Flüchtlinge in Oberpleis Ein neues Zuhause auf Zeit

OBERPLEIS · Auf der Tafel steht noch der Tagesablauf für den 16.7.2013. Der letzte Tag, bevor die Paul-Moor-Schule für immer die Türen schloss. Seitdem lag die Schule im Dornröschenschlaf. Die Stühle, Tische, Tassen, Teller, der Traumfänger im Zelt im Außengelände - all das und noch viel mehr wurde einfach zurückgelassen.

 Nahezu perfekt: Manche Räume müssen nur noch möbliert werden, damit die Flüchtlinge einziehen können und alles Notwendige vorfinden.

Nahezu perfekt: Manche Räume müssen nur noch möbliert werden, damit die Flüchtlinge einziehen können und alles Notwendige vorfinden.

Foto: Homann

Die Türen wurden abgeschlossen, die Tore am Zaun verriegelt. Bis die Stadt Königswinter im Sommer die Schule kaufte, um daraus eine Heimat auf Zeit für 80 Asylbewerber zu machen. In dieser Woche sind dort die ersten 17 Asylbewerber untergebracht worden.

Im Vorfeld hatte es durchaus Kritik an der Wahl der Schule als Unterkunft gegeben. Zu klein, zu eng. Ein Gang durch das Gebäude zeigt jedoch: Um kurzfristig Unterbringungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge zu schaffen, ist das Gebäude ideal. Dass die Zeit drängt, ist für jeden inzwischen augenscheinlich.

Denn die Zahl der Flüchtlinge steigt täglich, der Blick auf die Notunterkunft, die Königswinter am Palastweiher innerhalb von drei Tagen errichten musste, spricht Bände. Wohin mit diesen Menschen? Wo sollen sie bleiben, bevor über ihren Asylantrag entschieden ist?

Die Unterkunft in Stieldorf ist überbelegt, die dezentrale Unterbringung der Asylbewerber in Wohnungen gestaltet sich, gelinde gesagt, schwierig. Die Besitzer verlangen teilweise horrende Mieten oder bieten Schrottimmobilien an, die die Stadt sanieren soll. Grundsätzlich möchte die Stadt ein eigenes, neues Übergangsheim bauen, möglicherweise an der Herresbacher Straße in Oberpleis.

Doch ein Neubau muss den Weg der Genehmigungen gehen - und das braucht Zeit. Zeit, die die Stadt nicht hat. Denn auch wenn man jetzt eine Notunterkunft betreibt, die Asylsuchenden werden der Stadt entgegen allen Zusicherungen auch weiter zugewiesen, davon ist Sozialdezernentin Heike Jüngling überzeugt: "Irgendwo müssen die Menschen ja hin", sagt sie. Jene, die jetzt in Turnhallen oder Zeltstädten auf ihr zumindest vorübergehendes Zuhause warten.

Die Stadt hat gezögert, bevor sie sich für die Paul-Moor-Schule entschied, auch weil sie Widerstand befürchtete. Sie prüfte alle möglichen Gebäude, doch sie alle waren letztendlich nur begrenzt geeignet. Die Schule jedoch erfüllte die meisten Ansprüche. Es gibt ausreichend sanitäre Einrichtungen, Küchen, ausgestattet mit Herden, Spülmaschinen und Waschmaschinen, die Schule ist barrierefrei, hat breite Flure und Räume, die sich ohne großen Aufwand in wohnliche Zimmer umwandeln ließen.

Ganz abgesehen von einer Turnhalle und einem großzügigen Außengelände mit Spielplatz und Holzhütten zum Verweilen. Alleine das Grundstück - samt angelegtem Gemüse- und Obstgarten - hat eine Größe von 7000 Quadratmetern, die Fläche des Gebäudes liegt bei 2500 Quadratmetern. Trotz der Unterbringung der Fraktionen bleiben pro Flüchtling als reiner Schlafraum (ohne Aufenthaltsräume, Flure, Küchen) rund sieben Quadratmeter.

Das mag auf den ersten Blick nicht viel sein, ist aber mehr als in vielen anderen Unterkünften. Das Besondere: Durch die ehemalige Aufteilung in Klassenräume entstehen kleine Wohneinheiten, in einem Fall sogar mit bereits installierter Küche. Trotzdem hat die Stadt noch einmal alle Räume generalüberholt, um das Ambiente für die neuen Bewohner so angenehm wie möglich zu gestalten.

Die denkbaren 80 Flüchtlinge werden nicht auf einmal einziehen, sondern nach und nach. Die städtischen Mitarbeiter haben sich viele Gedanken gemacht, wer am besten zu wem passt. Mit der Zeit, so hofft die Stadt, soll sich das Gelände mehr und mehr mit Leben füllen. Die Zäune rund um die Schule hat man bewusst stehen gelassen, damit die Asylbewerber das Gefühl haben, dass sie in einem geschützten Raum sind.

Und die Stadt hofft, dass sich Ehrenamtliche finden, die sie dabei unterstützen, das Gebäude wirklich zu einem Zuhause zu machen. Zum Beispiel jemand, der das Glashaus im Garten gemeinsam mit den Flüchtlingen wieder bepflanzt. Oder dass sich eine Gruppe bildet, in der Oberpleiser und Flüchtlinge gemeinsam in der Turnhalle Sport treiben.

Wie lange die Menschen in der Schule wohnen werden, lässt sich derzeit schwer sagen. Denn bei den täglich steigenden Flüchtlingszahlen wird sich zeigen müssen, ob eine neu zu bauende Unterkunft - wo auch immer - ausreicht.

Aber selbst wenn die Schule irgendwann nicht mehr für diesen Zweck gebraucht wird, eine Fehlinvestition war der Kauf nicht - Volkshochschule, Verwaltung und Vereine haben bereits ihr Interesse an der Nutzung angemeldet.

Ratsfraktionen ziehen in die Schule

Nur die Linke lehnt bisher einen Umzug ihrer Fraktionsräume aus der Bahnhofstraße in der Altstadt in die Paul-Moor-Schule kategorisch ab. SPD und Königswinterer Wählerinitiative würden zwar gerne in ihren Räumen in der Altstadt und im Mathildenheim in Oberpleis bleiben, sehen jedoch die Symbolkraft, künftig mit den Flüchtlingen unter einem Dach zu wohnen.

Den ersten Anstoß hatte die CDU-Fraktion gegeben, die sich im Gebäude der Wirtschaftsförderungs- und Wohnungsbaugesellschaft in der Altstadt im Gegensatz zu den Sozialdemokraten nicht wohlfühlt. Auch die Koalitionspartner, Grüne und FDP, können sich den Umzug in die ehemalige Förderschule gut vorstellen.

Die Stadtverwaltung hat errechnet, dass der Kämmerer statt der derzeitigen Miete in Höhe von 35.700 Euro für die sechs Geschäftsstellen nur noch 27.000 Euro bezahlen müsste, wenn alle Fraktionsräume und ein Sitzungsraum in der Paul-Moor-Schule untergebracht werden.

Asylbewerber und Flüchtlinge

Zurzeit leben in der Stadt nach Auskunft der Königswinterer Verwaltung 285 Asylbewerber. 200 von ihnen wohnen im Flüchtlingsheim in Stieldorf, 17 seit dieser Woche in der Paul-Moor-Schule in Oberpleis. 68 weitere Personen sind dezentral in Wohnungen einquartiert worden, davon 20 wegen Platzmangels nur vorübergehend. Sie sollen baldmöglichst in die Paul-Moor-Schule umziehen.

Mit 56 Personen bilden die Albaner die größte Gruppe unter den Asylbewerbern in Königswinter. Die zweitgrößte Gruppe stellen die Syrer mit 45 Personen. Es folgen Serben (38), Kosovaren (23), Afghanen (14), Russen (13), Eritreer (11) und Iraker (10).

Unabhängig davon ist die Zahl von rund 100 Flüchtlingen, die in der Notunterkunft am Palastweiher untergebracht worden sind. Auch sie stammen laut Stadt aus mehr als zehn verschiedenen Ländern. Wie lange sie in Königswinter bleiben werden, ist derzeit noch unklar. Diese Flüchtlinge haben bislang noch keine Asylanträge stellen können.

Das Ende war unausweichlich

Zahlen ließen Kreis keine Wahl

Mit einem Trommelwirbel verabschiedeten sich die letzten Schüler der Paul-Moor-Schule am 17. Juli 2013 von der Einrichtung. Die Aufführung der Trommelgruppe ließ sich auch Landrat Frithjof Kühn damals nicht entgehen. Der Rhein-Sieg-Kreis war Träger der Einrichtung im Siebengebirge.

Am 25. Oktober 2012 hatte der Kreistag beschlossen, dass die Förderschule mit dem Schwerpunkt "Geistige Entwicklung" zum Ende des Schuljahres 2012/2013 auslaufen sollte. Die Einrichtung hatte bereits seit Jahren unter stark zurückgehenden Schülerzahlen zu leiden. Im letzten Jahr besuchten sie lediglich noch 42 Schüler. Für das Schuljahr 2013/2014 wurden sogar nur 25 Kinder angemeldet. Die Prognose für die Folgejahre ließ auf keine Verbesserung hoffen. Ausgelegt war die Schule hingegen auf 60 bis 70 Schüler.

1981 hatte die Einrichtung, damals noch als "Schule für geistig Behinderte", den Betrieb aufgenommen. 3,9 Millionen Mark kostete der Bau samt dem benachbarten heilpädagogischen Kindergarten. 1982 erhielt sie den Namen des Heilpädagogen Paul Moor. Vier Jahre nach ihrer Gründung wurde die Einrichtung zur berufsvorbereitenden Werkstufenschule für Jugendliche im Alter von 16 bis 21 Jahren umgewandelt, was zu diesem Zeitpunkt in NRW einmalig war.

Bereits im Herbst 2012 hatte die Königswinterer CDU eine Anfrage gestellt, ob es Gespräche zwischen dem Kreis und der Stadt wegen einer möglichen Übernahme der Liegenschaft gegeben habe. Im Oktober 2013 beschloss der städtische Hauptausschuss wegen der nach seiner Meinung überzogenen finanziellen Vorstellungen des Kreises und der Sanierungsbedürftigkeit des Gebäudes vorerst nicht zu kaufen und mit dem Kreis nachzuverhandeln.

Durch die immer weiter steigende Zahl der Flüchtlingszuweisungen nach Königswinter wurde das Thema in den vergangenen Monaten jedoch immer drängender, auch wenn hier nur vorübergehend Asylbewerber untergebracht werden sollen. Dauerhaft ist das Gebäude als Verwaltungsstandort vorgesehen. Ende April 2015 einigten sich Stadt und Kreis auf den Eigentumswechsel. Der Kaufpreis soll bei rund 1,2 Millionen Euro liegen.

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