Stadt Bonn zu 250 000 Euro Schmerzensgeld verurteilt

Familienvater nach Balkonsturz querschnittgelähmt - Gericht betritt mit Entscheidung juristisches Neuland

Christian Oeser  gewann seinen Prozess gegen die Stadt Bonn.

Christian Oeser gewann seinen Prozess gegen die Stadt Bonn.

Foto: Frommann

Bonn. Am Donnerstag hat Christian Oeser Geburtstag, doch sein "schönstes Geburtstagsgeschenk", wie er selbst es nennt, erhielt er schon am Mittwoch: Da gewann er seinen Prozess gegen die Stadt Bonn, denn die 1. Zivilkammer des Landgerichts betrat nach eigenen Worten "juristisches Neuland" und sprach dem 39-jährigen Familienvater, der seit einem Balkonsturz im Mai 2004 im Rollstuhl sitzt, ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich hohes Schmerzensgeld von 250 000 Euro zu. Hinzu kommt eine Entschädigung für Verdienstausfall und rollstuhlgerechte Umbaumaßnahmen im Haus von 30 000 Euro plus Zinsen.

Aber das Wichtigste: Das Gericht erlegt der Stadt die Übernahme sämtlicher Folgekosten aus dem Unfall auf, und die dürften angesichts der Lebenssituation Christian Oesers erheblich sein. Die allen Erkenntnissen nach bisher einmalige Begründung der Kammer: Der Baukontrolleur der Stadt hätte die 1994 eingestürzte gläserne Balkonbrüstung des privaten Mehrfamilienhauses wegen gravierender Sicherheitsmängel im April 1982 so nicht nicht abnehmen dürfen.

Damit hat sich die Stadt einer Amtspflichtverletzung schuldig gemacht, ist für die Querschnittlähmung des gelernten Ingenieurs verantwortlich und muss für seinen Schaden zahlen. Es geschah am 21. Mai 2004: Da fand in dem Haus in Beuel eine Geburtstagsfeier statt, zu der auch Christian Oeser, Vater von drei Kindern, eingeladen war.

Und als er mit dem Vater des Gastgebers auf dem Balkon stand und beide sich leicht gegen die gläserne Brüstung lehnten, passierte es: Das Glas brach, und beide Männer stürzten sieben Meter in die Tiefe. Der Vater des Gastgebers kam mit leichten Verletzungen davon, aber Oeser erlitt Brüche des fünften und sechsten Halswirbels und ist seitdem querschnittgelähmt mit allen denkbaren schwerwiegenden organischen Folgen.

Die Staatsanwaltschaft fahndete damals ergebnislos nach den Verantwortlichen des Baumangels: Der Bauherr und Architekt des Hauses war längst gestorben, und die Baufirmen nicht mehr greifbar. So blieb auch für Christian Oeser am Ende nur ein möglicher zivilrechtlich Verantwortlicher übrig: Die Stadt Bonn mit ihrem damals für die Bauabnahme zuständigen Kontrolleur, einem, wie es nun im Prozess hieß, besonders "pingeligen" Fachmann. Der beanstandete damals laut Abnahmeprotokoll auch tatsächlich so einiges an den Glaskonstruktionen im Haus.

Dass er jedoch nichts an dem Glas der Balkonbrüstung, die laut Bauplan ohnehin eigentlich aus Beton sein sollte, auszusetzen hatte, verstand der vom Gericht eingeschaltete Baugutachter nicht: Dieses Glas, so befand er, erfülle die Sicherheitsbestimmungen nicht und sei für einen solchen Zweck überhaupt nicht geeignet.

Für das Gericht steht damit fest: Die Stadt ist die einzige, die Christian Oeser in Regress nehmen kann - zu Recht. Denn, so Kammervorsitzender Heinz Sonnenberger: Es ist ihm nicht zuzumuten, nach weiteren Verantwortlichen zu suchen, wenn schon die Ermittler keinen fanden. Aber das Gericht weiß auch um die rechtliche Problematik dieses - sollte es Bestand haben - weitreichenden Urteils gegen eine Stadt: Die Richter fanden eigenen Angaben zufolge in der bisherigen Rechtsprechung keine entsprechende Entscheidung. (AZ: LG Bonn 1 O 552/04)

Die Stadt hat, so ihr Sprecher Friedel Frechen, "eine starke Neigung" Rechtsmittel einzulegen.

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