Explosion in Euskirchen "Das ganze Haus hat vibriert und gewackelt"

EUSKIRCHEN · Der Knall war kilometerweit zu hören: Eine gewaltige Explosion auf dem Schuttabladeplatz einer Recyclingfirma in Euskirchen schreckte am Freitag gegen 13.30 Uhr die Menschen bis nach Bonn und sogar am Flughafen Köln/Bonn auf.

Vor Ort, im Gewerbegebiet an der Alfred-Nobel-Straße, bot sich ein Bild der Verwüstung: deformierte Autos, eingedrückte Türen, herabhängende Fassadenteile, zerborstene Fensterscheiben, von Dächern gefallene Ziegel sowie größere Metallteile, die teils mehrere hundert Meter durch die Luft geschleudert worden waren.

Nach den ersten Ermittlungen der Polizei war ein 50 Jahre alter Baggerfahrer aus Euskirchen mit der Schaufel seines schweren Gerätes gegen Munition aus dem Zweiten Weltkrieg gestoßen. Dadurch sei der Blindgänger explodiert und habe den Baggerfahrer getötet, so Norbert Hardt, Sprecher der Euskirchener Polizei.

Zwei Arbeiter, die sich ebenfalls bei der Explosion auf dem Gelände befanden, erlitten schwere Verletzungen; elf weitere Personen wurden leicht verletzt. Zur Versorgung der Opfer hatte die Leitstelle mehr als hundert Rettungskräfte am Unglücksort zusammengezogen. Auch aus dem Rhein-Sieg-Kreis waren Einheiten angerückt.

Die Wucht der Detonation war so groß, dass durch die Druckwelle auch zahlreiche Wohnhäuser an der Alfred-Nobel-Straße erheblich beschädigt wurden. Manche Bewohner wirkten noch Stunden nach der Explosion verunsichert und geschockt.

So wie Irene Knaub, die die Explosion in ihrem Reihenhaus erlebte. Dieses liegt in einem rückwärtigen Teil der Alfred-Nobel-Straße, etwa 300 Meter Luftlinie vom Explosionsort entfernt: "Ich hatte gerade den Müll weggebracht, als es einen ohrenbetäubenden Knall gab, der die Haustür aufriss."

Knaub war der Schrecken in alle Glieder gefahren: "Ich dachte zuerst an eine Gasexplosion", erzählte die sichtlich bewegte Frau. "Eher auf einen Meteoriteneinschlag" tippte dagegen ihre 13-jährige Enkelin Alina, die gerade auf der Couch lag. Auch sie war völlig verschreckt: "Das ganze Haus hat gewackelt." Doch damit nicht genug: Im Dach der Knaubs steckte ein etwa 15 bis 20 Zentimeter langes Metallteil, das durch die Explosion dorthin befördert worden war.

Reiner Embgenbroich saß an seinem Arbeitsplatz bei einer Heizungs- und Sanitärfirma, als er zunächst einen lauten Rumms hörte. "Ich dachte, es hat vielleicht einen Lkw-Unfall auf der Straße gegeben, und dann gab es eine heftige Druckwelle, die mich zur Seite geschleudert hat", sagte er. Danach habe es "so richtig nach Feuerwerkskrachern gerochen", und eine riesige Rauchwolke sei aufgestiegen.

Nur ein paar Häuser weiter war Hermann Appel am Nachmittag bereits mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Mit einem Besen kehrte er die Glassplitter in seinem Hof zusammen, damit diese nicht noch mehr Schaden an seinem Auto anrichteten. Am Haus des 80-Jährigen hatte die Explosion nahezu alle Fenster zerstört und das Garagentor aus den Angeln gehoben. "Wir saßen beim Essen, da kam der große Knall", erzählte er.

Nachbarin Christa Klinkenberg wirkte auch Stunden nach der Explosion noch mitgenommen. "Mein Mann und ich haben uns fürchterlich erschrocken und hatten keine Ahnung, was eigentlich los war", erklärte sie. Dann habe sie durch das Fenster die schwarze Rauchwolke gesehen. "Wir hatten noch Glück, dass das Fabrikgebäude vor unserem Haus die große Druckwelle abgehalten hat." Das Haus daneben wurde dagegen stark beschädigt.

Am späten Nachmittag wurden in der Straße bereits die ersten Fensterscheiben ausgetauscht, damit die Anwohner in ihre Wohnungen zurückkehren konnten. Feuerwehr und Polizei stellten zunächst keine Einsturzgefahr an den einzelnen Häusern fest.

Dass es sich um eine Detonation von Munition aus dem Zweiten Weltkrieg gehandelt hat, stand für Polizeisprecher Hardt am Freitag "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest". Das hätten ihm die Sprengstoffexperten des Landeskriminalamtes (LKA) aus Düsseldorf bestätigt, die am Nachmittag zahlreiche Spuren am Explosionsort sicherten. Welche Art Munition genau explodiert war und ob der Bagger möglicherweise gegen den Zünder einer Fliegerbombe gestoßen ist, muss die Polizei noch prüfen.

Auch eine Luftmine, die ein Stück weit das enorme Ausmaß der Zerstörungen erklären würde, konnte Hardt am Freitag nicht ausschließen: "Auf eine Munition dieser Art haben auch die Feuerwerker des LKA getippt." Die im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten verwendeten Luftminen wogen je nach Modell einige Tonnen und richteten wegen ihrer besonders großen Detonationskraft schwere Zerstörungen an.

Ungeklärt ist bislang ebenfalls die Frage, wie der Blindgänger auf den Schuttabladeplatz gelangen konnte. Möglicherweise, so lauteten erste Spekulationen vor Ort, war der Sprengsatz auf einem Laster angeliefert worden und nach dem Abkippen auf dem Gelände von dem Bagger erfasst worden. Aufschluss sollen nun laut Hardt weitere Untersuchungen des etwa 300 mal 300 Meter großen Firmengeländes geben, das die Polizei beschlagnahmt hat. Die Beamten wollen zudem Gespräche über die Herkunft des Schutts mit den Verantwortlichen der Firma führen. So soll geklärt werden, ob sich möglicherweise noch weitere Blindgänger auf dem Schuttabladeplatz befinden.

Für Anlieger, die durch die Detonation Schäden an ihrem Eigentum erlitten haben, hat die Stadt Euskirchen unter der Rufnummer 02251/124135 eine Hotline eingerichtet.

Blindgänger fordern viele Menschenleben

Hohe Sachschäden, Verletzte oder sogar Tote: Wenn Bauarbeiter wie in Euskirchen auf Kriegsmunition stoßen kann es zu folgeschweren Unglücken kommen.

  • September 2012: In Viersen kommt es bei der kontrollierten Sprengung einer Weltkriegsbombe zu Verwüstungen. Teile von Gebäuden müssen abgerissen werden.
  • August 2012: Eine US-Fliegerbombe wird im Zentrum von München kontrolliert gesprengt. 2500 Anwohner müssen ihre Häuser verlassen. Die Druckwelle beschädigt Fassaden, zahlreiche Fenster gehen zu Bruch.
  • Juni 2010: Bei einer Routine-Entschärfung explodiert ein Blindgänger in Göttingen. Drei Sprengmeister kommen ums Leben. Zwei Menschen werden schwer verletzt, vier weitere Männer erleiden einen Schock. Die Bombe war bei Bauarbeiten auf einem Schützenplatz in sieben Metern Tiefe entdeckt worden.
  • September 2009: Im Ulmer Hauptbahnhof explodiert ein Blindgänger bei Bauarbeiten. Zuvor hatten Fachleute grünes Licht für die Bauarbeiten gegeben. Zwei Arbeiter erleiden einen Schock.
  • Oktober 2006: Die Explosion einer fünf Zentner schweren Fliegerbombe reißt einen Bauarbeiter an einer Autobahnbaustelle in Aschaffenburg in den Tod.
  • September 1994: Drei Bauarbeiter kommen in Berlin ums Leben, als ein Blindgänger in einer Baugrube explodiert.
  • August 1990: Beim Entschärfen einer Fliegerbombe sterben in Wetzlar zwei Sprengstoff-Experten, als der Sprengkörper explodiert. Drei Fachleute vom Kampfmittel-Räumdienst erleiden schwere Verletzungen.
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