Holocaustgedenktag in Ahrweiler Dokumente beleuchten Schicksal einer jüdischen Familie aus Ahrweiler

AHRWEILER · Die jüdische Familie Emil Heymann aus Ahrweiler überlebte den Nazi-Terror nicht. Jetzt sind Dokumente aufgetaucht, die das Schicksal der Familie näher beleuchten.

Der 27. Januar ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. 2005 wurde dieser Gedenktag von den Vereinten Nationen eingeführt. Es ist der Tag, an dem vor 78 Jahren die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit hat.

Eine Befreiung vom Terror der Nazis, die sich Emil Heymann aus Ahrweiler vergeblich ersehnt hat. Nie hat er es glauben wollen, dass ihm, Jahrgang 1889, einem deutschen Soldaten der jahrelang im Ersten Weltkrieg den Kopf für sein Vaterland hingehalten hat, die Ermordung drohen würde. Dass aus dem Land Schillers und Goethes ein Willkürstaat wurde. Doch es ist passiert. Emil und Ehefrau Frieda, Tochter Mirjam mit Bräutigam Aron Salomons sowie die Kinder Samuel und Ruth wurden am 30. März 1943 als Juden in den Osten deportiert. Wohin, das weiß keiner. Tochter Henny kam ins Konzentrationslager Theresienstadt. Keiner kam zurück.

Dabei waren Emil und seine Familie zunächst in Sicherheit. Denn nach der Machtergreifung Hilters zog es Emil, der zuvor in Köln mit seinen Brüdern eine kleine Farbenfabrik betrieben hatte, ins vermeintlich sichere Holland. In Arnheim baute Emil sein Geschäft neu auf. Florierend, bis die Wehrmacht 1940 auch das kleine Nachbarland überrannte und mit ihr der Terror von SS und Gestapo im Königreich der Niederlande Einzug hielt. Die Besatzungszeit begann.

Unveröffentlichter Brief

Aus dieser Zeit stammt ein bislang unveröffentlichter Brief von Emil Heymann, den dieser am 5. Juli 1942 an seinen Bruder Otto geschrieben hat. Diesen stellte Matthias Bertram, anerkannter Experte für Forschungen zur Geschichte der Juden im Rheinland, mit Genehmigung von Verwandten Heymanns in Israel, dem General-Anzeiger zur Verfügung. Ein Dokument, das bitterböse Ahnungen spiegelt und dennoch von Fürsorge um die Verwandtschaft geprägt ist. So schreibt Emil wörtlich: „Es ist fraglich, ob wir Juden im besetzten Gebiet das Kriegsende erleben werden, während du dazu viel mehr Aussichten hast. Eine Neugründung einer Existenz wird dir nicht erspart bleiben und dazu möchte ich dir so gut helfen, als ich kann, wenn ich und meine Familie nicht mehr da sein sollten.“ Man höre so viel erzählen, dagegen nichts mehr von den „Tausenden von Juden, die nach Osten abgeschoben wurden. Vielleicht verlieren wir uns auch in der großen Öde oder unser Leben endet dort“.

Für sich und seine Familie hatte Emil keine Hoffnung mehr, dachte aber an die Zukunft seines Bruders. Dies mit der Anfangszeile „Darum wisse folgendes“. Darin ist die Rede von angemieteten Lagerräumen mit Kisten, von entsprechenden Quittungen und Friedas Testament. Aber auch von hohen Guldenbeträgen die Emil für andere ausgelegt oder ihnen geliehen hatte. Wie ein Treppenwitz der Geschichte mutet dabei die Erwähnung von Lebensversicherungen, abgeschlossen bei Phoenix und Schaumberg, über 3000 und 5000 Gulden an.

En Detail führt Emil seinem Bruder auf, wer ihm wie viel schuldet, so auch das vorgestreckte Lagergeld für einen Lift (Vorläufer des Containers) mit 3820 Kilo Umzugsgut der Kasseler Familie Jeckel bei der Firma Transatlantika in Rotterdam. Da wird Emil deutlich, dass sein Bruder das auch einfordern soll: „Tochter Gertrud ist mit Dr. Wetterhahn verheiratet, wohnte 1940 in New York, 4530 Broadway. Die können alles zurückzahlen, sind fähige Menschen und braucht man nichts zu schenken.“ Ebenso nennt Emil aber auch Namen derer, denen er Geld schuldet, erwähnt auch eine Hypothek auf sein Haus in Arnheim, bittet um Begleichung. Oder verzichtet: „Auch von Johann und Jonas Adler hatte ich noch Geld zu bekommen, aber das ist abgeschrieben.“

Geschäftsmann durch und durch

Geschäftsmann durch und durch fordert er über seinen Bruder jedoch von einem Enrique Leopold in Buenes Aires die Rückzahlung eines bereits bezahlten Betrages für fünf Tonnen Kasein, die wegen des Kriegsausbruches in Holland nicht mehr an sein Unternehmen geliefert wurden, oder die Begleichung von Schulden in jeweils vierstelliger Guldenhöhe „für gesandte Lebensmittel“ von Frauen mit Adressen in San Antonio, Texas oder Washington. Wobei er Otto auffordert: „Alles umrechnen mit 1,88 Gulden gleich einem US-Dollar.“

Emil dachte an seine Familie, hoffte, das Otto „sich damit helfen kann“. So auch mit einer Wiese in Walporzheim, die auf seinem Namen stand. Da lässt er Otto ziemlich freie Hand: „Irgendwelche Bestimmungen betreffs meines vorstehenden Besitzes will ich dir nicht auferlegen, da es wohl selbstverständlich ist, das eventuelle Abgaben zuerst an meine respektive Mischpoche, männlicher Seite, erfolgen soll. Meine Vorlagen an Jeckel sind zu Gunsten von Max und Selma Hahn zu verwenden. Ich will nun schließen mit den besten Wünschen und die Zukunft aller unserer Angehörigen.“

Der Brief endet mit „Arnheim, den 5. Juli 1942, Rijnkade 34, gez. Emil Heymann, geb. 21.10.1889 in Ahrweiler“. Und einem postscriptum, das sich auf das Haus in Arnheim bezieht und mit einem Eigentumsverweis auf Schwiegermutter Hahn und Bräutigam Salomons schließt: „Ungefähr 1,50 Meter vom Dampfkessel im Keller in der Mitte des Kohlenraums ist ein Zinkkessel vergraben, den muss man auch heraus holen.“

Saubere Auflistung

Dass das Schreiben an Otto keine Pedanterie war, sondern die saubere Auflistung eines ehrbaren Kaufmannes, davon gibt ein weiterer Brief Zeugnis, der zwar älter ist, doch Emil Heymanns Lebensphilosophie unterstreicht. So schreibt er am 6. September 1938 aus Arnheim an seine älteste Tochter Henny: „Lass dir von deinem Vater sagen, dass Wahrheit, Ehrlichkeit und Treue gegenüber sich und anderen Grundbedingungen sind, um als jüdischer Mensch durchs Leben zu gehen. Vor allem aber gegenüber seinem Schöpfer und Erhalter.“ Dieser Brief wurde von Verwandten im Januar 1946 als Durchschlag auf dem Speicher der Fabrik in Arnheim gefunden und ist als Abschrift erhalten, die ebenfalls dem General-Anzeiger vorliegt.

Otto überlebte mit viel Glück den Holocaust. Er musste jedoch mit ansehen, wie seine Frau und sein zehnjähriger Sohn von Belgien aus deportiert wurden. Er selbst soll nur deshalb nicht deportiert worden sein, weil einer der Gestapo-Männer, die die Selektion vornahmen, ihn kannte. Otto war dann in verschiedenen Lagern in Frankreich. Unter anderem im Raum Lyon, wo er zu Arbeitseinsätze im Straßenbau gezwungen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte und arbeitete er zunächst in Brüssel. Nachdem er 1949 die überlebenden Familienmitglieder in Israel besucht hatte, entschied er sich, in die USA auszuwandern. Er heiratete dort noch einmal, hatte aber keine Kinder mehr. Otto Heymann starb 1990 in New York.

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