Das Ende der fliegenden Giganten kam jäh

Vor 90 Jahren traf der erste Zeppelin in der neuen Luftschiffbasis bei Spich ein - Zwei Tage später startete LZ 77 zum ersten Feindflug in Richtung Westfront

  Das in Spich  stationierte Schütte-Lanz-Luftschiff SL 11 wurde am 3. September 1916 über Südengland abgeschossen.

Das in Spich stationierte Schütte-Lanz-Luftschiff SL 11 wurde am 3. September 1916 über Südengland abgeschossen.

Troisdorf. Am 25. August 1915 war es soweit: Mit dem 163,5 Meter langen LZ 77 traf der erste Zeppelin-Luftschiff auf dem neuen "Luftschiffhafen" in Spich ein. Dafür war "Auf dem Vogelsang" eine gigantische Halle aus dem Boden gestampft worden. 184 Meter lang, 32 Meter breit und 28 Meter hoch war das Monstrum, gebaut für die Versorgung der neuen Luftgiganten, mit denen das wilhelminische Reich den Ersten Weltkrieg aus der Luft für sich entscheiden wollte.

Nach Recherechen des Heimathistorikers Matthias Dederichs hob LZ 77 schon zwei Tag später, am 27. August 1915, von Spich aus zum ersten Feindflug gen Westen ab. Obwohl noch weitere Einsätze folgen sollten, war die Wirkung der schwebenden Zigarren gering. Trotz großem logistischem Aufwand und bei hohen Verlusten blieben die Bombardierungen nur Nadelstiche. Heute erinnert kaum noch etwas an das Spicher Kapitel Luftfahrgeschichte.

Keimzelle der kurzen Zeppelin-Geschichte in der Region war der Truppenübungsplatz Wahner Heide. Nachdem in der Heide der Einsatz von Ballonen zur Artilleriebeobachtung geübt worden war, nutzten Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals Zeppeline das Areal. So ist es nachzulesen in Jürgen Hucks 1962 erschienenem Aufsatz "Die Frühzeit der Luftfahrt im Raume Wahn (bis 1919)".

Zu den Ursprüngen zitiert der Autor den Luftschiff-Obermaschinisten Karl Schuster: "1912 wurde von dem in Köln stationierten Zeppelin-Luftschiff II, zu dessen Besatzung ich gehörte, auf dem Schießplatz Wahn zum ersten Mal mit Festungsselbstladegewehren aus dem Schiff auf markierte Schützengräben geschossen."

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs setzte die Führung große Hoffnungen auf die Zeppeline und eine völlig neue Kriegsführung aus der Luft. Allerdings fehlte es in Westdeutschland an entsprechend großen Luftschiffhallen. Zwar gab es seit 1909 die Kölner Halle. Doch die war mit einer Länge von "nur" 173 Metern zu klein für die neuen Zeppeline und die noch größeren so genannten Schütte-Lanz-Luftschiffe. Daher fiel die Entscheidung, eine weitere Hafen im Kölner Raum zu bauen. Die Wahl fiel auf ein Gelände südlich der Straße von Stockem nach Spich.

Dort entstand ab Dezember 1914 die 184 Meter lange Halle, deren Konstruktion einer Reihe weiterer Bauwerke in Düsseldorf, Darmstadt, Mannheim, Lahr, Hannover, Jüterbog, Dresden und Schneidemühl entsprach. Der Luftschiff-Pionier Ferdinand Graf von Zeppelin weihte den neuen "Luftschiffhafen" in Spich im April 1915 ein. Für dessen Betrieb waren enorme Anstrengungen nötig. So ein eigener Eisenbahnanschluss, um die Versorgung mit Wasserstoffgas sicherzustellen. Ein Zeppelin wurde mit rund 36 000 Kubikmetern des Gases gefühlt, ein Schütte-Lanz-Luftschiff gar mit knapp 39 000 Kubikmetern. Rund 200 Soldaten gewährleisten den Flugbetrieb, so Matthias Dederichs.

Rasch begann der militärische Flugbetrieb: Nachdem LZ 77 am 25. August 1915 in Spich festgemacht hatte, startete der Zeppelin am 27. August unter dem Kommando von Hauptmann Horn in Richtung Namur. Zurück in Spich, hob LZ 77 wenig später erneut ab. Ziel: London. Freilich waren die nachts geflogenen Einsätze beschwerlich. Am 8. September 1915 musste Horn wegen Motorschadens umkehren. Eine Mission am 11. September scheiterte wegen der frühen Morgendämmerung und Fliegersperren, am 13. September 1915 bedeutete erneut ein Motorschaden das Aus. Zwischen dem 2. und 14. Oktober 1915 griff LZ 77 Ziele an der Westfront an. Rund 2 200 Kilogramm Bomben fielen etwa am 3. Oktober auf Ch lons sur Marne. Das weitere Schicksal von Horn und seinen 14 Mann Besatzung ist bezeichnend für die Tragödie der Kriegs-Zeppeline: LZ 77 wird in der Nacht zum 22. Februar 1916 über der Verdun-Front abgeschossen, kein Besatzungsmitglied überlebt.

Neben LZ 77 waren weitere Luftschiffe in Spich stationiert. So LZ 79, das am 28. Januar 1916 Paris angegriffen hatte, und LZ 90. Nachhaltig in Erinnerung geblieben ist Chronisten auch das Luftschiff SL 11 unter Hauptmann Schramm, das 1916 Einsätze gegen London geflogen hatte. Am 3. September 1916 wurde SL 11 von dem britischen Jagdflieger Leutnant Robinson über Südengland abgeschossen, noch zwei Stunden nach dem Absturz brannte das Schiff, niemand von der 16-köpfigen Besatzung überlebte. Am Abschussort Cuffley erinnert ein Denkmal an Robinson - und an SL 11 aus Spich, berichtet Zeppelin-Experte Huck.

Der Absturz hatte weitreichende Folgen für die für Beschuss, Wind und Witterung anfälligen Schiffe. "Die Heeresluftfahrt mit Luftschiffen wurde nach dieser Katastrophe im Westen eingestellt. 1917 sind keine Feindflüge mehr nachweisbar", recherchierte Dederichs. Allein das Schütte-Lanz-Luftschiff E 9 landete 1917 in Spich, um im Sommer des Jahres abgerüstet zu werden. Noch im selben Jahr wird der Luftschifftrupp 19 aufgelöst. Von nun waren bis zum Waffenstillstand Kampfflugzeuge in Spich stationiert.

"Auf dem Vogelsang" bezogen 1918 englische Soldaten Quartier. Die Briten veranlassten sogar Sieglars Bürgermeister Johann Lindlau, weitere 355 Morgen für die Erweiterung der Start- und Landebahn zur Verfügung zu stellen, berichtet Dederichs. Doch der Flugplatz hatte keine Zukunft. Die Franzosen demontierten 1921 die Halle und verfrachteten diese "vermutlich als Kriegsbeute in ihre Kolonie Marokko". Aus den Unterkünften wurden Wohnungen.

Rund 90 Jahre später sind die Spuren des einzigartigen Stückes Luftfahrt-Geschichte fast getilgt. Geblieben sind die "Ernst-Lehmann-Straße", die an den Piloten der 1937 über Lakehurst explodierten "Hindenburg" erinnert, und die "Dr.-Eckner-Straße", die dem Zeppelin-Mitarbeiter gewidmet ist. Der letzte aktive Zeppeliner, Anton Adamczak, der 1916/7 beim Bodenpersonal in Spich zum Einsatz kam und in Spich sesshaft wurde, starb 1982.

Eine Rarität hat Heimatforscher Dederichs noch ausfindig gemacht: Einen großen Knochen, der seinerzeit in einer der bei den Soldaten beliebten Gaststätten "Zum Bahnhof" und Waldschlösschen hing, und auf dem sich die Luftfahrer verewigt hatten. "Der verschönert heute die Wohnung einer Troisdorfer Seniorin."

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