Ein Interview zur Sprache im Rheinland "Der Dialekt ist hörbare Heimat"

Rheinland · Sprachforscher Georg Cornelissen spricht über den Begriff Heimat und seine Bedeutung für die rheinische Mundart. Der Wissenschaftler des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) erforscht die Veränderung des Dialektes.

Woher stammt der Begriff Heimat?

Georg Cornelissen: Heimat setzt sich aus dem Wort Heim und noch einem zweiten Element zusammen. Heim ist ein altes germanisches Erbwort, uralt. Es konnte Heim bedeuten oder auch Welt. Also das komplette Gegenstück. Das Wort gab es auch im Rheinland, es hat sich aber verändert im Laufe der Jahrhundert zu Hemet. Und es wurde teilweise sächlich gebraucht: Et Hemet. Dies wurde aber inzwischen ersetzt durch die Heimat. Auch wenn ältere Leute teilweise noch Hemet sagen.

Cornelissen: Es gibt unendlich viele Definitionen. Es wird wenige Wörter geben, die die Leute unabhängiger voneinander definieren als Heimat. Niemand macht sich die Mühe, das Wort in einem Wörterbuch nachzuschlagen. Jeder meint, zu wissen, was es heißt. Und dann kommt sehr Unterschiedliches dabei heraus. Allein die Größe einer Heimat variiert. Man kann sie mit einer Straße identifizieren, mit einer Hofschaft, einem Stadtteil oder einer Stadt, Region oder Staat. Es gibt Leute, die fühlen sich als Europäer.

Hat das denn vielleicht damit zu tun, dass sich die Mentalität der Menschen verändert hat? Haben sie früher bodenständiger definiert und heute eher gefühliger?

Cornelissen: Wir haben da kein Vergleichsmaterial. Beispielsweise war Heimat 1965 nach der Nazizeit ein stark verpönter Begriff. In meiner Kindheit ist mir der Begriff Heimat vor allem in Heimatkunde begegnet. Oder Heimatgeschichte und Heimatverein. Das war damals sehr klein gefasst. Und jeder, der einen Vortrag darüber gehalten hat, hat es selbst definiert. Heimat war dann das, wofür man Material hatte.

Im Heimatmuseum findet man hauptsächlich Alltagsgegenstände von früher!

Cornelissen: Ja, das ist ein weiterer Aspekt. Heimat müsste ja nicht so verstanden werden, dass Heimat früher war. Heimat ist ja auch heute. Aber meistens wird es historisch verstanden. Vielleicht weil Heimatkunde und Heimatgeschichte stark verflochten war. Heimat ist ganz stark den Historikern überlassen worden. Es wurde auch immer viel ausgespart. Das ist ja jetzt anders, wo Nordrhein-Westfalen ein Haus der Geschichte einrichten will. Jetzt findet der Diskurs auf allerhöchster Ebene statt. Wenn man an frühere Heimatkunde denkt, dann denkt man an selbst kopierte Heftchen, in denen nicht immer unbedingt alles stimmte.

Inwiefern ist der Begriff Heimat Gegenstand Ihrer Forschung?

Cornelissen: Es gibt im Rheinland Menschen, deren Muttersprache ist der Dialekt. Und es gibt noch mehr, die zwei Muttersprachen haben, nämlich Platt und Hochdeutsch. Das ist den Leuten vielfach gar nicht so klar, weil der Dialekt nicht immer als eigene Sprache wahrgenommen wird. Die sind aber tatsächlich zweisprachig. Wenn man zwei Sprachen spricht, dann hat jede dieser Sprachen einen eigenen Geschmack.

Sind sich die Menschen dessen bewusst?

Cornelissen: Das läuft vielfach unbewusst ab. Die Menschen sind nie danach gefragt worden: Wie ist das für Sie, Platt zu sprechen. Oder wie finden Sie das, wenn Sie mitbekommen, dass Ihre Kinder oder Enkelkinder gar kein Platt mehr können?

Ein Verlust.

Cornelissen: Ja, derjenige hat einen unglaublichen Umbruch mitgemacht. Und er wird das Gefühl haben, dass er sprachlich etwas verloren hat. Weil die Sprache, die er so gern spricht, kaum noch an den Mann zu bringen ist und an die Frau. Und damit haben wir als Forscher viel zu tun, weil wir genau den sprachlichen Wandel und die Umbrüche untersuchen.

Den Begriff Heimat untersuchen Sie also nicht ausdrücklich, aber er schwingt immer bei der Untersuchung der Sprache mit?

Cornelissen: Ja, genau. Wenn Sie etwa die Frage stellen: Wer geht zu einem Mundartabend? Das sind heute außerhalb Kölns nur Senioren. Aber was bedeutet das für die Menschen? Das ist ja quasi eine innere Ausgrenzung. Das Verschwinden des Dialektes ist für die älteren Menschen ein ganz klares Zeichen für das Verschwinden der Zeit. Und das Eigentümlichste, was die Leute haben, ist die Sprache und die verschwindet nach und nach.

Woran machen Sie das fest?

Cornelissen: Ich habe noch alte Tonaufnahmen aus den 50er Jahren. Und wenn man die hört, muss man sagen: Vielleicht gibt es heute noch Menschen, die Platt sprechen, aber es gibt keine mehr, die so Platt sprechen wie damals. Auch da hat sich einiges gewandelt.

Wie fühlt sich der Dialektsprecher, wenn er Gelegenheit hat, Dialekt zu sprechen?

Cornelissen: Es gibt Leute, die einmal am Tag bis zum anderen Ende des Dorfes gehen, um mit einem anderen im Dialekt sprechen zu können. Dann fühlt er sich wohl. So wie wenn man die richtige Kleidung trägt oder im passenden Sessel sitzt.

Ist das für ihn dann ein Gefühl der Entspannung?

Cornelissen: Ja, er hat dann das Gefühl, dass er sich nicht verstellen muss.

Warum ist das Thema Heimat heute modern? Warum fühlt man sich davon so angesprochen?

Cornelissen: Es könnte damit zu tun haben, dass ja momentan viele Menschen zu uns kommen, die ihre Heimat verlassen haben. Das bringt auch uns das Thema wieder ins Bewusstsein. Vielleicht haben viele Menschen auch eine Sehnsucht nach Heimat. Wir sprechen ja auch von Heimweh. Viele ältere Menschen merken, dass sie keinen Zugang mehr zur digitalen Welt haben, und dass sie sozusagen abgehängt sind. Und sie angewiesen sind auf die Hilfe ihrer Kinder. Dass man dann ein bisschen Heimweh hat nach der Zeit, als man noch selbstbestimmt sein Leben geführt hat, ist doch ganz verständlich.

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