Telefon-Seelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler Damit immer einer „da“ ist

KREISSTADT · Die Telefonseelsorge in Bad Neuenahr-Ahrweiler hat derzeit selbst ein massives Problem: Ihr fehlen Mitstreiter, um künftig den bisher 16.000 Anrufern zu helfen.

 Oft sind der Griff zum Hörer und ein Gespräch, das anonym bleibt, der letzte Rettungsanker.

Oft sind der Griff zum Hörer und ein Gespräch, das anonym bleibt, der letzte Rettungsanker.

Foto: picture alliance / dpa

Egal, ob einen gerade Angst oder Einsamkeit überkommen, ob Beziehungskonflikte eskalieren oder ob ein Kind sich nicht nach Hause traut und Beistand braucht: Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge sind nur einen Griff zum Telefon entfernt, und sie legen nicht auf. Rund um die Uhr beraten sie jeden kostenlos, anonym und bei allen Problemen. Auch wenn die „Telefonseelsorge in Bad Neuenahr-Ahrweiler“ gerade selbst ein Problem hat: „Wir haben zu wenig Frauen und Männer, die die Ausbildung als Telefonseelsorger machen möchten“, erklärt die Vorsitzende des gleichnamigen Vereins, Anita Bröcher.

Und das bei immer mehr Anrufen. Fast 16.000 Anrufe waren es im vergangenen Jahr, und bereits jetzt so viele in diesem Jahr. Und das genau 60 Jahre, seit in Berlin die erste Telefonseelsorge als „Ärztliche Lebensmüdenberatung“ gegründet wurde und fast 40 Jahre seit es den Verein „Telefonseelsorge Bad Neuenahr-Ahrweiler“ gibt. Der Verein braucht dringend Nachwuchs, damit weiterhin immer jemand „da“ ist, wenn Not ist.

„Wir sind ja angetreten, um 24 Stunden Dienst zu tun und das an 365 Tagen im Jahr. Die absolvieren wir in vier Schichten pro Tag“, erklärt Bröcher. Derzeit habe der Verein aber nur 50 Mitglieder im aktiven Dienst. Darauf bereitet eine zweijährige Ausbildung mit bislang fast jedes Jahr zwölf Teilnehmern vor. „Aber im vergangenen Jahr sind es nur sieben Schulungsanfänger gewesen, von denen schließlich fünf in die Beratung kamen. Dieses Jahr haben wir nur fünf Bewerber“, fügen Bröchers Vorstandskollegen Lena Saltzmann, Helga Kretschmann und Gottfried Neuhaus an.

Gründe dafür seien vielleicht, dass sich potenzielle Interessenten durch das Aufkommen neuer Gruppierungen respektive Einsatzgebiete in der Kreisstadt dort engagierten. Dabei sei die Schulung immer begehrt gewesen, weil sie qualitativ hochwertig und für die Teilnehmer kostenlos sei, und weil diese darin unter anderem Gesprächstechniken lernten, die ihnen auch in anderen Lebensbereichen hülfen. Auch Selbsterfahrung und der Umgang mit der eigenen Biografie gehören zum Inhalt der Ausbildung, die im ersten Jahr 90 bis 100 Stunden umfasse. Nach Ausbildungsabschluss leisteten die Telefonseelsorger etwa drei Tagdienste oder einen Nachtdienst im Monat. Dazu komme jeweils eine Supervisionsrunde pro Monat im Austausch mit Gleichgesinnten und Experten.

Ein Drittel der Anrufer ist einsam oder hat Depressionen. Nur wenige seien Selbstmord gefährdet. Auch Themen wie Missbrauch, Gewalt und Sucht seien eher selten. Typische Fälle für die Telefonseelsorger sind die Mutter, die mit ihrem Sohn nicht mehr zurecht kommt, weil er bockt, oder Scheidungs- und Trennungsprobleme. „Es gibt alles, und es gibt auch viele positive Gespräche. Ein Anrufer wollte mit mir zum Start in den Tag nur das ‚Vater unser’ beten“, sagt Neuhaus. „Und dann ist da eine ältere Dame, die anruft, um in Kontakt zu sein, auch weil sie vielleicht sonst den ganzen Tag mit niemandem redet. Sie strukturiert ihren Tag, indem sie uns sagt, was sie zu tun gedenkt. Ein zweiminütiges Gespräch, aber sie hat das Gefühl der Sicherheit, nicht alleine zu sein“, berichtet Kretschmann. Gerade das Da-Sein für jemanden sei ein großes Thema: Das Zuhören zu dem Zeitpunkt, zu dem es die Anrufer bräuchten. „Viele haben sonst keinen, der ihnen zuhören will oder auch aus zeitlichen Gründen zuhören kann. Oder sie wollen bewusst mit jemandem reden, der nicht zum Freundes- und Familienkreis gehört.“

Für die Telefonseelsorger ist ihre Tätigkeit manchmal belastend, aber auch erfüllend: „Als Krankenschwester im OP-Dienst hatte ich mit den Patienten nichts mehr zu tun, die ich nur in Narkose erlebte. Dabei war ich einst angetreten zum Trösten, Händchenhalten, um für den Menschen da zu sein. Was mir im Berufsleben fehlte, fand ich bei der Telefonzentrale.“ Und Neuhaus wollte im Ruhestand „etwas Soziales zurückgeben“ und hat mit der Zeit festgestellt, dass er umgekehrt auch aus der Telefonarbeit eine „unheimliche Menge an Befriedigung“ ziehe. „So viel Offenheit und Zugewandtheit und positive Rückmeldung bekommt man sonst im Leben selten“, sagt auch Salzmann. Die Telefonseelsorger in der Kreisstadt freuen sich nicht nur über neue Mitstreiter, sondern auch über Spenden, weil die Stelle in der Kreisstadt als eine von nur drei der insgesamt mehr als 100 Telefonseelsorgen in Deutschland rein ehrenamtlich agiert. Ausbildung, Supervision, Miete der Arbeitsräume, Strom und Gas, technische Ausstattung und die Fahrtkosten, die den Helfern erstattet werden, kosteten schließlich Geld.

Infos:www.ts-aw.de, 0 26 41/3 70 93 06, info@ts-aw.de

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