Universitäts-Rektor Jürgen Fohrmann "Wir brauchen eine Kultur der Ehrlichkeit"
Bonn · Rektor Jürgen Fohrmann wählt einen ungewöhnlichen Weg: Er gibt den Posten an der Spitze der Bonner Universität ab, tritt nicht für eine zweite Amtszeit an. Mit ihm sprach Annette Claus.
Was hat den Ausschlag für Ihre Entscheidung gegeben?
Jürgen Fohrmann: Mein Lebensrhythmus. Ich habe bislang nichts länger als sechs bis acht Jahre gemacht, und das war immer die richtige Entscheidung. Ich werde 2015 insgesamt acht Jahre in einer Leitungsposition tätig gewesen sein - ich war ja vor den dann sechs Jahren als Rektor zwei Jahre Dekan der Philosophischen Fakultät. Das ist eine ziemlich lange Zeit, in der ich hoffentlich der Universität einiges habe geben können. Und jetzt siegen meine Wissenschaftsneigungen. Die letzten sechs, acht Jahre habe ich aus einem Fundus heraus gelebt, der sehr stark von meinen Wissenschaften geprägt war. Ich bin ein wissenschaftlicher Rektor, und jetzt kommt die Zeit, dass ich für mich aus den Wissenschaften wieder etwas aufnehmen möchte.
Sie wollen den Fundus sozusagen wieder auffüllen.
Fohrmann: Ja, ich möchte mich wieder in die intellektuellen Debatten des Landes einmischen. Die Kontakte, die ich während meines Rektorates habe aktivieren können, waren ja Kontakte, die ich vorher erworben hatte - wenn man die Stadtgesellschaft mal beiseite lässt. Das braucht eine Auffrischung, weil ich das gerne über meine Pensionierungsgrenze hinaus machen möchte. Ich möchte Dinge, die mir immer schon am Herzen lagen, fortführen. Zum Beispiel ein großes Buchprojekt, das ich habe liegen lassen müssen, als ich Rektor wurde. Da geht es um Feindschaft und Kultur - eine große Auseinandersetzung um die Rechtstheorie und Kulturtheorie um 1900, ein kleines Stück demokratietheoretisches Vermächtnis.
Fehlt Ihnen auch die Lehre?
Fohrmann: Schon. Aus der Lehre heraus erhalte ich viele Impulse. Als Geisteswissenschaftler bin ich ja in einem Fach tätig, in dem ich jetzt noch anschließen kann. Wäre ich noch einmal fünf Jahre Rektor, dann fiele ich aus den Verbindungen und Netzwerken heraus.
Das Amt des Rektors einer Universität ist heutzutage durch äußere Umstände stark beschränkt - Stichworte neues Hochschulzukunftsgesetz, Sparzwänge ...
Fohrmann: Die politischen Rahmenbedingungen sind nicht der Grund für meine Entscheidung, auch wenn ich eine zukünftige Rektorin, einen Rektor nicht beneide ob der zukünftigen Rahmenbedingungen. Denn wenn das Hochschulzukunftsgesetz so kommt, wie es das Land derzeit plant, wird es meiner Überzeugung nach nicht besser, sondern schlechter. Die Finanzierungsschwierigkeiten des Landes sind auch keine kleinen, auch das wird ein zukünftiges Rektorat belasten.
Wie beurteilen Sie Ihre Amtszeit?
Fohrmann: Ich glaube, dass wir in den letzten fünf, sechs Jahren vieles gemacht haben, was diese Universität auch für die Zukunft gut aufgestellt hat. Das wird man fortführen müssen. Noch mal: Ich verspüre aber keine Unlust am Amt, sondern habe ganz bewusst entschieden, wieder in meine Wissenschaft zurückzugehen.
Selten, ein solcher Schritt.
Fohrmann: Ich bin der einzige Rektor in Nordrhein-Westfalen, der so etwas macht.
Sie gehen ja auch ein bisschen zurück ins Glied.
Fohrmann: Ja, wobei die Glieder ja locker verbunden sind.
Als Hochschullehrer hat man Freiheiten.
Fohrmann: Hat man. Ich würde aber einige Dinge gerne weitermachen, zum Beispiel die vielen Initiativen, die wir jetzt zu Bonn als internationaler Wissenschaftsstadt gestartet haben. Da würde ich mich weiter einmischen wollen und wohl auch müssen, weil das so schnell kein anderer übernehmen könnte. Gerne, wenn ein künftiges Rektorat das wünscht, aber auch sonst gerne im Rahmen meiner Möglichkeiten.
Die Arbeit eines Rektors hat viel mit Repräsentieren zu tun.
Fohrmann: Sie ist eine Mischung aus ganz kleinen Dingen, um die man sich kümmern muss, und ganz großen Dingen. Es fängt an bei den Schülerinnen und Schülern der Kinderuni, wo ich jede Preisverleihung selbst mache, und geht weiter bis zu den Alumni und Sponsoring, strategischen Entscheidungen, viel Kontakt mit der Politik.
Viele Kontakte auch zu anderen Universitäten. Viele strategische Entscheidungen über Mittelvergaben. Es gibt eine hohe Terminfrequenz jeden Tag, es gibt eine starke Nicht-mehr-selbst-Organisation, sondern organisiert werden durch ein Büro. Das kann man eine Zeit lang machen und es geht auch gar nicht anders, aber am Ende wünscht man sich, dass wieder ein paar mehr Freiheitsgrade dazukommen.
Was fanden Sie in den letzten Jahren gelungen, was hätten Sie sich anders gewünscht?
Fohrmann: Ein wichtiger Punkt meiner Amtszeit war, die Lehrerausbildung wieder eingeführt zu haben. Dass wir das gemacht haben, wird für die Universität, aber auch für das ganze Umfeld sehr segensreich sein. Ansonsten muss eine Universität bei ganz vielen Dingen aufgestellt sein: von der IT-Organisation über Gleichstellungsfragen und Internationalisierungs-Strategien bis zu Kontakten zu Förderern und Freunden.
Dieses breite Band an Aufgaben macht moderne Universität aus. Natürlich auch neue Konzepte für Forschung und Lehre. Wir haben neue Dezernate gegründet, wir haben Forschung extrem gesteigert - unsere Drittmittel-Einnahmen sind beachtlich. 40 Prozent aller Wissenschaftlerstellen sind fremd eingeworben.
Das sehen Sie nur positiv?
Fohrmann: Wir sind an der Belastungsgrenze angekommen, aber an sich ist das ein Erfolg im Wettbewerb. Dass die Grundausstattung und die Grundmittel nicht ausreichen, ist eine andere Frage. Was mir immer wichtig war: Wissenschaft hochzuhalten als Einheit von Forschung und Lehre. Ich glaube, ich stehe für ein Kommunikationsklima, das Wissenschaft in vielfältiger Weise befördert. Eine Leitmaxime: Wir wollen jede Wissenschaftskultur so befördern, dass sie am besten gedeiht, und wollen nicht mit einem Schema F über alle Zusammenhänge hinweg gehen.
Unsere Ökonomen etwa gehen ganz andere Karrierewege als die an derselben Fakultät tätigen Juristen. Es soll der Universität deshalb gut gehen, weil es den einzelnen Wissenschaften gut geht. Das zu realisieren, ist natürlich nicht einfach und bleibt immer Baustelle. Die Zentrifugalkräfte so zu binden, dass man sich als eine Universität versteht, das bleibt Aufgabe für jedes Rektorat.
In der Außenwirkung scheinen die Naturwissenschaften wichtiger zu sein als die Geisteswissenschaften.
Fohrmann: Das hängt mit ihrem Arbeitsstil zusammen. Die Naturwissenschaften sind sehr stark auf kooperative Arbeitsformen angewiesen. Diese sind zugleich die Basis für Drittmitteleinwerbung im großen Stil, da ist unsere mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät sehr erfolgreich - was die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) angeht, die erfolgreichste Universität in Deutschland.
Das erzeugt eine große Druckwelle auch in andere Bereiche hinein, die nicht mit diesen kooperativen Verfahren arbeiten und deshalb nicht ganz so leicht dieselben Summen akquirieren können. Ich bin ein überzeugter, sehr selbstbewusster Geisteswissenschaftler und würde immer meinen, dass wir konkurrieren sollten. Das kann ich aber besser als Hochschullehrer denn als Rektor. Als solcher bin ich für die Gesamtuniversität verantwortlich.
Sie sind Mitherausgeber des Buches "Die Kommunikation der Gerüchte" - Ihre einschlägigen Erfahrungen an der Uni?
Fohrmann: Die meiste Kommunikation ist Gerüchte-Kommunikation. Gerüchte kommen jeden Tag auf. Man hat gehört, dass dieses oder jenes Fach abgeschafft werden soll, was gar nicht stimmt - und Ähnliches.
In den vergangenen Monaten gab es Querelen um das Collegium musicum.
Fohrmann: Ja, da gab es viele Gerüchte. Das Collegium musicum und meine Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, hängen in keiner Weise zusammen. Das wäre eine völlige Selbstüberschätzung des Collegium musicum. Da hat es sicherlich kommunikative Missverständnisse gegeben, aber auch Interessen von allen Seiten, das muss man auch mal sagen.
Wie sehen Sie die Rolle der Uni in der Stadt? Ist sie eine Insel?
Fohrmann: Vielleicht ist die Hofgartenwiese noch eine Insel, aber sonst ist die Universität gut eingebunden in die Stadt, finde ich. Es gibt viele Kontakte, zuletzt habe ich mit dem Oberbürgermeister und dem Vorsitzenden der DFG ein Papier aufgelegt für Bonn als internationale Wissenschaftsstadt - das hätten wir früher niemals hinbekommen. Wir kooperieren in vielen Bereichen. Der OB hat mich zum Bonn-Botschafter ernannt, und ich bin im Karneval angekommen, sitze das nächste Mal im Elferrat des Festausschusses Bonner Karneval, als Ostwestfale!
Was werden Sie an Ihrem ersten Tag in Freiheit machen?
Fohrmann: Ich werde wahrscheinlich nicht sofort in den Lehrbetrieb einsteigen. Ich werde als erstes die vielen Stapel, die ich angehäuft habe, bevor ich Rektor wurde, anschauen, um zu gucken, was sich dahinter Kluges verbirgt, und dann werde ich versuchen, ein Arbeitsprogramm für mich aufzusetzen.
Ihre drei Wünsche für die Uni?
Fohrmann: Eine enge Zusammenarbeit der Fakultäten. Eine ausreichende finanzielle Basis für diese Universität, was voraussetzt, dass wir die Bund-Länder-Finanzierung anders hinkriegen. Und als drittes: eine intelligente Studierendenschaft.
Haben Sie Grund zur Beanstandung?
Fohrmann: Wir stellen zunehmend fest, dass wir Auffangkurse, Vorbereitungskurse geben müssen. Binnen zehn Jahren ist der Prozentsatz derjenigen eines Jahrgangs, die zur Hochschule gehen, von 30 auf 50 Prozent gestiegen. Das bleibt natürlich nicht spurenlos. Wir brauchen ein stabiles, die Aufgaben klar verteilendes Hochschulsystem auf der Basis einer soliden dualen Ausbildung. Die politischen Rahmenbedingungen sind nicht immer ins Günstigste entwickelt worden.
Wir brauchen eine Kultur der Ehrlichkeit. Und eine Hochschullandschaft, die auf der Basis einer Kooperation zwischen den Hochschulen unter der Moderation des Ministeriums funktioniert. Alles andere wird das Ministerium niemals leisten können. Dazu zu kommen, ist die große Aufgabe der Zukunft.
Wie steht es um die internationale Konkurrenzfähigkeit?
Fohrmann: Wir laufen ständig Gefahr, dass uns die jungen Leute wegen der großen Gehaltsunterschiede abgeworben werden. Der Bonner Universität ist es gelungen, einige ganz große Leistungsträger zu halten, obwohl wir ihnen kein adäquates Angebot machen konnten. Es gibt nicht nur ein monetäres Kapital, es gibt auch ein Kapital des Vertrauens. Wir versuchen, Zusammenarbeit im Vertrauen zu pflegen. Wenn ich in meiner Amtszeit ein bisschen geschafft habe, dieses Klima zu schaffen, war es ein großer Erfolg.
Zur Person
Jürgen Fohrmann, geboren am 16. Oktober 1953 in Bielefeld, studierte in Münster und Bielefeld Germanistik, Geschichte und Literaturwissenschaft, es folgten Promotion und Habilitation in seiner Heimatstadt. 1991 wechselte der Germanistikprofessor nach Bonn. Von 2006 bis 2008 war er Dekan der Philosophischen Fakultät, 2009 wurde er zum Rektor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gewählt. Fohrmann ist verheiratet und hat eine Tochter, er wohnt in Hennef-Lichtenberg.