Flüchtlinge am Friedrich-List-Berufskolleg Start in ein neues Leben

BONN · Kumail und Mohammad haben Usedom und Hamburg, den Bodensee und Stuttgart, das Saarland und Düsseldorf mit Bleistiftlinien verbunden. Sie sind eine Schulstunde lang am Bonner Friedrich-List-Berufskolleg auf der Landkarte durch Deutschland gereist - kein Vergleich zu der Reise, auf die sie gehen mussten, um in Deutschland Zuflucht zu finden.

 Voll konzentriert: Kathrin Kalb unterrichtet eine internationale Klasse am Friedrich-List-Berufskolleg in Bad Godesberg.

Voll konzentriert: Kathrin Kalb unterrichtet eine internationale Klasse am Friedrich-List-Berufskolleg in Bad Godesberg.

Foto: Roland Kohls

Kumail flüchtete alleine aus Pakistan, seine Familie blieb in der Heimat zurück. Der 17-Jährige lebt seit einem knappen Jahr in Bonn, seit Januar besucht er eine der internationalen Förderklassen des Friedrich-List-Berufskollegs in Bad Godesberg. Der 19-jährige Mohammad stammt aus Afghanistan, er ist erst seit ein paar Wochen in Kumails Klasse. Auf ihrem Stundenplan steht viel Deutschunterricht - denn Deutschkenntnisse sind die Voraussetzung dafür, dass die jungen Flüchtlinge selbstbestimmt in Deutschland leben und einen Schulabschluss machen können. "Ich will Physiotherapeut werden", sagt Mohammad. Er träumt davon, einen guten Job, eine eigene Wohnung und ein Auto zu haben.

Mit seiner Entscheidung, das Friedrich-List-Berufskolleg zu besuchen, hat er den Grundstein gelegt. 115 Lehrer unterrichten dort 2700 Schüler in 140 Klassen. Der Schwerpunkt liegt auf kaufmännischen Berufen. Eine typische Berufsschule für die duale Ausbildung. Doch seit drei Jahren bietet das Friedrich-List-Berufskolleg auch internationale Förderklassen speziell für jugendliche Migranten an. Rund 70 Flüchtlinge und Jugendliche aus Spanien besuchen diese inzwischen fünf Klassen.

Neue internationale Klasse in Planung

Anders als der Großteil der Schüler, der nur an zwei Tagen pro Woche in der Schule ist und in der anderen Zeit die Ausbildung in einem Betrieb absolviert, wird in den internationalen Klassen täglich unterrichtet. "Das Problem ist, dass zuerst die Flüchtlinge kommen, und dann erst neue Lehrer", sagt Schulleiter Hermann Hohn. Momentan sei eine sechste internationale Klasse in Planung, weil auch im laufenden Schuljahr neue Schüler aufgenommen werden. "Sie sind alle unglaublich motiviert", erzählt Christoph Scheele, Bildungsgangleiter für die internationalen Klassen. "Manche bedanken sich nach dem Unterricht bei mir."

Das Friedrich-List-Kolleg bietet auch Berufsorientierungsprogramme an, Schüler können die Fachhochschulreife oder das Abitur erlangen oder ein duales Studium absolvieren. Die fünf internationalen Klassen arbeiten nach einem individuellen Förderkonzept: Zu Beginn besucht jeder neue Schüler eine sogenannte Auffangklasse. Von dort aus gelangen die Schüler je nach Deutschkenntnissen und Wissensstand in eine passende Klasse. Landeskunde, Englisch und Mathe stehen auf den Stundenplänen der drei Klassenstufen. Mohammad liebt Biologie, Kumail arbeitet gerne am Computer. Er hat in Pakistan ein IT-Diplom erworben, Mohammad in Afghanistan bereits Abitur gemacht. "Das wurde in Deutschland aber nicht anerkannt", sagt der 19-Jährige.

In der höchsten Klassenstufe bereiten sich die Schüler auf den Hauptschulabschluss vor. Danach können sie am Berufskolleg auch die mittlere Reife erlangen oder sich auf eine Ausbildung vorbereiten. Dann machen sie an drei Tagen pro Woche ein Praktikum. Praktika können die jungen Flüchtlinge auch schon während ihrer Zeit in der internationalen Klasse machen. Viele wissen schon ganz genau, welchen Beruf sie ergreifen wollen: Automechaniker und Arzt, Maler, Friseur und Elektriker stehen hoch im Kurs.

Wechsel auf die Gesamtschule

"Die Jugendlichen sind aufmerksam und konzentriert", lobt Schulleiter Hohn. Ein syrisches Mädchen sei so gut gewesen, dass es nach kurzer Zeit auf die Gesamtschule wechseln konnte, um Abitur zu machen. "Ein anderer Schüler musste aber erst einmal lesen und schreiben lernen", berichtet Hohn von den teils großen Bildungsunterschieden.

Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge wird die Bedeutung von Berufsschulen für Bildung, Integration und Arbeitsmarkt unterschätzt. Im Gegensatz zu anderen Schulformen seien die Lehrpläne hier an veränderte Anforderungen seit den 90er Jahren "zeitnah, effizient und bundesweit einheitlich angepasst worden", lobt Elisabeth Hoffmann, Koordinatorin Bildungs-, Familien- und Jugendpolitik bei der Stiftung in Sankt Augustin. Die Stiftung fordert, die Berufsschulen massiv zu stärken und insbesondere auch den Beruf des Berufsschullehrers attraktiver zu machen. In den Fächern Elektro- und Metalltechnik seien im Schuljahr 2012/13 177 Lehrer pensioniert, aber nur neun eingestellt worden. Hoffmann: "Wieso wird eigentlich Exzellenz von der Kita bis zur Uni gefördert, während Berufsschulen ein Stiefkind-Dasein fristen?"

Am Godesberger Berufskolleg wissen die Flüchtlinge, wie wichtig der Unterricht für ihre Zukunft ist. "Manchmal ist es so ruhig, dass ich mir wünsche, dass mehr gequatscht wird", sagt Kathrin Kalb, stellvertretende Bildungsgangleiterin für die internationalen Klassen. "Die jungen Menschen sind vielen Vorurteilen ausgesetzt und müssen sich quasi doppelt beweisen." Für ein Leben in Deutschland seien viele Hürden zu nehmen. "Am Anfang war es sehr schwierig, weil ich kein Deutsch konnte", erinnert sich Kumail. "Jetzt ist es aber schon besser."

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