Rheinische Bräuche Die Heilsgeschichte in der Nuss

Rheinland · Über den Brauch der Krippen berichtet LVR-Volkskundlerin Dagmar Hänel. Ob groß, ob klein, die Weihnachtsgeschichte ist vielfältig darstellbar.

Frau K. (Kreis Wesel) erinnert sich an einen Weihnachtsbrauch aus ihrer Kindheit, das Krippen gucken. Gerade in ländlichen Gegenden wie am Niederrhein gehörten die nachbarschaftlichen Besuche zur Weihnachtszeit zur Festzeit dazu: „Das war immer etwas besonderes, in die geschmückten Weihnachtstuben zu kommen, das ist so eine besondere Stimmung. Und jede Krippe ist irgendwie anders. Für uns Kinder gab es dann Spekulatius, die Erwachsenen tranken Kaffee und einen Schnaps.“

Die Krippe, also die figürliche Darstellung der Weihnachtsgeschichte, ist eine alte Tradition. Wenn es auch bereits im frühen Christentum und im Mittelalter Vorläufer belegt sind, ist die erste Krippe in der Form, wie wir sie heute noch kennen, ein Geschenk der Jesuiten: In Prag stellten sie 1562 die erste figürliche Weihnachtsdarstellung auf und hatten direkt durchschlagenden Erfolg. Schnell setzte sich die Weihnachtskrippe in ganz Europa durch, wurde in Kirchen, in auf öffentlichen Gebäuden und Plätzen aufgestellt. Im 18. Jahrhundert kam es an vielen Orten zu Verboten der öffentlichen Krippendarstellungen, dadurch verschob sich der Brauch in den privaten Raum des Hauses und der Familie. Bis ins 19. Jahrhundert war die Krippe das Zentrum der häuslichen Weihnachtsfeier, dann wurde sie als zentrales Weihnachtssymbol vom Christbaum abgelöst.

Die Beliebtheit der Krippen zeigt sich in ihrer großen Verbreitung und Vielfalt: aus allen erdenklichen Materialien hergestellt, von der Krippe in der Nussschale bis zu überlebensgroßen Figuren gibt es Krippen in jeder Größe. Berühmt sind die neapolitanischen Krippen, die ihre Figuren mit besonders ausdrucksstarken Gesichtern in vielfältige Landschafts- und Stadtszenen stellen. Im bunten Markt- und Stadtbetrieb muss man die eigentliche Krippenszene manchmal sogar ein bisschen suchen. Die katalanischen Krippen haben ebenfalls ein besonderes Markenzeichen, den Cagagner. Dieser „kleine Scheißer“ wird irgendwo in die Krippenszenerie platziert und sorgt bei Entdeckung für Heiterkeit.

Die Weihnachtskrippe kann die gesamte Weihnachtszeit darstellen, sie verbindet Advent, das Weihnachtsgeschehen und das Ende der Weihnachtszeit: spätestens zu Maria Lichtmess wird sie wieder eingepackt. Viele Krippen sind variabel und lassen sich über die ganze Advents- und Weihnachtszeit den unterschiedlichen Episoden anpassen: Vom Beginn der Reise Josefs und Marias, zur Ankunft in Betlehem, der Geburt im Stall, der Anbetung der Engel und Hirten, dem Besuch der heiligen drei Könige und der Flucht nach Ägypten lässt sich die gesamte biblische Geschichte mit den Figuren inszenieren. In der Kölner Kirche „Madonna in den Trümmern“ (St. Columba) kann man in den Tagen nach Weihnachten sogar das erste Bad des neugeborenen Kindes anschauen.Das Krippen schauen hat aktuell wieder Konjunktur – nach dem Vorbild des Kölner Krippenwegs, den es inzwischen seit 1995 gibt, bieten inzwischen auch viele andere Städte im Rheinland den begleiteten Gang zu den öffentlichen Krippen an – mit Erklärungen, Geschichten und Erinnerungen, und vielleicht auch einem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt zum Abschluss.

In unserer Serie „Rheinische Bräuche“ schreibt Dr. Dagmar Hänel, leitende Volkskundlerin beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) über hiesige Traditionen

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