Wissenschaft in Bonn Der Müllhaufen im All wird zur Zeitbombe

Bonn · Wachtberger Forscher des Fraunhofer Instituts nehmen gefährlichen Weltraumschrott in den Radar-Blick. Um Wege aus dem Müllproblem aufzuzeigen, hat das Fraunhofer Institut zum Europäischen „Space Talk“ nach Wachtberg eingeladen.

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Für das Raumschiff Enterprise draußen im Science-Fiction-Hyperraum mag das vielleicht gelten. Im irdischen Nahverkehr rund um unseren Heimatplaneten herrscht im Jahr 2018 inzwischen ein katastrophales Durcheinander wie im Feierabendverkehr auf der Viktoriabrücke in Bonn. Weltraumverschmutzung ist inzwischen ein ernsthaftes Problem für die Raumfahrt und sorgt auch bei hiesigen Forschern für Sorgenfalten.

„Wir schätzen, dass rund 750 000 Objekte mit einem Durchmesser von mehr als einem Zentimeter die Erde umkreisen“, sagt Holger Krag von der Europäischen Raumfahrt-Agentur ESA. Und ihre Zahl wächst exponenziell. Ein Zentimeter klingt nach wenig. Da aber die Teilchen mit Geschwindigkeiten von bis zu 50 000 Stundenkilometern unterwegs sind, werden sie zu tödlichen Geschossen. Ein Aufprall gleicht dem Einschlag einer Handgranate in einen Pkw bei Tempo 50. Drei- bis viermal im Jahr müssen die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS um ihren derzeitigen Kommandanten Alexander Gerst damit rechnen.

Dann heißt es: Ab in die Sojuskapsel und auf die Ausweichmanöver hoffen. Um Wege aus dem Müllproblem aufzuzeigen, hat das Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) am Donnerstagabend zum Europäischen „Space Talk“ nach Wachtberg eingeladen. Ein Lösungsansatz steht seit rund 50 Jahren auf dem Institutsgelände unter der größten derartigen Schutzhülle der Welt. Mit dem Radar Tira (Tracking and Imaging Radar) – ursprünglich vor allem zur militärischen Aufklärung genutzt – ist es möglich, Teile bis zur Größe von zwei Zentimetern im Erdorbit zu erspähen und abzubilden. Solche Radarbilder seien die einzige Möglichkeit, fremde Satelliten zu bestimmen oder bei Pannen nach dem Rechten zu sehen, betont FHR-Forscher Ludger Leushacke. Damit lassen sich dann Ausweichmanöver berechnen oder das Einschlagsgebiet auf der Erde eingrenzen.

Um die künstlichen Trabanten dazu auf ihrer Bahn ein Stück zu verfolgen, kann Tira sich in nur 15 Sekunden wie ein Karussell einmal um die eigene Achse drehen, auch das ein Weltrekord. Als sich die 200 Tonnen-Apparatur mit einem Durchmesser von 34 Metern zur Demonstration für ein paar Runden in Gang setzt, fegt den Besuchern schon bald ein eiskalter Wind in die Haare. Allerdings müssen die Physiker zunächst die Koordinaten der Objekte kennen, die sie betrachten wollen. Dazu entwickelt das Institut derzeit ein mobiles System mit einem Sender und einem Empfänger, das im Frühjahr in der Nähe von Koblenz installiert werden soll. Man bräuchte allerdings 31 vergleichbarer Geräte, um den ganzen Orbit der Erde systematisch zu überwachen.

Um die Müllhalde am Himmel einzudämmen, fordern die Forscher dagegen zwei einfache Maßnahmen von Satellitenbetreibern und staatlichen Raumfahrt-Agenturen. Einerseits müssten Explosionen an Bord von Raketen, Satelliten oder Raumkapseln vermieden werden, die oft durch Resttreibstoff oder Überdruck nach der Nutzungsphase entstehen. Andererseits müssten die ausgedienten Geräte mit dem letzten Treibstoff auf eine tiefere Umlaufbahn befördert werden, damit sie schneller verglühen. Aus 200 werden so schnell nur noch 20 Jahre Lebensdauer. Für beides gibt es allerdings noch keine internationale Verpflichtung. Ein deutsches Weltraumgesetz sei in Arbeit.

Tröstlich immerhin: Dass ein Weltraumteil den Menschen unten auf der Erde auf den Kopf fällt, sei unwahrscheinlich, sagen die Experten. Einerseits passten alle Menschen stehend auf ein Quadrat mit der Kantenlänge von nur 50 Kilometern, was einen Treffer auf der ungleich größeren Erde doch ziemlich unwahrscheinlich mache. Dabei haben die Forscher allerdings übersehen, dass nicht jeder sein Leben nur stehend verbringt und im Liegen weitaus mehr Angriffsfläche bietet. Aber selbst wenn, dann kämen fast nur alte Treibstofftanks wegen ihrer besonders festen Verarbeitung am Boden an. Und die – das finden die Experten offenbar sehr beruhigend – verursachen keinen Einschlagskrater.

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