Neujahrsempfang in Niederzissen „Dorf geht nicht ohne Ehrenamt“

KREIS AHRWEILER · Sozialwissenschaftler Stefan Sell zeigt Lösungsansätze für die Zukunftsfähigkeit im ländlichen Raum. Er war Gastredner beim Neujahrsempfang des Kultur- und Heimatvereins Niederzissen.

 Im Gespräch: Stefan Sell (links) mit Richard Keuler beim Neujahrsempfang in der Bausenberghalle.

Im Gespräch: Stefan Sell (links) mit Richard Keuler beim Neujahrsempfang in der Bausenberghalle.

Foto: Günther Schmitt

Die Jugend zieht es in die Städte, Familiengründer kommen zurück und die Zahl der Senioren steigt massiv an. So skizzierte Sozialwissenschaftler Stefan Sell vom Rhein-Ahr-Campus in Remagen am Sonntag die Situation der Dörfer im Kreis Ahrweiler im Jahr 2035. „Wollen Dörfer zukunftsfähig sein, müssen sie sich schon heute diesem Megathema stellen“, sagte Sell beim Neujahrsempfang des Kultur- und Heimatvereins Niederzissen um Richard Keuler in der Bausenberghalle vor Gästen aus Politik, Wirtschaft und Ehrenamt.

Sell prognostizierte, dass vor allem das Thema Senioren die Zukunft in den Dörfern beherrschen werde. Derer gebe es künftig zwei Kategorien. Diejenigen, die Zeit ihres Berufslebens Eigentum hätten aufbauen können und denen ein passables Leben im Alter bevorstehe und die, die als Gering- oder Normalverdiener knapp an der Altersarmut vorbeischrammen oder in diese abrutschen. Da gelte es schon heute vorzusorgen, dass Letztere von den Dörfern quasi aufgefangen werden. So unter anderem durch das Schaffen von Tagespflegeeinrichtungen für Senioren. Ein Unterfangen, das ohne Ehrenamt nicht funktioniere.Der Pflege komme ein hoher Stellenwert zu, denn immer mehr Menschen würden im Alter das Leben in ihren eigenen vier Wänden dem Leben in Heimen vorziehen. Das gelte es menschenwürdig zu steuern, eine „große gesellschaftliche Aufgabe“. Da seien die Dorfgemeinschaften gefordert.

Dem Brohltal attestierte Sell Lebensqualität und eine gute Infrastruktur. Dennoch gelte es, die Dörfer für die Familiengründer interessant zu machen und dabei auch über neue Mobilitätskonzepte nachzudenken. „Der klassische Bus ist nicht mehr sinnvoll“, sagte Sell. „Neue Formen müssen auf junge Menschen und Senioren zugeschnitten sein“, erklärte der Wissenschaftler. Und da, wo andere Versorger passen würden, könne auch über das ehrenamtliche Betreiben von Dorfläden nachgedacht werden. Dass das Brohltal die Botschaft Sells schon längst vernommen hat, machte Richard Keuler klar. Und hob dabei die Arbeit des Niederzissener Seniorentreffs hervor. Seit 20 Jahren stelle sich diese Truppe jeden Mittwoch ehrenamtlich in den Dienst der älteren Bürger. „Das waren bislang mehr als 1000 Mittwoche“, sagte Keuler und sprach von einer im Kreis in diesem Umfang „einmaligen Einrichtung“. Nicht ohne Stolz verwies der Chef des 150 Mitglieder zählenden Vereins auch auf das, was seine Truppe in den vergangenen Jahren ehrenamtlich gestemmt hat: den Umbau der als Schmiede genutzten Synagoge von Niederzissen in ein Kultur- und Begegnungszentrum mit angeschlossenem jüdischen Museum. Die alte Synagoge sei heute ein Haus, das für Versöhnung und Freundschaft stehe. Fast 2000 Besucher hätten dort im vergangenen Jahr an den kulturellen Veranstaltungen von Konzerten bis Lesungen teilgenommen, Höhepunkt sei im Herbst die 175-Jahr-Feier der Synagoge gewesen.

Auch Ortsbürgermeister Rolf Hans attestierte, dass Niederzissen auf dem richtigen Weg sei. Die Vereine mit ihren Ehrenamtlern seien die tragenden Säulen des gesellschaftlichen Lebens: „Freiwillige verbringen Zeit mit Alten und Gebrechlichen, sorgen so für soziale Kontakte, bringen sich in die Kinder- und Jugendarbeit ein oder vermitteln und leben Brauchtumspflege, setzten sich für Flüchtlinge ein.“ Das sei soziales Denken und Handeln, „ohne das eine Gesellschaft nicht existieren kann“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort