Die Hesse komme - Und dann gingen sie doch

In die alte Villa in der Bonner Kurt-Schumacher-Straße 8 ziehen niederländische Unternehmensberater der Stromwirtschaft ein - In der Hessenstube wurde einst die rot-grüne Regierungskoalition angebahnt

  Beliebter Treffpunkt:  Zu den Hessen kamen die Gäste immer gerne.

Beliebter Treffpunkt: Zu den Hessen kamen die Gäste immer gerne.

Foto: Friese

Bonn. (ma) "Die Hesse komme" versprachen die Hessen seit der Premiere 1977 alle Jahre wieder ihren Bonner Sommergästen. Und dann gingen sie doch. Nach Berlin, wie alle föderalen Kollegen. Nach mehr als 50 Jahren wurde das Kapitel Bonn geschlossen.

In der Jahrhundertwende-Villa in der Kurt-Schumacher-Straße 8 eröffnet die KEMA-Gruppe mit rund 20 Mitarbeitern ihre Bonner Dependance.

Das Unternehmen mit Hauptsitz in den Niederlanden berät die Stromwirtschaft. "Eine schöne Ergänzung zur Solarworld ein paar Häuser weiter in der ehemaligen Saarland-Vertretung", findet Marc Asbeck. Der Bonner Immobilienunternehmer hat mittlerweile die halbe Kurt-Schumacher-Straße aufgekauft.

Die Hessen hatten hier seit 1949 Bundesrats-Politik gemacht. Anfangs eher mit Verdruss, zu groß war die Enttäuschung über den knappen Beschluss des Parlamentarischen Rates, die Kleinstadt Bonn und nicht die Hessen-Metropole Frankfurt am Main zur vorläufigen Bundeshauptstadt zu machen. Hinzu kam, dass die Mitarbeiter in sehr beengten Verhältnissen arbeiten und leben mussten, Dienst- und Wohnräume wurden durch Bretterverschläge unterteilt.

Aber irgendwann müssen sich die Hessen mit den Rheinländern versöhnt haben. Gemessen an den Menschenmengen, die übers Jahr in die Hessen-Vertretung strömten, sich über Hessens Wirtschaft, Kunst und Kultur kundig machten und sich in großen Mengen hessische Rippchen, Aahler Worscht und Frankfurter Würstchen einverleibten. Die Hessen-Vertretung mitten in Bonns föderalem Viertel war ein beliebter Treffpunkt, in dem die Anfang der 80er Jahre eingerichtete Hessen-Stube auch politisch ein Rolle spielte.

Hier soll auch die rot-grüne Regierungskoalition angebahnt worden sein, fanden erste Annäherungen zwischen Grünen-Chef Joschka Fischer und den Spitzen-Genossen um Gerhard Schröder statt. Diskret, versteht sich. Und ein Heimspiel für Fischer, der als hessischer Landesminister für Bundesangelegenheiten von 1991 und 1994 hier Hausherr gewesen war.

Mit der Fischer-Ära verbindet die damalige Pressesprecherin Eva Maria Keuchel eine besonders rege Einladungspolitik. Der Grünen-Politiker kannte viele Leute und hatte viele Kontakte. Entsprechend hochkarätig war beispielsweise seine Diskussionsreihe "Deutschland, was nun" besetzt, die Fischer selbst moderierte. Schon damals habe sich abgezeichnet, dass Fischer noch hoch hinaus wollte.

Heinrich Böll und Lew Kopelew waren in der Amtszeit der Bevollmächtigten Vera Rüdiger häufig zu Gast, Mitte der 90er Jahre hießen die Hessen den Dalai Lama zu einem informellen Ruhepäuschen im Hessen-Haus willkommen.

Nach der politischen Farbenlehre waren die Hessen immer ein bunter Hund. Auf schwarzen, grünen und blau-gelben Socken kamen die Bevollmächtigten daher, entsprechend den jeweiligen Koalitionen im Landtag.

Vorwiegend jedoch auf roten. Genosse Holger Börner bewies, dass man sich auch als Ministerpräsident noch die Hände schmutzig machen kann, und mischte sich 1979 im dunkelblauen Zwirn unter die Bauarbeiter, die gerade das Fundament des neuen Veranstaltungstraktes gossen. Beton-Fachmann Börner zeigte seinen Ex-Kollegen, wie man Moniereisen richtig verlegt. Die Mitarbeiter der Hessen-Vertretung staunten nicht schlecht und noch mehr, als der Polier nach dem Börner Abgang anordnete: Alles raus und noch mal neu machen.

Das Hessen-Fest gehörte nach einem furiosen Einstieg 1977 mit zu den beliebtesten Sommervergnügungen im Regierungsviertel. Gäste aus Landes- und Bundespolitik trafen sich in entspannter Atmosphäre, bis zu 2 000 in jedem Jahr. Wie ihre Bundesratskollegen bedankten sich die Hessen mit dieser Einladung vor allem bei ihren Gesprächspartner in Ministerien, Bundesbehörden und Botschaften, bei Journalisten und Lobbyisten.

Im Sommer 1999 hatte der Hessen-Löwe in Bonn ausgebrüllt. In Berlin waren längst die Pflöcke eingeschlagen. Als erstes wurde die Doppelhausvilla Kurt-Schumacher-Straße 2-3, verkauft, die das Land erst 1983 erworben hatte. Dort sind eine Galerie und die Redaktion eines Zahnärzte-Fachblattes eingezogen.

Das Gästehaus fand schließlich in Marc Asbeck seinen neuen Besitzer. In der oberen Etage des ehemaligen Veranstaltungstrakts hat die Deutsche Welle Büros für Interims-Mitarbeiter eingerichtet, die unteren Räume dient dem Max-Planck-Institut als Zentral-Bibliothek.

Exotische Vögel wie zu jenen Zeiten, als die indonesische Botschaft in einer Hälfte der Doppelvilla ihr Domizil hatte und große Volieren im Garten installierte, gibt es heute nicht mehr. "Das hörte sich manchmal an wie im Urwald", erinnert sich Keuchel. Jedenfalls so gar nicht hessisch.

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