Demenz-Therapie Ein Clown der leisen Töne

OBERWINTER · Petra Schliebitz öffnet als Clownin "Augusta" im Haus Franziskus in Oberwinter eine Tür in die Welt der Menschen mit Demenz.

 „Augusta“ alias Petra Schliebitz stattet den Bewohnern regelmäßig einen Besuch ab. FOTO: GAUSMANN

„Augusta“ alias Petra Schliebitz stattet den Bewohnern regelmäßig einen Besuch ab. FOTO: GAUSMANN

Foto: Martin Gausmann

Wenn Lachen die beste Medizin ist, dann ist ein guter Clown der beste Arzt. Diese Erfahrung macht seit Herbst 2015 auch das Team des Oberwinterer Seniorenheims Haus Franziskus um Leiter Uwe Scharf mit „Augusta“ alias Petra Schliebitz. Doch wer glaubt, dass die 38-Jährige Demenzclownin mit lautem Hallo, wilden Gesten, bunter Latzhose und XXL-Schuhen die Stationen zu ihrer Bühne macht, der irrt. Ihr Türöffner zu den sieben Menschen zwischen 50 und 100 Jahren, zu denen sie einmal wöchentlich für zwei Stunden kommt und die größtenteils in ihrer eigenen Welt leben, sind die leisen Töne.

Mal setzt sich Schliebitz summend ans Bett, dann hält sie einfach nur die Hand. Immer ganz nah, immer hoch sensibel reagierend. „Meine Stimme, Gestik und Mimik sind der Schlüssel zum Ausdruck von Emotionen“, sagt sie im GA-Gespräch. Denn auch wenn das Gedächtnis nicht mehr funktioniert, die Emotionen sind da. Es geht also nicht darum, die Defizite der Demenz-Patienten zu suchen, sondern das hervorzulocken, was noch vorhanden ist.

Seit fünf Jahren arbeitet die Tanzpädagogin, Pantomimin und Humortrainerin aus Bonn als Clownin für Menschen mit Demenz und geistiger Behinderung. Ihre Qualifikation hat sie in den Niederlanden erworben, die Vorreiter in dieser Therapieform sind. „Was aus Krankenhäusern und Kinderkliniken bereits bekannt ist, wollten wir uns zunutze machen“, so Scharf: „Der Ansatz ist Humor, weil er eine wichtige Rolle spielt im Miteinander der Bewohner, im Team und im Wechselspiel zwischen beiden. Beim Clown, den jeder aus seiner Kindheit kennt, setz das Aha-Erlebnis und eine Wiedererkennung ein.“

Mit Bettina Grabowski, Leiterin „Sozialer Dienst“ und Pflegedienstleiter Alexander Sgodda, möchte Scharf Projekte dieser Art im Haus mit 76 Pflegeplätzen, das zur „procuritas“-Gruppe gehört, integrieren nach dem Motto „Das Leben rein holen in die Einrichtung“. Die erfolgversprechende Initiative finanzieren möchte die Heimleitung durch einen Antrag, den der eigene Förderverein „Geborgenheit im Alter“ an die Eckart-von-Hirschhausen-Stiftung „Humor hilft heilen“ gestellt hat. „Die Stiftung unterstützt solche Projekt mit einer Anschubfinanzierung in Höhe von 10 000 Euro“, hofft Scharf auf positiven Bescheid.

Zurück auf Station „Rheinblick“: „Augusta“ trägt heute ein schwarzes Hütchen, rote Nase, die Perlenkette passt zur weißen Bluse und dem Kleid mit Tüllspitze. „Hau ab“, ruft eine Frau hoch erregt im Flur, kaum, dass sie sie gesehen hat, um im nächsten Satz fast schon flehentlich zu fragen: „Kommst Du am Montag zu meinem Geburtstag?“ Diese Stimmungsschwankungen sind typisch für demenziell stark veränderte Menschen, die auch häufig auffallen durch ihre motorische Unruhe. Wut, Trauer, Aggression, Apathie, Freude: Die ganze emotionale Bandbreite bietet sich „Augusta“, die jedoch in den vergangenen fünf Jahren nur einmal von ihrem Gegenüber weggeschickt wurde.

Ihr erster Weg führt an diesem Nachmittag zu einer 50-jährigen bettlägerigen Bewohnerin. Sie erkennt die Clownin wieder, lässt sie nicht aus den Augen. „Augusta“ nimmt ihre Hand, die Blicke ruhen, „oft wird aus Kurzatmigkeit eine tiefe und gleichmäßige Atmung. Ich spüre, dass die Menschen zufriedener und entspannter sind. Die Öffnung und das im Momentsein im Miteinander sind mein Lohn“.

Sgodda und Grabowski bestätigen, dass das Projekt positive Effekte bewirkt. „Es fällt auf, wenn „Augusta“ nicht da ist. Und ob Pflegekräfte oder sie die Hand hält, ist ein spürbarer Unterschied.“ Eine Schulung der Mitarbeiter durch Petra Schliebitz, um auch im Alltag die Prinzipien des Demenzclowns anwenden zu können, befürworten beide.

Damit dieses Öffnen der Türen zu ansonsten verschlossenen Welten aber nicht nur ein subjektives Empfinden bleibt, ist Helen Schneider von der Remagener Fachhochschule mit im Boot. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin mit dem Fachgebiet „Alter“ begleitet den Einsatz von Clownin „Augusta“ engmaschig, macht sich Beobachtungsnotizen zu den sieben Patienten mit unterschiedlichen Befunden, tauscht sich rege mit Uwe Scharf und dem Team vom Haus-Franziskus aus.

Das Thema wird Raum finden bei Vorlesungen und als Publikationen in Fachzeitschriften. Schneider möchte ab Sommer zusätzlich zwei studentische Hilfskräfte im Projekt integriert wissen. Die eine soll eine Gruppe Demenzkranker mit Kontakt zur Clownin beobachten, die andere Betroffene, zu denen der besondere Besuch nicht kommt.

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