Rechte Szene an der Ahr Neonaziprozess nach vier Jahren geplatzt

KOBLENZ · Das Verfahren gegen die Mitglieder des "Aktionsbüros Mittelrhein", die ihre Zentrale im Braunen Haus in Bad Neuenahr hatten, ist auf bestimmte Zeit ausgesetzt. Der Richter ist in den Ruhestand gegangen. Wie es weiter geht, sagt das Gericht noch nicht.

Seit vier Jahren stehen 20 Mitglieder der neofaschistischen Gruppe „Aktionsbüro Mittelrhein“, die 2010 in Bad Neuenahr-Ahrweiler ihr Zentrum im „Braunen Haus“ etabliert hatten, in Koblenz vor Gericht. Die Anklage lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Jetzt ist der Vorsitzende Richter in den Ruhestand gegangen. Der Prozess wurde auf unbestimmt Zeit ausgesetzt.

Die Aussetzung des Prozesses nach mehr als 330 Verhandlungstagen kam nicht unerwartet. Nachdem der Prozess erst Anfang April wegen möglicher Befangenheit beinahe vor dem Aus stand, ist jetzt die lang erwartete Aussetzung eingetreten. Das rheinland-pfälzische Richtergesetz sieht vor, dass eine Gerichtsverhandlung nicht über das Ende der Amtszeit eines Richters hinausgehen darf.

Das „Aktionsbüro Mittelrhein“ bestand aus Neonazis aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz und dem Bonner Umland. Es strebte laut Anklage die Errichtung eines Staates nach nationalsozialistischem Vorbild an. „Das Ziel war die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, so Oberstaatsanwalt Walter Schmengler bei Prozessbeginn im Jahr 2012.

Die Anklage war überaus umfangreich: Auf 926 Seiten warf die Staatsanwaltschaft den Neonazis vor, Linke körperlich angegriffen, Reifen zerschnitten und einen Beamten ausspioniert zu haben. Auch versuchte Brandstiftung wurde einigen von ihnen vorgeworfen. Dies sollte der größte Neonaziprozess in Deutschland werden.

Im vergangenen Jahr waren erst 15 Prozent der Anklage abgearbeitet. Ursprünglich waren 26 Männer angeklagt. Die Verhandlungen gegen sechs Angeklagte waren kurz nach Beginn des Verfahrens im Jahr 2012 abgetrennt worden. Einige sind freigesprochen worden. Alle Angeklagten befinden sich nach längerer Untersuchungshaft auf freiem Fuß. Sektkorken haben wahrscheinlich gestern nicht geknallt, als die Pressemitteilung des Landgerichts Koblenz zur Aussetzung des Verfahrens bekannt wurde.

Richter Hans-Georg Göttgen, Vorsitzender der Staatsschutzkammer des Landgerichts, ist in den Ruhestand gegangen. Bisher war dies der längste Prozess, der jemals am Landgericht Koblenz verhandelt wurde. Drei Tage pro Woche war das Verfahren angesetzt, wobei man oft Unterbrechungen in Kauf nehmen musste. Denn wenn auch nur ein Angeklagter krank wurde, musste die Verhandlung unterbrochen werden, bis alle wieder da waren. So kam es also öfters vor, dass man erst vor Ort feststellte, dass die Verhandlung ausfällt. Die Angeklagten beklagten sich daher, dass mit einer solchen Terminierung ein normales bürgerliches Leben und Arbeiten gar nicht möglich sei. Einer von ihnen musste deswegen seine Ausbildung abbrechen.

Ein Aussteiger aus der rechten Szene aus Köln, Axel R. (30), der als 15-Jähriger die Kölner Neonazigruppe „Kameradschaft Köln“, die sich nach einem SA-Straßenkämpfer auch „Kameradschaft Walter Spangenberg“ nannte, gegründet hatte, präsentierte sich im Prozess gern etwas extravagant – mit Anzug und Hut – gekleidet, während manche anderen in Jeans und Shirts dasaßen, von Marken, die bei Neonazis besonders beliebt sind. Die meisten verzichteten allerdings auf die Zurschaustellung äußerer Zeichen ihrer Gesinnung. Von den Mitangeklagten wird der Aussteiger als Verräter betrachtet. Vor etwas einem Jahr versuchte Axel R. vergeblich bei der AfD unterzukommen. Wie und ob der Prozess weitergehen wird, dazu wollte sich das Landgericht am Dienstag nicht äußern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort