Siebengebirge Vor 50 Jahren versteckte sich Deutschlands meistgesuchter Verbrecher in den Ofenkaulen

RHEIN-SIEG-KREIS · Heute hausen Fledermäuse in den Ofenkaulen des Siebengebirges. Vor 50 Jahren hingegen hatte sich in dem mehrstöckigen, labyrinthartigen Höhlensystem ein Mann verschanzt, den die gesamte westdeutsche Polizei suchte und der die Nation in Atem hielt, weil er zu den gefährlichsten Verbrechern der Nachkriegszeit zählte: Dieter Freese, Bankräuber, kaltblütiger Mörder, Ausbrecherkönig.

 Gigantisches Höhlenlabyrinth: Die Ofenkaulen waren einst Abbaustätte für Tuffgestein.

Gigantisches Höhlenlabyrinth: Die Ofenkaulen waren einst Abbaustätte für Tuffgestein.

Foto: Axel Thünker/Siebengebirgsmuseum

1. März 1962: Ein Schutzpolizist aus Königswinter macht sich mit seinem Diensthund zum Kontrollgang durch die seit Kriegsende verlassenen Ofenkaulen auf. Reine Routine, nicht der Rede wert. Der Schutzmann weiß: Die einzigen Wesen, die er dort antreffen kann, sind neben Fledermäusen, Blindschleichen, Salamandern oder Siebenschläfern schon mal ein paar abenteuerlustige Halbwüchsige, die sofort Reißaus nehmen, kaum dass sie einen Uniformträger erblicken.

Plötzlich löst sich ein nachtschwarzer Schatten vom Felsvorsprung. Die Gestalt rammt dem überraschten Polizisten den Lauf einer Pistole in die Brust und zwingt ihn, die Hände zu heben. Dann zerrt der Mann dem Beamten das Koppel samt dem Holster mit der Schusswaffe vom Leib und rennt davon, hinaus ins Freie. Der Polizeihund hetzt ihm nach. Dieter Freese, der nur zwei Wochen zuvor den Filialleiter der Sparkasse in Winningen an der Mosel erschossen hat, dreht sich um, zielt und erschießt den Hund.

Großalarm. Hubschrauber steigen auf. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizeibeamte aus dem gesamten Rheinland durchkämmen die Wälder. Vergeblich. Dieter Freese ist wieder einmal die Flucht gelungen. Wer war dieser Mann, dessen kriminelle Karriere Regisseur Jürgen Roland und Drehbuchautor Wolfgang Menge in der am 23. August 1966 ausgestrahlten ARD-Stahlnetz-Folge "Der fünfte Mann" nachzeichneten?

Dieter Freese wird am 14. August 1939 in einem Dorf der Ostsee-Insel Rügen geboren. Sein Vater stirbt als Frontsoldat, als der Junge drei Jahre alt ist. Mit 17 will Dieter Freese zur Fremdenlegion, wird aber abgelehnt. Zu jung. Einen Beruf erlernt er nie. Stattdessen geht er nach Westdeutschland, wird Berufskrimineller, stiehlt Fahrräder, später Autos, auch im Bonner Raum.

Am 25. Juli 1961 stiehlt Freese in Boppard am Mittelrhein einen Ford Taunus, fährt damit in den Hunsrück, überfällt dort eine Bank und entkommt mit 7010 Mark Beute. In den nächsten Monaten überfällt er zwei Banken bei Kaiserslautern sowie zwei Banken in Hessen, immer in abgelegenen Kleinstädten, immer alleine. Nur der Überfall auf eine Bank in der Eifelgemeinde Kaisersesch scheitert. Stets schießt Freese mit seiner Pistole wild um sich.

Am 14. Februar 1962 überfällt der 22-Jährige mit vier Komplizen die Sparkasse in Winningen an der Mosel. Freese erschießt den 61-jährigen Filialleiter. Die Beute: 1600 Mark. Am nächsten Tag wird das Fluchtfahrzeug gefunden, die Spur führt die Ermittler der Koblenzer Kripo zu einer abgelegenen Baracke in der Nähe von Boppard.

Dort werden die Täter gefasst - bis auf Freese, der sich mit einem halsbrecherischen Sprung von einer Klippe rettet und im Wald untertaucht. Trotz der sofort eingeleiteten Großfahndung gelingt es ihm, aus der Garage eines Koblenzer Hotels ein Auto zu stehlen.

"Sonst niet' ich dich um!"

Inzwischen kennt die Polizei seinen Namen, weil ihn einer seiner Komplizen bei der Vernehmung verrät. In einem Gasthof am Laacher See wird Dieter Freese erkannt, kann aber erneut untertauchen, bevor die Polizei eintrifft. Er schlägt sich bis ins Siebengebirge durch und versteckt sich in den Ofenkaulen.

Nachdem ihm dort am 1. März erneut die Flucht gelingt, finden Grenzpolizisten am 9. März im verschneiten Bayerischen Wald, nur 120 Meter von der tschechischen Grenze entfernt, den völlig erschöpften, übermüdeten und frierenden Raubmörder in einem Schneeloch. Nach der Verhaftung gesteht Freese dem Koblenzer Kriminalkommissar Karl Linnebacher freimütig rund 200 Straftaten. Am Ende der Vernehmung rät Freese dem Kommissar, er solle sich ihm besser nicht in den Weg stellen, falls ihm die Flucht aus dem Zuchthaus gelänge - wovon Freese damals schon felsenfest ausging: "Sonst niet' ich dich um!"

Am 5. November 1962 verurteilt das Landgericht Koblenz die vier Komplizen zu langjährigen Zuchthausstrafen, den Bandenchef und Mörder Dieter Freese zu zweimal lebenslanger Haft. Noch im Gerichtssaal droht Freese dem Komplizen, der ihn verraten hat, mit dem Tod. Während des Prozesses zeigt er keine Spur von Reue.

Auf die Ermordung des Filialleiters in Winningen angesprochen, sagt er nur: "Wenn einer erschossen wird, ist er selber schuld." Freese wird ins Zuchthaus Diez an der Lahn gebracht. Dort unternimmt er in den nächsten Jahren mehrere Fluchtversuche; einige können erst in letzter Sekunde durch Warnschüsse der Wachmannschaften gestoppt werden.

Am 1. Februar 1989 gelingt ihm jedoch die Flucht. Zwölf Tage später findet ein Bahnpolizist einen "ausgemergelten und zerstreuten alten Mann" in einem Schuppen am Bahndamm. Dieter Freese nennt seinen Namen und lässt sich widerstandslos festnehmen. In Wahrheit ist "der alte Mann" erst 49. Der Knast macht alt. 1992 gelingt ihm erneut die Flucht. Erst zwei Monate später findet ihn die Polizei erschöpft und abgemagert in der Nähe von Düsseldorf.

Am 27. September 1993 wird der 54-jährige Freese nach knapp 31-jähriger Haft aus der JVA Diez entlassen und in ein Betreuungsheim für ehemalige Langzeithäftlinge im Landkreis Euskirchen überstellt. Schon am nächsten Morgen verschwindet er von dort und taucht unter. Seither fehlt bis heute jede Spur von ihm.

Einige Medien behaupteten im Lauf der Jahre, er sei nur wenig später gestorben, ohne aber den Ort und die Umstände benennen zu können. Im Melderegister seiner Heimatgemeinde auf Rügen ging nie eine Sterbeurkunde einer deutschen Behörde ein. Falls Freese noch lebt, dann garantiert nicht in den Ofenkaulen im Siebengebirge: Die Haupteingänge sind längst zugemauert.

Die Ofenkaulen im Siebengebirge

600 Jahre lang, nachweislich seit dem 14. Jahrhundert, wurde Tuff aus dem Siebengebirge wegen seiner idealen physikalischen Eigenschaften zum Bau von Backöfen genutzt. Der Stein aus verfestigter vulkanischer Asche wurde erst über Tage, später zunehmend unter Tage abgebaut.

Mit der Anbindung Königswinters an das Eisenbahnnetz im Jahr 1870 boomte dort die Branche der Backofenbauer. 1890 waren in den Tuffbergwerken rund 250 Arbeiter beschäftigt: Steinhauer, Steinmetze, Ofenbauer, Transportarbeiter. Mit der Entwicklung moderner Elektrobacköfen und der Zäsur des Ersten Weltkrieges endete der Boom schlagartig.

1944 wurden auf Befehl von Göring Produktionsstätten der Rüstungsindustrie zum Schutz vor Luftangriffen der Alliierten in die Ofenkaulen verlegt. Dort stellten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Rheinland im März 1945 rund 400 Zwangsarbeiter, Frauen und Männer vor allem aus Osteuropa, in Zwölf-Stunden-Schichten Einspritzpumpen für die Motoren von Jagdflugzeugen her. In der Nachkriegszeit scheiterten alle Versuche, die mehr als 24 Hektar Grundfläche umfassenden Ofenkaulen wirtschaftlich sinnvoll zu nutzen.

1969 wurden die Haupteingänge mit Beton verschlossen. Auf Initiative des Forschungsinstituts des Bonner Museums Alexander Koenig wurden später Einflugschlitze in den Beton geschlagen, um Fledermäusen Schutz zu bieten.

Wer mehr über die Geschichte der Ofenkaulen erfahren möchte, ist im Siebengebirgsmuseum in Königswinter, Kellerstraße 16, an der richtigen Adresse. Nach aufwendiger Restaurierung und Erweiterung und mit neuem Konzept lädt das Museum seit September 2011 zu einer sinnlichen Zeitreise in die Geschichte des Siebengebirges ein.

Weitere Informationen im Internet: www.siebengebirgsmuseum.de

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