Schuldner-Atlas von Creditreform Wenn die Schulden über den Kopf wachsen

KÖLN/BONN · Manchmal entscheidet eine Heizkostenabrechnung darüber, ob ein Haushalt finanziell über die Runden kommt. Eine kräftige Nachzahlung bei den Energiekosten bei ohnehin schon hohen Konsumausgaben könne zur Überschuldung führen, sagte gestern Jörg Rossen, Geschäftsführer der Creditreform Bonn Domschke & Rossen.

Überschuldung liegt vor, "wenn der Schuldner die Summe seiner Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann und ihm zur Deckung seines Lebensunterhalts weder Vermögen noch Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen", so Creditreform. Einfacher: Die Ausgaben sind dauerhaft höher als die Einnahmen und Geld leiht dem Schuldner niemand mehr.

Überschuldet waren im Oktober dieses Jahres bundesweit 6,58 Millionen Privathaushalte nach 6,59 Millionen im vergangenen Jahr. Sie hatten Schulden von 221 Milliarden Euro oder 33.500 Euro pro Kopf.

Scheinbar paradox: Die Schuldnerquote, die auf der Basis von 67,13 Millionen volljährigen Erwachsenen ermittelt wird, stieg von 9,65 auf 9,81 Prozent. Grund ist der neue Zensus, der ergab, dass die Bundesrepublik weniger Einwohner hat als bisher angenommen.

Auch die Einwohnerzahlen für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis wurden nach unten korrigiert. Überschuldet sind in Bonn 23.970 Erwachsene, 100 weniger als im Vorjahr. Im Rhein-Sieg-Kreis ging die Zahl der Überschuldeten um 80 auf 39.300 zurück. Die Quoten stiegen allerdings in Bonn um 0,5 Prozentpunkte auf 9,38 Prozent und im Rhein-Sieg-Kreis um 0,27 Punkte auf 8,96 Prozent.

Beide Werte liegen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt und erst recht unter dem Landesdurchschnitt von 11,32 Prozent. "Hohe Akademikerquote, hohe Arbeitskräftenachfrage, Zuzug von Einwohnern, starker Standort für Behörden und Standort von zwei Dax-Konzernen", nennt Rossen etwa als Grund für die unterdurchschnittliche Verschuldung.

Von der stabilen wirtschaftlichen Lage profitiert auch der angrenzende Kreis Ahrweiler. Hier stieg die Zahl der Überschuldeten um zehn auf 7890 Erwachsene. Die Quote ist allerdings die niedrigste in der Region mit 8,72 (2012: 8,68) Prozent.

Hauptursache für das wirtschaftliche Aus von Verbrauchern ist nach wie vor die Arbeitslosigkeit. 25,9 Prozent der Überschuldeten nennen sie als Grund für ihre Lage, gefolgt von Scheidung, Trennung, Tod des Partners oder der Partnerin mit 14,2 Prozent sowie Erkrankung, Sucht, Unfall mit 12,7 Prozent.

Erkrankungen oder unwirtschaftliche Haushaltsführung mit 11,7 Prozent der Nennungen werden seit 2008 aber immer öfter als Grund genannt. "Es gibt ein Konsumverhalten, das nicht zum Einkommen passt", sagte Rossen. Bei vielen Menschen stehe der Konsum im Vordergrund. Vor allem Junge definierten sich darüber. Sie wollten etwa ein neues Handy oder gar ein Auto heute haben, ohne daran zu denken, wie sie es morgen bezahlen. Erleichtert werde dies durch Absatzfinanzierungsangebote wie etwa Null-Zins-Kredite.

Dazu komme manchmal eine Fehleinschätzung, ob der Arbeitsplatz sicher und nachhaltig ist, so Alexander Nielsen, Vertriebsleiter der Creditreform Köln v. Padberg.

So hat die Verschuldung junger Menschen unter 29 Jahren seit 2004 auch deutlich zugenommen, die der unter 20-jährigen Männer sogar um 340 Prozent.

Es bestehe das Risiko "lebenslanger Schuldnerkarrieren", so Nielsen. In Gesprächen, die Experten der Creditreform mit Überschuldeten führten, zeige sich oft, dass Überschuldung auch eine Frage von Bildung sei, so Rossen. Auch das neue Insolvenzrecht mit erleichterten Entschuldungsmöglichkeiten helfe nicht immer.

"Eine zweite Chance gibt es nur bei Verhaltensänderungen", so Rossen. Am besten wäre es, wenn die jungen Menschen schon im Schulunterricht lernen würden, wie man mit dem Geld auskommen könne. Bedenklich sei aber auch der Anstieg der Überschuldung bei den über 70-Jährigen. Er legte bei Männern seit 2004 um 43 Prozent zu, bei Frauen um 46 Prozent.

Männer sind öfter überschuldet als Frauen, aber die Frauen "holen auf". Die Zahl der überschuldeten Männer sank seit 2004 von 4,45 auf 4,23 Millionen, während die Zahl der überschuldeten Frauen von 2,09 auf 2,35 Millionen stieg. Einher ging das laut Nielsen mit einer steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen, sie seien aber auch öfter allein erziehend, was das Risiko der Überschuldung erhöhe, und arbeiteten öfter in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Mit einigen Sorgenfalten schaut Creditreform in die Zukunft. Im vergangenen Jahr hat sich die Verschuldung nur wenig geändert. Und das trotz guter Konjunktur, einem robusten Arbeitsmarkt, relativ hohen Tarifabschlüssen und einer nachlassende Inflation, wie Alexander Nielsen von der Creditreform Köln ausführt.

Es sei zu befürchten, dass die weiterhin hohe Konsumbereitschaft der Verbraucher und der damit oft verbundene Trend zur kreditfinanzierten Konsumverschuldung bei einer Eintrübung der Konjunktur zu einem Anstieg der Überschuldungsgefahr und mittel- und langfristig auch der Schuldnerzahlen führen kann.

Und da ist es bestimmt kein Fehler, etwas Geld an die Seite zu legen für schlechtere Zeiten. Zumal demnächst auch wieder die Nebenkostenabrechnungen verschickt werden.

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