Ein Plädoyer für die Zweisamkeit

Die Bonnerin Annette Schwindt dokumentiert Paargeschichten von Behinderten und Nichtbehinderten - "Es gibt Möglichkeiten, ein ganz normales Leben zu führen"

  Ihre Geschichte  haben Annette Schwindt und Thomas Reis ins Internet gestellt.

Ihre Geschichte haben Annette Schwindt und Thomas Reis ins Internet gestellt.

Foto: Frommann

Bonn. Miriam und Bert, Kirsten und Karsten, Silke und Dirk, Tanja und Oliver - sie haben sich kennengelernt bei einem Spiel der Kölner Haie, auf dem Schützenfest, bei Freunden oder im Internet. Es sind Geschichten wie viele andere auch, nur dass Tanja ihrem Oliver "Du wirst Papa" in Gebärdensprache sagte und der Bundestrainer für Rollstuhltanz mit Kirsten und Karsten den Brautwalzer übte.

"Zweisames" (2sames) heißt das Projekt der Bonnerin Annette Schwindt, die vor einem Jahr die ersten Paargeschichten im Internet veröffentlicht hat. Unter www.2sames.de findet man Paare mit einem behinderten und einem nichtbehinderten Partner. "So eine Beziehung funktioniert nicht anders. Doch aus Unwissenheit können sich viele das nicht vorstellen", sagt Annette Schwindt.

Die Journalistin und ihr Mann Thomas Reis, der querschnittgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt, kennen die Vorurteile. Sie möchten erreichen, dass das, was für sie ganz selbstverständlich ist, auch für andere zur Selbstverständlichkeit wird. Der Anstoß für Annette Schwindt kam von einem Freund - selbst Rollstuhlfahrer und mit einer Fußgängerin verheiratet. Er sagte: "Was glaubst du, was ihr schon alleine dadurch bewegt, dass die Leute euch zusammen sehen."

Wenn man die Paargeschichten liest, soll nicht die Behinderung im Vordergrund stehen. Es gibt Fotos, auf denen man nicht erkennt, welcher der Partner behindert ist und es bleibt den Einzelnen überlassen, wie viel sie von sich preisgeben möchten. Manche Paare sind verheiratet, andere nicht, es gibt Fernbeziehungen, Patchworkfamilien, Liebe auf den ersten Blick und Freundschaften, die langsam Liebe wurden.

2sames ist kein Selbsthilfeangebot, sondern eine journalistische Dokumentation. "Es gibt genug Beratungsseiten im Internet", meint Annette Schwindt. Manchmal wenden sich Frauen an sie, die sich in einen behinderten Mann verliebt haben. "Ich kann dazu nur meine Meinung sagen."

Wenn Annette Schwindt mit ihrem Mann unterwegs ist, wird sie oft für seine Pflegerin gehalten. Im Restaurant bekommen die Eheleute schon mal getrennte Rechnungen. Eine Frau und ein Mann im Rollstuhl - dass sie als Paar wahrgenommen werden, ist längst nicht selbstverständlich. Gelegentlich stoßen die Beiden aber auch auf großes Mitteilungsbedürfnis, besonders bei älteren Damen. "Sie erzählen dann zum Beispiel, dass es ihrem Mann ja auch so schlecht geht", berichtet Thomas Reis. Einmal hat er fünf Mark geschenkt bekommen. Aus Mitleid.

Vorbehalte gegen eine Beziehung gibt es nicht nur bei den Nichtbehinderten und ihren Familien. Auch die Eltern Behinderter sehen den neuen Mann oder die neue Frau im Leben manchmal kritisch, weil sie fürchten, dass ihr Kind verletzt wird. Annette Schwindt hat inzwischen mit vielen Menschen gesprochen.

Sie weiß: "Es kommt auch sehr oft vor, dass Behinderte denken, sie könnten keine Beziehung haben." Thomas Reis möchte mit seinem Beispiel Mut machen: "Es gibt Möglichkeiten, ein ganz normales Leben zu führen." Für Annette Schwindt geht das Projekt weiter. Sie schreibt zurzeit an einem Buch über Beziehung und Behinderung.

Im Internet findet man unter www.2sames.de die Geschichten und ein Diskussionsforum zu Beziehung und Behinderung, zu dem man sich anmelden muss.

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