Franziskus Lichtgestalt wider Willen

Rom · Viele Gläubige haben auf eine charismatische Figur wie Franziskus gewartet. Nach seiner Amtseinführung am gestrigen Dienstag muss er nun mit den großen, selbst geschaffenen Erwartungen zurecht kommen.

Der sonnige Morgen, an dem Papst Franziskus in sein Amt eingeführt wird, beginnt mit einem Cappuccino ein paar Hundert Meter vom Vatikan entfernt. Ein älterer Herr aus Deutschland, schwarze Mütze, kurzer gepflegter weißer Schnauzbart, frühstückt in einer Bar am Tiber. Draußen strömt die Menge bereits zum Petersplatz.

Es wimmelt vor lauter Polizisten und alle paar Minuten ertönt ein Martinshorn, weil wieder irgendein Staatsgast im Konvoi vorbei braust. Die sonst so chaotische Stadt Rom wirkt an diesem Tag beeindruckend effizient. "Cornetto e cappuccino prego", sagt unser Mann mit hörbarem deutschen Akzent. Seinen Namen will er nicht nennen, nur, dass er aus der Nähe von Donauwörth stammt.

1,80 Euro kostet dieser morgendliche Spaß, was nicht ganz unwichtig ist, denn bei dem Herrn, nennen wir ihn Peter Müller, handelt es sich um einen derjenigen Menschen, die nachts am Petersplatz auf Pappkartons schlafen. Seit einem Jahr nächtigt Müller hier, auf dem kalten Travertin, vor einem Geschäft, in dem religiöse Artikel und Rosenkränze verkauft werden.

Und wenn von Franziskus, dem Papst der Armen die Rede ist, der bereits am dritten Tag seines Pontifikats seufzend gesagt hat, wie sehr er sich eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen wünsche, ist die Gegenwart von Leuten wie Peter Müller nicht ganz unerheblich. "Dieser Papst ist ein Hoffnungsschimmer", sagt der Obdachlose.

Dass das viele Menschen ähnlich sehen, ist um kurz vor neun Uhr zu hören, als der weiße Jeep des Papstes auf den Petersplatz fährt. Knapp 200.000 Menschen sind zur Einführungsmesse gekommen. Ein Jubelsturm bricht aus, die meisten sehen Franziskus zunächst nur auf den Videowänden. Nach ein paar Minuten ist der weiß gekleidete Oberkörper des Papstes dann auch in der Ferne zu erkennen.

Erhaben gleitet dieser Oberhirte, der offenbar gar nicht so viel mit seiner herausgehobenen Position anfangen kann, über die Menschenmenge hinweg. Es ist das Bild eines freundlich dreinblickenden Messias wider Willen. Das jedenfalls legen auch die Gesten der vergangenen Tage nahe. Die einfache Kleidung, die einfachen Worte, der nette Ton. Dieser Papst ist so nahbar, dass er sogar auf Panzerglas bei seiner Rundfahrt verzichtet.

[kein Linktext vorhanden]Er lächelt in die Menge, winkt, dreimal wird er den Daumen heben bei dieser Rundfahrt als Zeichen der Zustimmung und Zufriedenheit. Und jedesmal gluckst die Menge vor Glück. Dann lässt Franziskus den Jeep und das Dutzend Leibwächter anhalten, steigt vom Fahrzeug, küsst Kinder, die ihm gereicht werden und die nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen auf diese Gesten lieber verzichten würden. "Ich wusste es, dass er absteigt und sich den Leuten zuwendet!", sagt eine begeisterte Lehrerin aus Innsbruck, die extra zur Messe nach Rom gereist ist.

Ihre Stimme überschlägt sich vor Aufregung. Ihre Freundin sagt: "Der Papst hat sich in unser Herz geschrieben." Emotional gesehen hat Franziskus auch an diesem Tag einen enormen Effekt auf die Menschen am Petersplatz, das war schon bei seinem ersten Auftritt am Abend der Wahl und nach dem Angelusgebet am Sonntag so.

Er ist eine Figur, auf die offenbar viele gewartet haben und die nun mit den großen Erwartungen zurecht kommen muss. Als "beispiellose, kollektive Verliebtheit" charakterisierte die sonst eher unaufgeregte Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera die Reaktionen der Menschen auf Franziskus. Dann steigt er wieder vom Jeep, diesmal küsst er einen schwerbehinderten Mann hinter der Absperrung. "Eccolo!", da ist er wieder, sagen die Gläubigen, wenn der weiße Oberkörper des lieben Franziskus wieder irgendwo schemenhaft in der Ferne auftaucht.

Bald beginnt die Messe. Franziskus begibt sich zum Petrusgrab im Petersdom, von hier beginnt die Prozession zum Altar auf dem Platz. Dort diskutiert die Menge über die hohen Besucher, deren Gesichter auf den Videowänden gezeigt werden. Staats- und Regierungschefs aus über 130 Ländern sind gekommen, Könige, Prinzen und mindestens eine persona non grata. Simbabwes Präsident Robert Mugabe (89) hat in der EU wegen Verletzung der Menschenrechte eigentlich Einreiseverbot, aber weil der Vatikan nicht zur EU gehört, darf er kommen.

Mugabe ist also ebenso unter den Staatsgästen wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder der italienische Ministerpräsident Mario Monti. Als Monti gezeigt wird, gibt es ein paar spöttische Kommentare aus dem Publikum. Merkel, die in Italien noch umstrittener ist, wird erst gar nicht eingeblendet. Die argentinische Präsidentin, Cristina Fernandez Kirchner, sitzt in der ersten Reihe. Sie hat am Tag zuvor nach der Privataudienz bei ihrem Landsmann Jorge Mario Bergoglio gesagt, er sei sich seiner großen Aufgabe bewusst "und auch derjenigen Dinge, die sich ändern müssen".

[kein Linktext vorhanden]Die Amtseinführung könnte der letzte unbeschwerte Tag des Pontifikats sein. Denn dann gilt es, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen. Zu denken ist etwa an die Besetzung der wichtigsten Posten in der zerstrittenen Kurie. "Auf Dauer geht das so nicht gut", sagt ein Kurienmitarbeiter über den beinahe unbedarften Stil des Papstes. Franziskus müsse aufpassen, dass er sein Pulver nicht zu schnell verschieße.

Im Inneren des Vatikan sind schon jetzt die ersten besorgten Stimmen zu vernehmen.Doch der Papst kann auch ernst. Das merkt man ihm bei der Messe an, in der ihm das Pallium, eine Art Schal, und der vergoldete Fischerring als Zeichen seiner päpstlichen Macht überreicht werden. Bei der Predigt ist seine Stimme leiser als am Sonntag beim Angelusgebet, diesmal kommen ihm keine lockeren Floskeln über die Lippen. Kein "Guten Tag" oder "Guten Appetit".

Franziskus spricht von den "Armen, Schwächsten, Geringsten" und von der Schöpfung, die zu bewahren sei. "Lasst uns Hüter der Schöpfung sein", sagt er und spricht damit auch die angereisten Staatsgäste an. Und er sagt, die Menschen sollten sich "nicht fürchten vor Güte, vor Zärtlichkeit". Ein Zuhörer zieht sein Stofftaschentuch hervor und trocknet sich die Tränen. Mehrmals während der Predigt brandet Applaus auf. Es sind Worte, wie man sie auch von anderen Päpsten kennt, aber jetzt wirken sie glaubwürdiger, weniger theoretisch und verkopft.

Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper sprach in den vergangenen Tagen von einem "erneuerten Verständnis" der Kirche. "Bergoglio ist wirklich so, er ist authentisch", sagt José Ignacio Tola. Der Priester und Kurienmitarbeiter steht weit vorne auf dem Petersplatz und kennt Bergoglio noch aus der Lateinamerika-Kommission des Vatikan. "Frühlingsgefühle" vermeint gar ein Gast beim anschließenden Empfang im deutschen Priesterkolleg zu verspüren. Auch die Bundeskanzlerin nimmt Teil, sie bezeichnet die Messe und ihre anschließende persönliche Begegnung mit Franziskus als "sehr bewegend" und hebt die "einfache Sprache" und Bergoglios "Zugehen auf die Menschen" hervor.

Wenn abends wieder Ruhe am Petersplatz eingekehrt ist, wird Peter Müller wieder seinen Schlafplatz vor dem Rosenkranz-Geschäft einnehmen. Pappe, eine Thermo-Unterlage, zwei Schlafsäcke und einen Rucksack hat er dabei, mehr nicht. Die vielen lauten Konvois am Morgen haben ihn gestört, überhaupt findet er, dass die Menschen ziemlich verkommen und unersättlich seien. "Hoffentlich ist der da drüben anders", sagt der Obdachlose.

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