"Der Blick auf den Drachenfels wird uns fehlen"

Am Montag holt Rudolf Herrmann die Fahne des Deutsch-Französischen Jugendwerkes ein - Schreibtische stehen ab Dienstag in Paris oder Berlin

Rhöndorf. Auf einem kleinen Tisch in der Eingangshalle stehen zwei Kaffeekannen und Tassen. Um die Pausenecke herum stapeln sich Kartons. "Paris" steht auf einigen geschrieben, "Berlin" auf anderen. Unmengen leerer Umzugskartons warteten Ende vergangener Woche noch darauf, mit Inhalt gefüllt zu werden. Es hat sich viel angesammelt, seit 1963 das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) in dem Gebäude des ehemaligen Hotels "Drachenblick" in Rhöndorf seine Pforten öffnete.

Am Freitag war letzter Arbeitstag. Für die Mitarbeiter hieß es, endgültig Abschied vom Rhein zu nehmen, ihre Büros zu räumen und die Umzugswagen auf den Weg zu schicken - an die Spree und an die Seine. Rund 150 volle Kartons hat Norbert Koch bereits an diesem Tag geschultert. Der Mitarbeiter der Berliner Umzugsfirma ist mit seinen sechs Kollegen seit vergangenem Montag damit beschäftigt, das DFJW im Wortsinn zu "verpacken", von morgens acht bis abends.

Manfred Pütz, Logistikchef des Unternehmens, hat den Umzug vorbereitet: "Wir haben 1 300 Kartons mitgebracht, erst mal", sagt er. Mehr als 400 werden per Lastwagen heute in Paris eintreffen, der Rest in Berlin, wo vor kurzem in einem Palais aus dem 18. Jahrhundert der neue Sitz des Jugendwerks eröffnet wurde. "Der Blick auf den Drachenfels und zum Rhein wird uns fehlen", sagt Rudolf Herrmann, Koordinator des DFJW. Mit rund 20 Mitarbeitern gehört er zu den letzten, die noch in Rhöndorf verblieben sind. "Nach fast vier Jahrzehnten ist uns hier alles so vertraut. Auf der anderen Seite steht der Umzug auch für einen Aufbruch." Seit Wochen sind er und seine Kollegen damit beschäftigt, die Regale und Schränke in ihren Büros auszusortieren. "Das Einpacken ist das eine", sagt Hermann. "Doch es muss ja auch alles wieder ausgepackt werden."

Einige der 46 Büros sind bereits komplett geräumt, in anderen warten Papierberge auf Tischen und Böden darauf, verpackt zu werden. Ein Kopierer ist noch im Betrieb, eine Mikrowelle schafft Abhilfe beim kleinen Hunger zur Mittagszeit. "Es sind nicht nur die Akten, die es zu transportieren gilt", sagt Herrmann. "Wir haben schließlich auch große Lagerbestände und Archive." Das Materiallager war auf der ehemaligen Kegelbahn des Hotels untergebracht und mit Rollschränken eng bestückt. Und sowohl der Sitzungsraum wie auch der große Festsaal mit ungezählten Tischen und Stühlen verlangten den Möbelpackern noch so manches an Muskelkraft ab. Herrmann: "Es ist eine Mischung aus Chaos und Ordnung." Und doch: Trotz der anstrengenden Umzugsarbeit ist die Stimmung bei den Mitarbeitern wehmütig. "Ich habe gerade wieder einige Kartons ausgepackt", sagt Marie-Antoinette Dupuich. Denn trotz ihres Wechsels nach Paris läuft ihre Arbeit weiter.

Ihre Kollegin Bernadette Bricaud wird dagegen ab Januar in Berlin ihren Arbeitsplatz haben. "Ich bin traurig, von hier wegzugehen", sagt die Referentin für Sprachförderungsprogramme. "Jetzt werde ich immer zwischen Berlin und Frankreich pendeln, wo meine Familie lebt." Ab dem 2. Januar wird auch Horst Wegmann vom Referat "Beruf und Solidarität" in Paris sein neues Zuhause haben. Rund 30 Jahre hat der gebürtige Rheinländer für das DFJW gearbeitet, doch ein "Stückchen" Rhöndorf will er sich auch in Frankreich erhalten: "Ich werde in einem kleinen Ort nahe Paris leben, mitten im Grünen und landschaftlich wunderschön. Fast hat es ein wenig Ähnlichkeit mit Bad Honnef." "Die Situation ist für uns alle nicht leicht", sagt Herrmann. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich eine wechselseitige Hilfsbereitschaft entwickelt, Freundschaften unter den Mitarbeitern. "Bislang haben in Rhöndorf 44 Kollegen gearbeitet, 26 im Büro in Paris." Nach dem Umzug werde sich das Verhältnis umkehren, 46 Männer und Frauen arbeiten fortan für das DFJW in Paris, der Rest an der Spree. "20 Kollegen scheiden aus, da sie etwa wegen ihrer Familie nicht umziehen können", sagt Herrmann. "Und erst drei von ihnen haben einen neuen Arbeitsplatz sicher." Herrmann selbst wird als einer der letzten Rhöndorf verlassen und dann seine Arbeit in Paris fortführen. Am morgigen Dienstag, wenn alle Umzugswagen schon ihre Zielorte erreicht haben werden, wird er die Fahne des DFJW einholen, die für 37 Jahre in Rhöndorf gehisst war.

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