneimittelverstößen in U-Haft sitzt: Der Skandal um gepanschte Krebsmittel zieht Kreise bis zu einer Arztpraxis in Bad Neuenahr, die möglicherweise unwissentlich auch im Ruhrgebiet Medikamente geordert hat. Dieser Umstand zwingt Axel Nacke von der einzigen onkologischen Schwerpunktpraxis in der Kurstadt in die Offensive: "Wir haben nie mit der Betrugs-Apotheke in Bottrop zu tun gehabt."

Die Gesundheit ist das höchste Gut, Geschäftemacherei mit kranken Menschen zutiefst verwerflich. Im Skandal um verdünnte Krebsmedikamente (der GA berichtete) rückt nun auch eine Praxis in Bad Neuenahr in den Fokus der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Essen. Denn auch ein Arzt aus der Kurstadt soll unwissentlich die mit Kochsalzlösung gepanschten Krebsmittel von einem Apotheker aus Bottrop, der im November 2016 festgenommen wurde, gekauft haben. Womit die 3700 Betroffenen in sechs Bundesländern Chemotherapien und Medikamente erhalten haben, die kaum oder gar nicht wirkten.

Das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium teilte am Freitag mit, in engem Kontakt mit dem Ministerium in Düsseldorf zu stehen, um für die Betroffenen Klarheit zu erlangen. Als der SWR am Freitag sowohl im Rundfunk als auch in der abendlichen Landesschau - zuvor hatten schon das NDR-Magazin "Panorama" und das gemeinnützige Recherchezentrum "Correctiv" berichtet - mitteilten, dass ein Onkologe aus Bad Neuenahr betroffen sei, brach in der einzigen onkologischen Schwerpunkt-Gemeinschaftspraxis von Axel Nacke ein Sturm aus.

Er erhielt bis in die Nacht hinein zahlreiche Anrufe sehr besorgter und verunsicherter Patienten, die befürchteten, gepanschte Krebsmittel in der dem Krankenhaus Maria Hilf angegliederten Praxis erhalten zu haben. Das zwang Nacke dazu, umgehend eine Richtigstellung beim SWR einzufordern, aber auch den GA zu informieren. Denn: "Da der SWR die Feinheiten der Begriffe wie Onkologe/Onkologische Praxis wohl nicht bekannt sind, kommt der entstehende Eindruck, dass wir die betroffene Praxis seien, einer Diffamierung gleich. Es könnte etwas haften bleiben", befürchtet der Mediziner.

"Wir sind im weiten Umkreis die einzige onkologische Schwerpunktpraxis. Wenn man die im SWR-Artikel verwendete Formulierung 'Onkologe aus Bad-Neuenahr' googelt, landet man unweigerlich bei uns. Es gibt allerdings noch andere Praxen in Bad Neuenahr, die Chemotherapien verabreichen, aber keine onkologische Schwerpunktpraxis sind. Die Berichterstattung ist damit für unsere Patienten höchst verunsichernd und für die Praxis in dieser Form irreführend bis rufschädigend. Hiermit versichere ich für unsere Gemeinschaftspraxis – Axel Nacke, Frank Risse, Heike Pede und Roland Kronenberger – dass wir zu keinem Zeitpunkt Medikamente aus Bottrop beziehungsweise vom angeklagten Apotheker bezogen haben. Wir arbeiten seit der Praxiseinrichtung 2009 in Bad Neuenahr gut und vertrauensvoll mit der Hardt-Apotheke, Apotheker Michael Jürgens, in Bonn zusammen. Weder er noch wir haben jemals mit der Betrugs-Apotheke in Bottrop zu tun gehabt."

Auch der Mitarbeiter von Correctiv, David Schraven, versicherte Nacke auf seine Nachfrage hin: "Wir haben nachgeschaut, Sie stehen nicht auf der Liste. Soweit ist alles gut. Die Unsicherheit der Patienten ist in meinen Augen darauf zurückzuführen, dass die Behörden eine sehr schlechte Informationspolitik betreiben. Anstatt die betroffenen Patienten direkt zu informieren, werden sowohl Ärzte als auch Patienten im Unklaren gelassen – und das führt dann zu solchen Situationen wie Ihrer. Das tut mir sehr leid, weil das Verhältnis Patient-Arzt gerade in der Onkologie dermaßen wichtig ist. Gleichwohl müssen die Patienten erfahren, ob sie betroffen sind. Nur so können sie eventuell noch Maßnahmen ergreifen, wenn sie sinnvoll sind - und gegebenenfalls ihre Rechte durchsetzen."

"Offenbar ist einer der Kollegen Opfer des Betrugs geworden. Es gibt in der Stadt ja noch ein paar andere Praxen, die onkologische Therapien (Chemo) in kleinem Umfang anbieten", betont Nacke im GA-Gespräch. Ergänzend zum Hintergrund erklärt er: "Chemotherapien werden individuell und tagesfrisch für jeden Patienten hergestellt. Diese Herstellung ist extrem aufwendig und wird deshalb nicht von vielen Apotheken in Deutschland angeboten. Es gibt einige regionale, kleinere Anbieter und einige Großbetriebe. Man muss unterscheiden zwischen den Begriffen Onkologe, Onkologische Praxis und onkologische Therapie.

Onkologe (korrekt: Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Internistische Onkologie) ist eine spezielle Weiterbildung, die dazu berechtigt, Krebserkrankungen aus allen Fachgebieten zu behandeln. Die Praxis eines solchen Onkologen bezeichnet man als Onkologische Praxis. Das sind wir. Daneben gibt es Ärzte anderer Fachrichtungen, die berechtigt sind, die onkologischen Erkrankungen ihres Fachgebietes zu behandeln. Diese Kollegen haben dann Bezeichnungen mit dem Zusatz 'medikamentöser Tumortherapie'. Es gibt Kollegen in der Stadt, die das machen und zu denen haben wir auch ein gutes Verhältnis. Inwieweit noch andere Ärzte in Kliniken oder privatärztlich Chemotherapien verabreichen, entzieht sich meiner Kenntnis."

Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet können bei einer Hotline erfahren, ob sie betroffen sind: 02041/704488. Sie ist an Wochentagen von 8 bis 16 Uhr, mittwochs bis 13 Uhr besetzt.

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