GA-Serie "Rheinische Redensarten" Lück sin och Minsche

In der Serie „Rheinische Redensarten“ beleuchten wir mit Unterstützung von Dialektsachverständigen bedeutungstiefe Redewendungen.

Einen besonderen Reiz gewinnt der Dialekt immer, wenn er mit einem kleinen Schwenk ins Widersprüchliche, wahlweise Redundante eine philosophische Betrachtungsweise ermöglicht. Und weil die sogenannte Metaebene aus dem Alltagsverständnis heraus gar nicht so leicht nachvollziehbar ist, bedarf sie der genaueren Betrachtung.

Nähe und Distanz

Eine solche rheinische Redensart haben wir uns heute vorgenommen. Sie lautet: „Lück sin och Minsche“. Eine gern genommene Wendung, um Nähe und Distanz zu bezeichnen, aber dazu später. Denn da hilft die wörtliche Übersetzung ins Hochdeutsche zunächst kaum weiter: Leute sind auch Menschen. Nun könnte man sich eine Bedeutung zusammenreimen.

Menschliche Individualität

Das Wort Leute ist ein Sammelbegriff, der eine größere anonyme Masse bezeichnet. Und da fällt es gelegentlich schwer, deren Bestandteilen eine menschliche Individualität zuzuerkennen. Um aber genau darauf hinzuweisen, dass auch „Leute“ in größeren Gruppen durchaus „Menschen“ mit persönlichen Wünschen, Zielen und Vorstellungen unabhängig von der Gruppe sind, könnte der Satz geprägt worden sein.

Höher gestellte Kreise

Wie unsere Mundartsprecherin aus Dünstekoven allerdings zu berichten weiß, ist damit der Kern der Aussage noch lange nicht erfasst. In manchen Landstrichen werden mit dem Begriff „Lück“ etwas höher gestellte, arriviertere gesellschaftliche Kreise bezeichnet. Und weil im Rheinischen oft der Unterschied zwischen Oben und Unten sowie Arm und Reich thematisiert wird, ist dies auch hier Ziel der Betrachtung.

Liebe, Lust und Trauer

Die Aussage lautet also: Auch die Reichen und Berühmten, von denen man die Vorstellung hat, ihr Vermögen erspare ihnen manche menschliche Sorge, sind letztendlich nur verletzliche Menschen. Die wesentlichen Lebensereignisse, die wichtigsten Parameter wie Liebe, Lust, Trauer und Tod, Langeweile und Geselligkeit sind unabhängig von der eigenen Situiertheit und Saturiertheit überall gleich. Und das ist doch eine beruhigende Erkenntnis.

Die Artikel zum rheinischen Dialekt entstehen in Zusammenarbeit mit dem Heimatfilmer Georg Divossen (www.bönnsch-abc.de). Haben auch Sie einen Lieblingsspruch, dann mailen Sie ihn uns an rheinisch@ga.de.

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