Eine Freizeit der anderen Art Der Kanzler schlief allein

AHRWEILER · Ferienkinder erkunden Geheimschriften in der Dokumentationsstätte Regierungsbunker.

Draußen lockt die Herbstsonne. Doch sieben Kinder sind, vorbei an der roten Aufschrift "Achtung Lebensgefahr", in den Bunker gegangen - durch tonnenschwere Tore, in Gänge, Arbeitsräume, Unterkünfte. Nein, es herrscht kein Krieg, nicht einmal kalter Krieg. Aber der führte zwischen Ahrweiler und Dernau zum Bau der unterirdischen Führungsanlage, im Kriegsfall Ausweichsitz der deutschen Bundesregierung, wo 3000 Erwählte einen Atomschlag 30 Tage überleben sollten.

Moritz, Anja, Janik und Jonathan, Magnus, Luca und Lars Eric tauchen ab ins einst gehütete Staatsgeheimnis. Ein idealer Ort, um "Die Welt der geheimen Zeichen" zu erkunden. Denn alle Nachrichten, die den versteckten Regierungsbunker erreichten, waren geheim verschlüsselt.

Zum Ferien-Workshop begrüßt Annelore Walz die jungen Gäste im Museum, das 2008 aus 200 Metern der 17,3-Kilometer-Anlage entstanden ist. Sie wird durch Kammern und Rätsel schleusen. Doch zuvor verweist die Museumspädagogin mit E-Mail- und SMS-Kürzeln wie "CU" für "See You" (Tschüss) oder "LOL" für "Laughing out loud" (lautes Auflachen) auf "verschlüsselte Botschaften in unserem Alltag". Auch hat sie "LEET" dabei. Keine Hürde für die unerschrockenen Sieben, die diesen Ziffern- und Buchstabensalat einer Internet-Schrift leicht stockend beim Lesen knacken.

Tiefer in die Unterwelt führt noch mehr Kryptographie, zu Deutsch Geheimschrift, aus griechisch "krypto" (geheim) und "graphie" (Schreiben). Selbst gefundene Lösungswörter weisen der Gruppe den Weg durch graue Flure, zuerst zur "Dekontaminationsanlage". In der Sammeldusche mit Säurezusatz fragt einer der Jungs: "Ist das ?ne Folterkammer?" Und alle erfahren: Um keine Strahlung ins Bunkerinnere zu tragen, hätten sich dort im Ernstfall Atomverseuchte reinigen sollen, was durch ein Fensterchen zu beobachten war. Hinter dessen Scheibenwischer klemmt Walz für die Folgeaufgabe das Punktalphabet. Es ähnelt der Blindenschrift. Anfangs sieht Anja "nur Wirrwarr und Pünktchen". Ein anderer zweifelt, "kommt da wirklich was Sinnvolles raus?" Als Walz bejaht, wechseln die Augen erneut zwischen Punkten und Arbeitsblatt. Es dauert. Manche stöhnen, schließlich die Auflösung "Geht mit der Führung, bis ihr die nächste Botschaft findet".

Das heißt, die mächtigen Tore zum "sicheren" Teil des Bunkers zu durchschreiten. Plötzlich entdeckt Jonathan den rosa Lochstreifen in einem Bunker-Aschenbecher. Damit im Fernschreibzentrum die Elektrotel-Entschlüsselungsmaschinen zu "füttern", kann nicht klappen. Sie stehen da, "sind aber leer, weil die Technik noch immer geheim ist". So wird es nichts mit dem Dekodieren. Stattdessen druckt ein Fernschreiber Klartext aus, worauf sich der Trupp in die Kommandozentrale zur Steuerung der gesamten Bunkertechnik begibt. Nebenan sehen die Kinder die Ausstattung der werkeigenen Feuerwehr. In einem weiteren Raum parken orangefarbene Elektrokarren. Allerdings belehrt die nächste Botschaft: "Hier waren früher viele kleine Büros". Das haben die Jungen und das Mädchen diesmal per Buchseitencode enträtselt, wobei Empfänger und Sender das gleiche Buch als Schlüssel benutzen.

Sie staunen, was allein auf 200 Metern Länge untergebracht ist, ein Fernsehstudio zur Kriegsberichterstattung, Sanitäts- und Küchenbereiche, der pink möblierte Besprechungsraum des Bundespräsidenten, im Obergeschoss karge Vierbettzimmer - nur Bundespräsident und Bundeskanzler schliefen für sich. Da mutet ein Friseursalon als Luxus an. Alternativvorschlag aus der Runde: "Ein Fitness-Raum". Den allerdings gab es nicht, ebenso wenig wie Privatsphäre für die bis zu 2000 Teilnehmer der alle zwei Jahre stattfindenden Nato-Übungen als Vorbereitung auf einen dritten Weltkrieg. Museumsfrau Walz erzählt, dass einige der Bunkerkoller ereilte. Die jungen Besucher aber sind auch noch in der letzten von drei Workshop-Stunden so konzentriert wie ihre nicht minder fitte Begleiterin. So entfahren ihnen bewundernde Ausrufe wie "Alter" und "geil", als sie den letzten Bereich des Museums betreten und im Luftzug vor der riesigen entkernten Tunnelröhre stehen.

Walz erklärt, dass das Bauwerk nach dem kalten Krieg zum Verkauf stand, aber die Ideen von Champignonzucht bis Hotel nicht überzeugten. Damit weder Asbest noch Blei ins Grundwasser gelangten, "musste alles rausgeholt werden, nur die leere Röhre blieb". Fast am Ende ihrer eindrücklichen Zeit- und Geheimnisreise angekommen, fordern Ferienkinder und Begleiterin das Echo heraus, rufen achtfach in den Berg und ernten ein einstimmiges lang anhaltendes "Halloooo" aus der Tiefe.

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