"Eine Tragödie auf beiden Seiten"

Sonderausstellung in Haus Schlesien widmet sich Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Deutschen und Polen.

"Eine Tragödie auf beiden Seiten"
Foto: Holger Handt

Heisterbacherrott. "Ich war sechs Jahre alt, als wir von Trachenberg weg sind", erzählt der ehemalige Uni-Professor aus Bonn, der nicht namentlich genannt werden will, im Haus Schlesien. In klirrender Kälte, damals im Winter 1945. Die Mutter verstarb an Lungenentzündung. "Ich hatte nur noch die Großmutter." Bis 1948 der Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte und den Rest seiner Familie fand.

"Es war ein Schock für ihn." Das Leben hatte sich durch die Vertreibung komplett verändert. Nicht nur die Ehefrau war tot. Die Heimat in Schlesien war verloren, das Vermögen weg. Der einstige Dozent: "Ich besuchte sechs verschiedene Schulen. Wir zogen immer hin und her. Aber ich hatte das Glück, auf Lehrer zu treffen, die mich förderten." Es ist ein Schicksal von Tausenden. Im Haus Schlesien eröffnete jetzt dessen Präsident Reinhard Blaschke eine Ausstellung unter dem Titel: "Exodus des Bartschtals - Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Deutschen und Polen."

Er sagte: "Es war eine Tragödie auf beiden Seiten." Im Auditorium saßen viele, die selbst Flucht und Vertreibung durch den Zweiten Weltkrieg erlebten. So wie der Bonner Professor.

Die zweisprachige Schau beschäftigt sich konkret mit dem Los der Menschen, die bis 1945 im Bartschtal, dem ehemaligen Kreis Militsch-Trachenberg im Bezirk Breslau lebten, und jenen, die seitdem dort wohnen.

Auf Tafeln sind die Berichte von ehemaligen deutschen Bewohnern nachzulesen, die ab Januar 1945 Haus und Hof verlassen mussten, und die ihrer polnischen Nachfolger, die Flucht und Zwangsumsiedlung aus ihrer Heimat in Ostpolen beschreiben. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt der fünf polnischen Gemeinden des Bartschtals und der Heimatkreisgemeinschaft Militsch-Trachenberg.

"Diese Schilderungen gehen unter die Haut", so Angelica Schwall-Düren, die NRW-Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und Schirmherrin der Ausstellung. Piotr Lech, der heutige Landrat des Kreises Militsch, sprach aus eigener Betroffenheit: "Meine Kinder sind Kinder der schlesischen Erde. Mein Vater war nicht Kind der schlesischen Erde. Er hat ebenfalls am Exodus teilgenommen."

Die Vizelandrätin des Rhein-Sieg-Kreises, Notburga Kunert, sagte mitfühlend: "Heimatlos zu werden ist eines der schwersten Schicksale." Und: "So lange Zeitzeugen da sind, ist das die beste Schulung für die junge Generation." So attestierte Königswinters Vizebürgermeister Professor Peter Gola dieser Ausstellung auch eine "Frieden stiftende Funktion". Hans Joachim Nitschke von der Heimatkreisgemeinschaft als Mitinitiator betonte: "Beide Seiten haben eines gemeinsam: Sie mussten ihre Heimat gegen ihren Willen verlassen. Diese Aufarbeitung war längst überfällig."

Es sind erschütternde Schilderungen. Da berichtet etwa Helena Plökarz, wie sie als Elfjährige im Viehwaggon im Juli 1945 in Schlesien ankam. Das Haus war leer. Eine deutsche Nachbarin gab der Mutter Gardinen, die auch noch zum Nähen von Kleidung reichten. Die in der Heimat zurückgebliebene Oma wurde erschlagen. Oder: Heidrun Karkosch entdeckte im Bremserhaus ihres Zuges, mit dem sie aus der schlesischen Heimat wegfuhr, eine "Puppe". Die Mutter klärte sie auf. Es war ein erfrorenes Baby. "Ich habe an der Strecke noch viele ,Puppen' gesehen."

Renate Frings aus Wachtberg war ebenfalls zur Eröffnung erschienen. Sie stammt zwar aus dem Kreis Leobschütz. Aber ihr Schicksal war ähnlich. "Es kommt jetzt im Alter wieder hoch. Im März '45 sind wir weg, gelangten bis in die Tschechoslowakei. Im Mai sind wir in die Heimat zurück. Unser Haus war komplett geplündert. Wir waren vogelfrei."

Die Ausstellung ist bis 13. Februar im Haus Schlesien zu sehen, und zwar dienstags bis freitags von 10 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr. Am Sonntag, 30. Januar, 15 Uhr findet eine Lesung mit Brigitte Diez-Völkening, Autorin der Trilogie "Frauenleben", statt.

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