Schießtraining bei der Bundespolizei: Lautlos im Luftschutzraum

Wie sich Auszubildende in Swisttal auf den Dienst vorbereiten

Swisttal-Heimerzheim.Schönen Gruß vom Kalten Krieg. Die stählerne Kellertür ist massiv und bauchig, versehen mit einem aufwendigen Sicherheitsmechanismus. So riegelte man in den 70er Jahren Luftschutzräume ab.

Aus dieser Zeit stammt das unscheinbare Wohngebäude der Bundespolizei in Swisttal-Heimerzheim. Damals nannte man sich Bundesgrenzschutz, der Feind saß im Osten, und trotz politischer Entspannung wappnete sich der Staat gegen die Auswirkungen eines atomaren Schlags.

Die beiden uniformierten Männer, die sich durch das Treppenhaus dem Kellereingang nähern, haben diese Zeit nicht miterlebt. Als sie geboren wurden, bröckelte der Ostblock bereits. Arne Gößling und Sebastian Schäfer sind Anfang 20 und Anwärter für den mittleren Dienst der Bundespolizei. Zwei von gut Hundert, die in Heimerzheim gerade ihr zweites Dienstjahr absolvieren.

Die Gefahr lauert nicht mehr außerhalb der Bunkertür, sondern im Keller. Jedenfalls an diesem Morgen. Das Untergeschoss der Unterkunft ist Schauplatz einer Schießübung. "Lärm im Keller eines Hauses auf einem Bahngelände. Überprüfen Sie das" - die Einweisung von Lehrgruppenleiter Michael Rödder ist minimalistisch. Gößling und Schäfer wissen, was zu tun ist. Auf ihren robusten Stiefeln schleichen sie in den Keller, blicken auf langen Fluren in jeden Winkel, hinter jede Tür.

Aus einem Raum dringt laute Musik. Als sie ihn betreten, ist es fast schon zu spät. Auf einer Leinwand streiten zwei Männer in einer Filmszene miteinander, der eine zielt mit einer Pistole auf den anderen, der scheinbar hilflos auf einem Stuhl sitzt. "Waffe runter auf den Boden! Waffe runter", schreit Gößling, die Pistole im Anschlag. "Treten Sie vor", brüllt Schäfer das Bild an. Das kann der Leinwandmann nicht, aber er legt die Pistole brav auf den Boden. Harry Olfert macht es möglich.

Im Stile eines Regisseurs kauert der Ausbilder in einer Ecke des halbdunklen Kellerraums und beobachtet das Geschehen mit Argusaugen. Am Laptop steuert er den Lehrfilm. Den Mann mit der Pistole kann Olfert per Mausklick auch flüchten lassen. Oder ihn zu Boden bringen - wenn ihn einer der Anwärter trifft. Die tragen bei der Übung eine umgerüstete Neun-Millimeter-Dienstwaffe, die nicht scharf schießt, sondern lautlos, per Laser.

Was jetzt? Das Bild steht, die Anwärter zögern. Die Waffe sicher stellen, klar. Beide machen einen Schritt darauf zu. "Und was ist mit dem auf dem Stuhl?", fragt Rödder. "Der ist doch gefesselt", meint Schäfer, es klingt unsicher. Kann sein. Kann aber auch nicht sein: "Er könnte ein Messer ziehen. Oder nach ihnen treten", gibt der Gruppenleiter zu bedenken. "Stellen Sie sich vor, das ist ein Streit zweier Drogendealer. Sie wissen nie, was Sache ist."

Kurz nach Elf, Mittagessen. In der Kantine gibt es Frikadellen mit Erbsen und Möhren. Junge Männer und Frauen in grünen und blauen Uniformen stehen an der Theke. Sandy Wolfram hat keinen großen Appetit. Ein belegtes Brötchen reicht. Vielleicht kocht sie heute selbst etwas, später, in der Unterkunft.

Bei der Übung mit der Laserpistole hat die 19-Jährige auf den Leinwandmann geschossen und getroffen. Rechtlich war das vertretbar: Nothilfe. "Das sind Sachen, die man in so einer Situation im Kopf haben muss", sagt Sandy Wolfram. Scharf geschossen hat sie schon oft, bei Übungen.

Das sei kein Vergleich mit Laser, allein wegen des Knalls und des Rückstoßes. Der geht durch Mark und Bein. "Beim ersten Mal kriegt man einen riesigen Schreck", erzählt die junge Frau. Den Arm hat es ihr hochgerissen, und dann hörte sie über den Ohrenschützer ihr Herz pochen.

Doch den Respekt vor der Pistole hat sie abgelegt. "Wer Angst davor hat, ist bei der Polizei sowieso fehl am Platz." In der Realität kann es vorkommen, dass ein Beamter jahrelang nicht schießen muss. Wenn es doch passiert und jemand zu Schaden kommt, dann bietet die Polizei psychologische Betreuung. Die Anwärter lernen das. Und auch das hören sie immer wieder: Die wichtigste Waffe, pflegt Ausbilder Rödder zu sagen, sei die Kommunikation.

Castor-Transport? Ja, da sei er schon im Einsatz gewesen. Aber nur abseits der Demonstrationen, eine Unterkunft der Kollegen bewachen. Für Tim Radenbach war es das erste Praktikum während der Ausbildung, und das in voller Montur. Inklusive Schutzweste wiegt die Ausrüstung eines Bundespolizisten bis zu 23 Kilogramm. Wer drinsteckt und sich viel bewegt, muss gut durchtrainiert sein.

Die Bundespolizei in Swisttal-HeimerzheimEs liegt ein bisschen versteckt am Rande von Swisttal-Heimerzheim, erstreckt sich aber über ein Areal von insgesamt 38 Hektar: das Aus- und Fortbildungszentrum der Bundespolizei. 1978 wurde es vom damaligen Bundesgrenzschutz (BGS) als Dienststelle zur Ausbildung eröffnet.

Inzwischen ist Heimerzheim nach Sankt Augustin und Berlin-Blumberg der drittgrößte Standort der Bundespolizei. Rund 280 Auszubildende bereiten sich hier zurzeit für den mittleren Dienst vor. Die Ausbildung dauert zweieinhalb Jahre und umfasst 3 526 Unterrichtsstunden plus 22 Wochen Praktika. Diese werden unter anderem bei der Bahn- und Grenzpolizei sowie der Luftsicherheit geleistet.

Und auch jetzt muss sich der 22-Jährige ins Zeug legen. Er trägt zwar nur seine Alltags-Uniform. Aber auch in der kann es bei der bevorstehenden Aufgabe - Schießen unter Belastung - heiß werden.

Zusammen mit Arne Gößling läuft Radenbach fünf Mal die Treppe des Wohnheims rauf und runter, dann geht es in den Keller: Liegestütze und Boxen. Einer hält ein Thai-Pad, erst vors Gesicht, dann vors Knie. Der andere boxt und tritt in schneller Abfolge darauf ein. Minutenlang. Manchmal wird es Ausbilder Harry Olfert zu gemächlich: "Boxen, nicht streicheln!"

Nachdem sie ihren Puls hochgejagt haben, rennen die beiden Anwärter in die Schießanlage. Unter dem Lärm dröhnender Metalmusik zielen sie mit der Laserpistole auf ein kreisendes Symbol. Treffer.

Und noch einer. Tim Radenbach ist zufrieden. Eigentlich ist er gelernter Schweißer. "In diesem Beruf habe ich immer nur dasselbe gemacht. Die Bundespolizei bietet mir mehr Abwechslung." So auch heute. Gleich, nach Feierabend, geht es ans Lernen. Für einen theoretischen Test.

Der GA begleitet die Anwärter der Bundespolizei in Swisttal-Heimerzheim auch weiterhin bei ihrer Ausbildung.

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