Metropolregion Rheinland „Das Rheinland steht für Krisenfestigkeit“

BONN · Bislang kümmern sich Köln, Düsseldorf, Bonn und Aachen vor allem ums eigene Wohl. Künftig wollen die Städte und Kreise der Rheinregion eine gemeinsame Marke bilden. Regionalexperte Reimar Molitor spricht über Chancen und Hürden. Und er erklärt, warum das Rheinland Krisen gut wegsteckt.

 Reimar Molitor

Reimar Molitor

Foto: Region Köln/Bonn

Die Metropolregion steht in den Startlöchern, Städte und Kreise im Rheinland wollen künftig stärker zusammenarbeiten. Wie verhindert man, dass am Ende trotzdem jeder sein eigenes Süppchen kocht?

Reimar Molitor: Solche Vorbehalte gab es bei uns in der Region Köln/Bonn am Anfang auch. Unser Verein hat aber in den 25 Jahren seines Bestehens dafür gesorgt, dass sich alle Akteure auf Augenhöhe begegnen. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Kreisen und den großen Städten. Jeder kann etwas Spezielles besonders gut. Dasselbe muss nun für das ganze Rheinland gelten. Die Großen dürfen nicht ihr eigenes Süppchen kochen, auch die Kreise müssen zur Geltung kommen. Dazu muss man sich kennen- und schätzen lernen und eine gute Kommunikation aufbauen, um aus talentierten Einzelspielern eine Mannschaft zu machen. Hier steht das Rheinland noch am Anfang.

Was verbindet Städte wie Köln, Bonn, Düsseldorf und Aachen denn?

Molitor: Sie haben ein gemeinsames Interesse an einer funktionierenden Infrastruktur. Wenn für 2019 der Solidarbeitrag neu verhandelt wird, muss sich das Rheinland gemeinsam aufstellen, um seine infrastrukturellen Vorhaben durchzubringen. Außerdem haben wir hier eine Forschungs- und Hochschullandschaft, die in Europa einmalig ist. Das Rheinland neigt manchmal dazu, sich selbst toll zu finden, ohne genau zu wissen, warum. In diesem Fall ist es absolut begründet. Ich hoffe, dass das durch einen gemeinsamen Auftritt nicht nur nach außen sichtbarer wird, sondern vor allem bei den hier heimischen Unternehmen. Doch auch innerhalb NRWs muss sich das Rheinland besser positionieren.

Wie meinen Sie das?

Molitor: In NRW war Landespolitik lange Zeit gleichbedeutend mit Strukturpolitik für das Ruhrgebiet. Das ist einerseits verständlich, weil das Ruhrgebiet strukturell mehr aufzuholen hat. Andererseits ist in 70 Jahren NRW der Blick auf das Rheinland nicht adäquat gereift. Das Landeswohl hängt stark davon ab, wie das Rheinland sich entwickelt. Das ist keine Selbstüberschätzung, immerhin produzieren wir mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts in NRW. Wir brauchen deshalb konsequentere Lobbyarbeit für Fördermittel aus Düsseldorf, Berlin und Brüssel.

Berlin hat eine vibrierende Start-up-Szene, Frankfurt ist Finanzhauptstadt, Stuttgart steht für Autos und Zulieferer. Braucht das Rheinland ein markanteres Profil?

Molitor: Davor kann ich nur warnen. Der Standortvorteil des Rheinlandes ist, dass es in vielen Schlüsselbranchen gleichzeitig sehr gut ist. Das gilt etwa für Chemie, Medien, Logistik, IT, Energie und Umweltwirtschaft. Das wird uns öfter auch mal als Maßlosigkeit und Selbstverliebtheit ausgelegt. Unsere Flexibilität ist aber der Garant dafür, dass das Rheinland Umbrüche besser abfedern und ausgleichen kann – anders, als es etwa im Ruhrgebiet der Fall ist. Das hat sich gezeigt beim Regierungsumzug aus Bonn und das zeigt sich jetzt wieder beim Strukturwandel in der Braunkohle. Es gibt in Europa keinen Standort, der so resistent ist wie das Rheinland. Deshalb habe ich keine Angst vor Strukturwandel. Das Rheinland steht für Krisenfestigkeit.

Beim Blick auf Straßen und Brücken könnte man anderes meinen.

Molitor: Diese Herausforderung ist groß, aber das Rheinland hat schon größere gestemmt. Wir werden in den nächsten 15 bis 20 Jahren eine Operation am offenen Herzen unserer Infrastruktur erleben. Diesem Sanierungsprozess müssen wir uns jetzt stellen und das muss den Bürgern ehrlich vermittelt werden. Am Ende werden wir dann eine gesunde und funktionierende Infrastruktur haben. Darüber hinaus muss Mobilität im Rheinland neu gedacht werden. Der individuelle Pendlerverkehr muss stärker mit dem öffentlichen Nahverkehr verknüpft werden, es braucht einen massiven Ausbau des Schienenverkehrs, von Park-and-ride-Plätzen, Schnellbussen, Radwegen sowie Telearbeit und Home-Office. Das alles brauchen wir auf einen Schlag und müssen uns klarmachen, dass das jetzt die nächsten 20 Jahre auf uns zukommt.

Welche Position nimmt Bonn im Rheinlandverbund ein?

Molitor: Bonn ist wichtig, weil es als Bundesstandort unter anderem Schauplatz für politische Tagungen und Konferenzen ist. Das haben Köln und Düsseldorf als reine Messestandorte nicht. Bonn ist zudem Ausgangspunkt für Rheinreisen und ein nationaler Hotspot für den IT-Bereich. Man sieht also, wie polyzentrisch das Rheinland mit seinen Städten aufgestellt ist. Die meisten anderen Metropolregionen haben dagegen nur einen dicken Hund in der Mitte und den Rest drumherum.

In Bonn fürchtet man allerdings, dass die internationale Rolle mit einem Komplettumzug der Bundesbehörden verloren gehen könnte.

Molitor: Ich glaube nicht, dass es dazu kommt. Es wäre ein Fehler, der sich auf ganz Deutschland auswirkt und wir würden internationale Funktionen verlieren, die Bonn für Deutschland wahrnimmt. Das Klimasekretariat und weitere Einheiten der Vereinten Nationen werden nicht nach Berlin ausweichen, die gehen dann halt nach Wien. Unsere Argumente für Bonn sind also nicht regional, sondern vor allem national und europäisch.

Einen Strukturwandel hat das Rheinische Revier noch vor sich. Welche Perspektiven sehen Sie dort?

Molitor: Der Strukturwandel im Rheinischen Revier läuft, und die Region dort hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Rheintal: Es gibt dort noch Flächenreserven. Das bietet Chancen für gut erschlossene Gewerbegebiete, neue Wohnstandorte, aber auch für die Agrarproduktion. Wir haben hier einen Raum, der das Rheinland mit regionalen Lebensmitteln im großen Stil beliefern kann. Das wird in Zeiten, in denen Mobilität immer teurer wird, zunehmend wichtiger. Außerdem hat man sich dort Fertigkeiten angeeignet, die man woanders sucht: Die können unheimlich gut mit großen Infrastrukturen umgehen, Massenlogistik betreiben und beherrschen die Schnittstelle zwischen Chemie und Energie. Daraus gilt es, Geschäftsmodelle für die Zukunft zu entwickeln.

Die kommunalen Haushalte sehen weniger rosig aus.

Molitor: Die Kommunen machen sich zu Recht Sorgen und brauchen dringend mehr Geld. Es ist absurd und schizophren, dass sie einerseits ihre Ausgaben kürzen sollen, gleichzeitig aber für ein hohes Niveau von Bildung, Infrastruktur und Mobilität sorgen sollen.

Wo sehen Sie das Rheinland im Jahr 2050?

Molitor: Es wird im Land NRW und in Deutschland eine wichtigere Rolle spielen als heute und ein europäischer Hotspot für Waren, Forschung, Know-how und Kultur sein. Dazu muss es uns gelingen, aus einer Summe vieler exzellenter Talente eine Mannschaft zu formen, die durch ihr Zusammenspiel glänzt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort