Waisentourismus in Kambodscha: Abzocke, Ausbeutung oder gute Tat?

Siem Reap · Jedes Jahr arbeiten Hunderte wohlmeinende Urlauber in Kambodschas Waisenhäusern. Eine Ausbildung dafür haben sie zumeist nicht. Richten die Freiwilligen damit mehr Schaden an, als dass sie Gutes tun? Der "Voluntourismus" ist auch ein gutes Geschäft.

 Der schnelle Wechsel von Voluntouristen in den Waisenhäusern ist für die Kinder problematisch. Foto: Kate Bartlett

Der schnelle Wechsel von Voluntouristen in den Waisenhäusern ist für die Kinder problematisch. Foto: Kate Bartlett

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Frederick müht sich, einer quengeligen Gruppe kambodschanischer Kinder das englische ABC beizubringen. Doch die Kleinen interessieren sich mehr für glitzernde Aufkleber. Ein Geschenk von einem Touristen, der ihr Waisenhaus besucht hat. "Ich war hier in Siem Reap, bin hergekommen und hab sofort einen Job gekriegt", sagt der 24-jährige Rucksacktourist Frederick. "Ich wollte irgendwo freiwillig mitarbeiten und Kinder unterrichten, die sonst keine Ausbildung haben."

Einen Universitätsabschluss oder eine Lehrerausbildung hat er nicht. Der Schwede ist ein Voluntourist - jemand, der seinen Urlaub mit einem freiwilligen (englisch: volunteering) wohltätigen Einsatz verbindet. Die Waisenhäuser von Siem Reap, in der Nähe der weltberühmten Tempel von Angkor Wat, sind beliebt bei Studenten aus reichen Ländern. Viele wollen in ihren Sommerferien ihr Gewissen beruhigen und etwas Gutes tun.

Diese Helfer richten mehr Schaden an, als Gutes zu tun, meint jedoch die Kinderhilfsorganisation Friends International. "Sie meinen es gut, aber sie unterstützen Institutionen, die sehr mangelhaft sind", kritisiert Sprecher James Sutherland. Niemand überprüfe die Qualifikation der Freiwilligen und sie würden auch keine Schulungen bekommen. Auch die UNICEF warnt in einer 2011 veröffentlichten Studie vor Gefahren für das Kindswohl durch diesen "Waisentourismus". Friends International macht mit der Kampagne "Kinder sind keine Touristenattraktion" auf die Probleme aufmerksam. Plakate zeigen Touristen, die Kinder wie Zootiere abfotografieren.

Hinzu kommt, dass viele der angeblichen Waisenkinder gar nicht elternlos sind. In Fredericks Waisenhaus der "Kinder- und Entwicklungsorganisation" (CDO) sind nur zwei der 25 Kinder Waisen, das gibt Leiterin Mom Savorn offen zu. Aber, sagt sie, die Kinder kämen aus einem armen Dorf und das Waisenhaus sei ihre einzige Chance auf Essen und Bildung.

Das Leben in Waisenhäusern schade der körperlichen und seelischen Entwicklung der Kinder und setze sie vielen Gefahren aus, kritisiert hingegen UNICEF. Auch die Regierung sieht Waisenhäuser nur als letzten Ausweg. Nach Informationen des Sozialministeriums und der UNICEF lebten 2010 etwa 12 000 Kinder in den 269 Waisenhäusern des Landes, aber nur 23 Prozent von ihnen waren Vollwaisen. Insgesamt gibt es in dem von jahrzehntelangen Konflikten geplagten Land etwa 550 000 Halb- oder Vollwaisen, bei einer Bevölkerung von etwa 15 Millionen Menschen.

Die 21-jährige Sara aus Portugal arbeitet seit zwei Monaten im CDO-Heim. Sie verteidigt das System: "Die Kinder können hier ein besseres Leben haben", ist sie überzeugt. Die Kinder hier sind dürr, aber relativ gut angezogen. Die Schlafsäle sind erbärmlich - 16 Kinder schlafen in dem aus Wellblech und Holz zusammengezimmerten Jungenschlafsaal auf Matratzen ohne Betttücher und ohne Ventilatoren in der schwülen Sommerhitze.

Sara und Frederick bezahlen nichts für ihre Hilfstätigkeit, aber viele Internetseiten, die ähnliche Freiwilligenpositionen vermitteln, nehmen Tausende Dollar für ihre Dienste. "In Kambodscha beschwert man sich immer über Korruption, da kann ich doch kein Geld von meinen Freiwilligen nehmen", sagt Mom.

Die australische Studentin Emma hat einer Organisation 3000 US-Dollar (2200 Euro) für einige Wochen in einem Waisenhaus bezahlt. Sie bereue dies heute, sagt sie. "Es macht mich krank, dass ich ein Teil davon war. Ich habe das Gefühl, dass diese Kinder für mein Helfer-Erlebnis ausgebeutet wurden." Die Vermittler nutzen aus, dass Menschen anderen helfen wollen, fügt sie hinzu.

Es koste etwa 2000 US-Dollar im Monat, das Waisenhaus zu betreiben, sagt Mom. Sie finanziere dies vor allem durch Spenden von Besuchern, die alle herzlich willkommen sein. "Viele spenden auch noch nach ihrem Besuch." Acodo, ein anderes Waisenhaus in Siam Reap, wirbt mit einer täglichen "Charity Show" - "Aufführungen, Musik und Tanz von den verwundbaren Kindern" werden angepriesen.

Die Kinder im CDO scheinen sehr an Frederick zu hängen. Ob er sich denn sorge, dass sie darunter leiden werden, wenn er wieder nach Hause fahre? "Deswegen werde ich ein oder zwei Monate bleiben. Manche Leute kommen nur für eine Woche. Was soll das bringen?", sagt der Tourist. Heute im Waisenhaus, morgen schon am Strand: Dieser schnelle Wechsel von Voluntouristen in den Waisenhäusern sei vor allem für die Kinder problematisch, meint Friends International. "Der seelische Schaden von diesen kurzzeitigen Bindungen kann zu Bindungsstörungen führen", sagt Sutherland.

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