Interview mit Cornelia Brodeßer „Eltern geben die Verantwortung ab“

KREIS AHRWEILER · Es ist ein Thema, das jeden Sommer kurz aufkocht und dann wieder in der Versenkung verschwindet: Schulwegsicherheit für i-Dötzchen und das richtige Training.

 Das richtige Verhalten im Straßenverkehr sollten die Eltern mit den Kindern früh üben.

Das richtige Verhalten im Straßenverkehr sollten die Eltern mit den Kindern früh üben.

Foto: picture alliance / dpa

Warum wird es Ihrer Meinung nach immer schwieriger, an die Eltern heranzukommen?

Cornelia Brodeßer: Ich glaube, dass das sicher auch in dem Zusammenhang steht, dass viele Eltern stärker beruflich eingebunden sind. Alleinerziehende Frauen müssen ja nun wirklich einen Spagat hinlegen, um den Alltag zu managen. Zunächst sind Eltern nach der Geburt eines Kindes für alles offen. Sie sorgen sich, übernehmen Verantwortung. Von Babyschwimmen bis Pekip wird alles ausprobiert. Und dann kommt ein Bruch. Schon mit dem Eintritt in den Kindergarten wird Verantwortung abgegeben. Es setzt die Erwartungshaltung ein, dass die Erzieherinnen, die Polizei und die Verkehrswacht es schon richten und das verkehrssichere Kind „liefern“ werden. Dabei müssen auch die Eltern den gleichen Kenntnisstand haben, das muss Hand in Hand gehen.

Aber das Interesse an zwei Ihrer Veranstaltungen in Bad Neuenahr war doch enorm!

Brodeßer: Ja, bei dem Versuch, die „Vorbilder“ in der Familie und im nahen Umfeld wie Eltern, Großeltern oder sonstige Bezugspersonen zu erreichen, wurden wir sowohl im März als auch jetzt beim Fest der guten Laune an unserem Infostand im Kaufhaus Moses förmlich überrannt. Die Resonanz war überwältigend und unerwartet. Wir haben Broschüren verteilt und an einem Tempo-30-Reaktionstest die Gefahren für ein Kind demonstriert. Schlussendlich aber haben wir beim Dialog gemerkt, dass die Thematik, die jetzt für den Schulbeginn am 14. August relevant wäre, überhaupt nicht präsent ist. Das war früher anders. Da waren die Elternabende zur Verkehrserziehung die Klassiker und gut besucht. Heute kommt kaum noch jemand, sodass manche Kitas sogar versuchen, das Thema in ihre Nachmittagsbetreuung einzubinden.

Wie sieht denn eine optimale Vorbereitung für die i-Dötzchen aus?

Brodeßer: Man sollte so früh wie möglich, rund ein halbes Jahr vor Schuleintritt, mit kleinen Einheiten anfangen und den künftigen Schulweg gemeinsam gehen. Und ich meine gehen: nicht mit dem Fahrrad fahren und auch nicht darauf verzichten, weil das Kind mit dem Auto bis in die Klasse gefahren wird. Die Bezugspersonen sollen beobachtend trainieren, die Wahrnehmung des Kindes schulen und mal die Rolle tauschen, damit das Kind mal erklären muss, was es sieht und wie es sich verhalten würde. Die Eltern haben nun mal die Vorbildfunktion, sollten immer innehalten und am Straßenrand stehenbleiben. Sie sollten sich auch fragen, ob der von ihnen gewählte Schulweg der sicherste ist. Wichtig ist auch, den Zeitdruck morgens rauszunehmen und zu überlegen, ob man nicht Grüppchen mit mehreren Kindern bilden kann, bei deren Begleitung sich Eltern abwechseln können.

Denken Kinder anders als Erwachsene?

Brodeßer: Dinge wie Bremswege kennen Kinder, die noch ein eingeengtes Sehfeld haben, doch gar nicht. Sie denken auch „Ich sehe den Fahrer, dann sieht der mich auch“. Sie sind anschauungsgebunden. Will heißen: Wird das richtige Verhalten an der Ampel nur zu Hause erklärt, so wird das wenig bewirken, weil die Anschauung fehlt. Und es denkt „eingleisig“, es kann nicht zwei Aspekte auf einmal berücksichtigen. So kann es sein, dass ein Kind die Gefahr, die von einem Auto ausgeht, allein an dessen Größe bemisst, während andere, viel wichtigere Kriterien wie Tempo und Entfernung, unberücksichtigt bleiben.

Was sagt die Unfallstatistik?

Brodeßer: Die Zahl der Unfälle mit Beteiligung von Kindern hat sich im Bereich der Polizeiinspektion Bad Neuenahr-Ahrweiler in der Statistik von 2016 gegenüber 2015 zum Glück um zwei auf 17 Unfälle verringert. Neun Kinder wurden leicht, eines schwer verletzt. Sieben der verunglückten Kinder waren mit dem Fahrrad, zwei zu Fuß unterwegs. Seit 2013 ist dort keine signifikante Veränderung festzustellen. Und trotzdem: Auch wir als Verkehrswacht wollen ja nicht erst aktiv werden, wenn ein Kind Opfer eines Verkehrsunfalls wurde. Eine Verkehrserziehung ist nicht nach der Einschulung gelaufen, sondern dann sollte nachgearbeitet werden. Nehmen Sie die etwas größeren Kinder: Statt Ranzen bevorzugen sie Rucksäcke in gedeckten Farben - natürlich ohne schützende Reflektoren.

Wie sieht Ihre künftige Präventionsarbeit aus?

Brodeßer: Wir arbeiten weiterhin Hand in Hand mit den Schulen und der Polizei, wollen unser Engagement in den Kitas forcieren. Wir wollen die schwarzen Flecken ermitteln, weil wir an den Kitas, aber nicht an den Eltern dran sind. Aber das Bohren dicker Bretter macht auch den Reiz meiner Arbeit aus. Dann planen wir weitere Aktionen im Kaufhaus. Die Kontrollen der Polizei an und vor den Grundschulen – da geht es natürlich auch um die richtige Kindersicherung im Auto, weil Kindern oft das Anschnallen selbst überlassen wird – begrüßen wir. Freuen würden wir uns auch über Eltern oder Großeltern, die sich bei uns als Elternlotsen melden, um gefährliche Straßen auf dem Schulweg ihrer Kinder oder Enkel zu sichern.

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