Aktion nach Anschlägen in Paris Ein Eiffelturm aus 51.000 Postkarten für Bad Neuenahr

BAD NEUENAHR · Die Architektin Annette Bartsch startete zehn Tage nach den Anschlägen in Paris im November 2015 einen Aufruf zum Postkartenschreiben. Jetzt wurden aus rund 51.000 Postkarten ein Eiffelturm für Bad Neuenahr.

 Am Manifest der Freiheit: Jan Ritter (v.l.), Annette Bartsch, Guido Orthen und Lydie Auvray.

Am Manifest der Freiheit: Jan Ritter (v.l.), Annette Bartsch, Guido Orthen und Lydie Auvray.

Foto: Martin Gausmann

370 Kilogramm wiegt der vier Meter hohe Beweis, dass aus Bösem etwas Gutes wachsen kann. Zwei Jahre nach dem IS-Terror im Pariser Musikclub Bataclan mit 90 Todesopfern ist das Sinnbild für Anteilnahme, Frieden, Völkerverständigung, Freiheit und Begegnung fertig: Der Eiffelturm aus rund 51.000 Postkarten aus aller Welt wurde nach fast zwei Jahren Bauzeit – solange dauerte auch die Errichtung seines Vorbildes – fertig. Einer Feierstunde in der Trinkhalle im Kurpark Bad Neuenahr, zu der Initiatorin Annette Bartsch eingeladen hatte, wohnten 150 Gäste bei, die vom Projekt der Architektin begeistert waren.

Bartsch war es, die schon zehn Tage nach den Anschlägen den Aufruf zum Kartenschreiben startete. „Ich war nach dem 13. November 2015 gelähmt wie nach dem 11. September. Terrorismus im Alltag, er war da, greifbar. Ebenso schockierend und unfassbar waren die Flüchtlingsberichte, beide Themen nicht voneinander trennbar. Ich, die ich behütet aufgewachsen bin, musste was tun. Die Katastrophen haben das Projekt angefeuert.“ Geklebt wurde im Team aus Freunden und Familie immer an Freitagnachmittagen oder zu besonderen Festivitäten im Kurpark. Mehr als 1000 Arbeitsstunden wurden in den Eiffelturm aus Grüßen investiert, mehr als 60 Kilogramm Kleber, von der Firma Uhu gesponsert, gingen drauf.

„Auch wenn jede Karte nur ein fünf Gramm Stückchen Papier ist, gemeinsam zeigen sie Stärke und Größe“, so Bartsch, die betonte, dass 20 Karten eine Turmhöhe von einem Zentimeter ergeben. Die Grüße aus aller Welt wurden vor dem Verkleben gescannt, „womit der Inhalt des Turmes dokumentiert ist, vielleicht für einen späteren Buchdruck? Es geht was, wenn man zusammen klebt“.

Einen großen Anteil bildeten selbstgemalte Kunstwerke: viele von Kindern und Schülern, manchmal Familienbeiträge von Opa bis Urenkel, aber auch ganze Serien von Unterstützern. „Eine Postkarte transportiert Nachrichten aus der Ferne und sagt 'Ich denke an Dich'. Positive Botschaften aus der ganzen Welt vereinigen symbolisch die friedlichen Grüße. Ich bin selbst beeindruckt von diesem schwergewichtigen Wahr- und Warnzeichen“, begrüßte Bartsch die Gäste mit bewegter Stimme. Bevor sie das Wort an Bürgermeister Guido Orthen übergab, dankte sie dem Team der Heilbadgesellschaft für die Bereitstellung der Trinkhalle und der Schreinerei Rönnefarth, die mit Schablonen und Schrauben dem Manifest der Freiheit den nötigen Halt gab.

"Bildung ist das beste Mittel gegen Fanatismus und Terror"

„Sie haben ein bewegendes Monument der Emotionalität geschaffen. Grüße setzen Reisen voraus. Reisen bildet und Bildung ist das beste Mittel gegen Fanatismus und Terror. Es ist DAS Mittel des Humanismus gegen Twitter-Dämagogen und Populisten. Sie haben ein bürgerschaftliches Zeichen gesetzt, dass wir denen nicht unsere Straßen, unsere Jugend und unsere Freude am Leben überlassen“, dankte Orthen.

Auch Weltbürgerin Lil Pfluke, geboren in den USA, gelebt in Paris und jetzt zu Hause in der Eifel, Mitbegründerin der Ahrweiler Freiheiter, ergriff das Wort. Sie konnte vom Fenster der Wohnung ihres Sohnes auf den Eiffelturm schauen. „Mein Sohn wollte am 13. November 2015 ins Bataclan, er fuhr zum Glück nach Bordeaux. Ihr Turm ist eine so tolle Sache, Erinnerung so wichtig“, so Pfluke, die selbst Postkarten aus Dubai, Chicago und Andorra beigesteuert hat. „Die Zeit mit dem Team in der Trinkhalle hat sich zu einer kreativen Auszeit entwickelt und zu interessanten Gesprächen mit Bürgern und Gästen geführt“, schilderte Bartsch.

Dazu gehörte auch die Begegnung mit dem Willkommenskreis Diez, der sich um die Integration von Flüchtlingen kümmert. Als Bartsch ihn besuchte, appellierten zwei hochbetagte Bürger: „Macht, dass Krieg und Flucht nie wieder möglich sind.“ Zu ihrer Freude war eine Abordnung aus Diez am Montag in die Konzerthalle gekommen.

Von der Idee beeindruckt, erklärte sich auch die französische Akkordeonistin Lydie Auvray, die gerade in Köln ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum feierte, sofort bereit, den musikalischen Part unterm Bad Neuenahrer Eiffelturm zu übernehmen. „Als ich in Paris war, war ich nicht nur von den vielen Polizisten mit Maschinenpistolen geschockt, sondern auch von der Tatsache, dass Gitter heute verhindern, unter dem Turm her zu gehen. Da ist mir die Dimension erst klar geworden“, so Auvray.

Für Schüler bot das Kartenmalen die Möglichkeit, sich kreativ mit der Verarbeitung des Terrors in den Weltmetropolen auseinanderzusetzen. So wurde der Turm per Traktor anlässlich einer Europa-Woche zum Calvarienberg transportiert. Ob er bald international auf Reisen gehen kann, ist noch offen.

Ideen zu Standorten nimmt Bartsch entgegen: www.annettebartsch.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort