"Sie starben durch Mörderhand"

Das Schloss Brohleck war Sammellager für die Juden aus dem Kreis Ahrweiler vor dem Transport in die Vernichtungslager - Abschiedsbrief einer Mutter ist ein erschütterndes Dokument

Hochzeitsgesellschaft in Sinzig:  Mitglieder der jüdischen Familien Meyer, Bär, Wolff, Salomon und Faber. Repros: Vollrath

Hochzeitsgesellschaft in Sinzig: Mitglieder der jüdischen Familien Meyer, Bär, Wolff, Salomon und Faber. Repros: Vollrath

Kreis Ahrweiler. "Der anliegende Antrag der Jüdin Johanna Sara Berger wird aus staatspolizeilichen Gründen abgelehnt. Sie ist mit zu evakuieren." Dieses Schreiben der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) ging am 27. April 1942 im Ahrweiler Landratsamt ein - amtlich gestempelt, unterschrieben von einem Gestapo-Mann mit Namen Schubert. Die Paraphe des Nazi-Landrates Peter Simmer ergänzt einen Tag später das Dokument: "Zu den Akten - Juden."

Das war das Todesurteil für Johanna Sara Berger. Sie kam wie viele andere Juden aus dem Kreis Ahrweiler in einem Vernichtungslager der SS ums Leben, starb den qualvollen Tod im Gas. Am 27. Januar vor 56 Jahren wurde das größte Todeslager befreit, Auschwitz. Grund für einen Blick in die schwärzeste Zeit Deutscher Geschichte. Grund, Einzelschicksale zu hinterfragen und darzustellen, dass der Naziterror auch vor dem kleinsten Dorf nicht halt machte.

Johanna Berger, auf den Namenszusatz Sara wird im Weiteren verzichtet, da es sich um eine von den Nazis aufgezwungene Ergänzung handelt, hatte nach einem Strohhalm gegriffen, um ihr Leben zu retten. Gleich zwei Mal stellte sie im Frühjahr 1942 den Antrag, zu ihrem in der belgischen Hauptstadt Brüssel lebenden Mann auswandern zu dürfen. Wörtlich schreibt sie an das Bürgermeisteramt Niederzissen: "Derselbe ist dort beschäftigt und verdient genügend auch zum Lebensunterhalt für mich." Und weiter: "Da ich auf mein Gesuch noch ohne Ihren Bescheid bin und mir in den letzten Tagen mitgeteilt worden ist, dass ich mit einem Abtransport in Kürze zu rechnen habe, wäre ich Ihnen für beschleunigte Erledigung dankbar." Nichts wurde erledigt, und niemand hat jemals mehr ein Lebenszeichen von Johanna Berger erhalten.

Auswandern, das war die letzte Rettung für die Juden. "Ausgewandert", das war das menschenverachtende Wortspiel der Nazi-Bürokratie für deportiert. Die Worte "ausgewandert" und "von hier unbekannt wohin verzogen" standen über den Listen der Bürgermeistereien. So auch in Remagen am 26. April 1942. Hinter "unbekannt wohin verzogen" folgen Namen der Familien Faßbender, Levy, Wolffs und Marx. Und mit Datum 22. Juni 1942 die Namen Marx, Neumann, Levit und Gottschalk. In Sinzig kommen hinter dem Datum 26. April 1942 und "ausgewandert" die Namen Gottschalk, Hein, Liebmann, Meyer, Salomon und Wolff.

Zentrale Sammelstelle für die Juden des Kreises Ahrweiler 1942 war das Schloss Brohleck in Brohl. Von dort wurden sie in die Vernichtungslager gebracht, nach Auschwitz, Theresienstadt, Sobidor, Bergen-Belsen, Mauthausen.

Ein erschütterndes Dokument dieser Deportationen ist der Abschiedsbrief einer Mutter an ihre Kinder, den sie kurz vor ihrem Abtransport nach Theresienstadt am 23. Juni 1942 in Niederzissen schrieb: "Da ich eben an dich so viel denke, so will ich vor unserer Abreise von hier paar Zeilen an dich schreiben. Bis jetzt sind wir gesund... Von unserm Leid brauch ich dir nicht zu erwähnen... Du mein lieber Siegmund hast Glück und das Glück wird dich nicht verlassen. Thresjen war 14 Tag zu spät, sonst wär es bei dir... Bleib gesund, aufs Wiedersehen so Gott will."

Ottilie Berger, die diesen Breif schrieb, starb mit 73 Jahren in Theresienstadt. Ihren Sohn Siegmund erreichte das Schreiben nie. Er starb kurz nach seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten.

Nach der letzten Deportation im Sommer 1942 lebten im Kreis Ahrweiler noch drei jüdische Ehefrauen. Alle anderen waren "unbekannt verzogen" oder wie es in der letzten Postkarte des Ehepaares Müller aus dem Brohler Sammellager hieß "nach Theresienstadt/Böhmen abgereist".

Im alten Ahrweiler Kreishaus an der Wilhelmstraße mahnt eine Bronzetafel: "Den Opfern der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Gedenken. Der Landkreis Ahrweiler."

Doch mahnender ist der Gedenkstein Familie Berger in Niederzissen. Unter den Namen von 13 Opfern steht: "Sie starben durch Mörderhand."

Holocaustopfer im Kreis Ahrweiler

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