Geschichte im Kesselinger Tal Dörfer verschwanden von der Landkarte

KREIS AHRWEILER · 2200 Menschen mussten für den Luftwaffenübungsplatz Ahrbrück ihre Heimat verlassen. Zwölf Orte wurden von den Nazis zwangsgeräumt. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich dort viele Flüchtlinge aus Ostpreußen an.

 Ein Bild aus alten Tagen: Das Offizierscasino in Ahrbrück ist das einzige Gebäude, das heute noch an den Luftwaffenübungsplatz erinnert.

Ein Bild aus alten Tagen: Das Offizierscasino in Ahrbrück ist das einzige Gebäude, das heute noch an den Luftwaffenübungsplatz erinnert.

Foto: Arno Furth

Tränen, Wut, Verzweiflung. Vor 80 Jahren nahm zwischen Ahrbrück und Cassel, Fronrath und Blasweiler eine Tragödie ihren Lauf, die 2200 Menschen ihrer Heimat beraubte. Was bis dahin in der Eifel nur als Gerücht unterwegs war, wurde bittere Wirklichkeit. Die Nazi-Regierung in Berlin wollte auf 100 Quadratkilometern im und rund um das Kesselinger Tal einen Luftwaffenübungsplatz errichten. Da störten die Einwohner von Denn, Weidenbach, Herschbach und Kaltenborn, Nieder- und Oberheckenbach, Watzel, Fronrath, Cassel, Blasweiler, Beilstein und Lederbach. Der Ukas lautete kurz: „Die Dörfer müssen geräumt werden.“

Im Frühjahr 1937 wurden die Bewohner des für den Luftwaffenübungsplatzes „Ahrbrück“ vorgesehenen Gebietes vom Regierungspräsidium in Koblenz offiziell über die Räumung ihrer Dörfer informiert. Ein Zeitfenster wurde erstellt. Die erste Räumung sollte im März 1938 beginnen, die letzte im Mai 1939.

Aus den zwölf Dörfern waren 400 Familien mit mehr als 2200 Personen von der Maßnahme betroffen. „In das friedliche, nach den heutigen Begriffen sogar arme und einsame, aber zufriedene Leben der Dorfbewohner schlugen die Räumungsbefehle wie eine Bombe ein“, fasste Heimatforscher Rudolf Leisen das Geschehen zusammen. „Die Bewohner waren fassungslos und darüber empört, dass die gewachsenen Dorfgemeinschaften mit einer jahrhundertealten Geschichte und Tradition aufgelöst werden sollten.“

Da half auch keine Intervention des Trierer Bischofs Franz Rudolf Bornewasser, der vom Ahrbrücker Pfarrer über die Pläne unterrichtet worden war. Auf das Schreiben des Bischofs an die Reichsregierung antwortete Luftwaffenchef Hermann Göring vor 80 Jahren: „Es lässt sich nicht vermeiden, dass die Bewohner des für den Luftwaffenübungsplatz benötigten Geländes umgesiedelt werden, weil ihr Verbleiben wegen der Gefährdung durch den Übungsbetrieb nicht möglich ist. Mit der Durchführung der Umsiedlung habe ich die Reichsumsiedlungsgesellschaft beauftragt.“ Diese Gesellschaft richtete eine Zweigstelle in Ahrweiler ein, wickelte insgesamt rund 3000 Kaufverträge über Grundstücke und Gebäude ab, organisierte die Räumung der Dörfer, deren ehemalige Bewohner es wegen der dortigen Arbeitsplätze zum Großteil in das Ruhrgebiet zog.

Neue Bauten für Soldaten und zivile Mitarbeiter

Als Eigentümer wurde der „Reichsfiskus Luftfahrt“ in die Grundbücher eingetragen, berichtete Leisen 1997 im Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler. Und auch, dass Kesseling, Staffel und Ramersbach 1940 knapp am Schicksal ihrer Nachbardörfer vorbeigeschrammt sind, denn auch sie sollten in den Luftwaffenübungsplatz integriert werden. Die dortigen Ortsbürgermeister hatten massiv interveniert, und so lange für Verzögerungen gesorgt, bis der Kriegsverlauf eine Evakuierung der Orte sinnlos werden ließ. Dies, obwohl durch das Ausrichten von Geschützen auf die Dörfer durch die Luftwaffe Druck ausgeübt wurde.

Während die Häuser in den entvölkerten Dörfern weitgehend abgebrochen wurden, entstanden neue Bauten für die Soldaten und zivilen Mitarbeiter. „Zur Stammbesatzung gehörten etwa 500 Soldaten, weitaus mehr konnten untergebracht werden“, hat Arno Furth recherchiert. Der ehemalige Oberst der Bundeswehr, Jahrgang 1951, der in Ahrbrück lebt, hat dem Luftwaffenübungsplatz einen 72 Seiten starken Band gewidmet.

Laut Furth war der Übungsplatz in erster Linie für das Üben mit Flugabwehrkanonen und für den Bombenabwurf vorgesehen. Mit fortschreitendem Kriegsverlauf wurden dort auch Raketen vom Typ V 1 stationiert und Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen. „Alliierte Bombenangriffe auf den Platz gab es nur wenige“, berichtet Leisen. Dies, obwohl von den Amerikanern Flugblätter mit der Aufschrift „Ahrbrück im Loch, wir finden euch doch!“ abgeworfen worden seien.

Zur Wiederbesiedlung freigegeben

Nach Kriegsende wurde das komplette Areal auf Bemühen des Kulturamtes Adenau 1946 zur Wiederbesiedlung freigegeben. Das geschah unter Federführung der späteren „Landsiedlung Rheinland-Pfalz GmbH.“ Leisen: „Da sich bis Anfang 1947 von den ehemaligen Bewohnern nur wenige Familien für eine Rücksiedlung gemeldet hatten, mussten andere Siedler gesucht werden.“

Das waren 65 Bauernfamilien aus dem Ermland in Ostpreußen, die den Grundstock für die heute große Ermländer-Gemeinschaft legten. Für sie ist der ehemalige Luftwaffenübungsplatz vor 70 Jahren zur Heimat geworden. Ihre Traditionen haben sie mitgebracht. So wird heute noch in Niederheckenbach ganz groß das Erntedankfest der Ermländer gefeiert.

An den Luftwaffenübungsplatz erinnert heute nur noch ein Gebäudekomplex am Ortsausgang von Ahrbrück in Richtung Kesseling: das ehemalige Casino der Luftwaffenoffiziere.

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