Ultraleichtflugzeug dient als "Lockvogel"

Bonner Wissenschaftler wollen mit dem Flieger bedrohte Zwerggänse auf eine ungefährlichere Zugroute locken - In Osteuropa dezimieren Jäger die Bestände

Ultraleichtflugzeug dient als "Lockvogel"
Foto: Bundesamtes für Naturschutz

Bonn. Der Motor röhrt, das Ultraleichtflugzeug wird immer schneller und hebt schließlich brummend von der Seeoberfläche ab. Der Pilot dreht noch ein paar Runden und nimmt schließlich Kurs nach Südosten. Hinter ihm her fliegen Dutzende Zwerggänse.

Das ist kein Zufall. Die eigenartige Karawane der Lüfte ist ein Naturschutzprojekt der Aktion Zwerggans e.V. Der kleine Flieger soll die Gänse auf eine neue Wanderroute führen. Die skandinavische Zwerggans ist akut vom Aussterben bedroht. Von ehemals mehr als 10 000 Gänsen sind nur noch knapp 20 Brutpaare übrig geblieben - viel zu wenig, um dauerhaft zu überleben.

Hauptgrund für den Rückgang ist die Jagd, der die Zwerggänse auf ihren Flügen aus den nordeuropäischen Brutregionen in die Überwinterungsgebiete in Osteuropa ausgesetzt sind. "Die starke Ähnlichkeit mit der Blässgans wird der Zwerggans zum Verhängnis", berichtet Rainer Blanke, stellvertretender Präsident des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) in Bonn, das die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen hat.

Da die Blässgänse intensiv bejagt werden, zählen auch die seltenen Zwerggänse zu den Opfern. Das Projekt soll die Tierart vor dem Aussterben retten. Ab Mitte Mai sollen Eier gezüchteter Zwerggänse nach Nordschweden gebracht und dort künstlich ausgebrütet werden. Bereits vor dem Schlüpfen machen die Naturschützer die Küken im Ei mit den Geräuschen des Flugzeugmotors vertraut.

Beim Schlüpfen findet eine Prägung der Gänse auf die Lebewesen statt, die gerade da sind. "Wir tragen deshalb eine Art Kutte, um unsere menschliche Silhouette weitgehend zu verbergen", berichtet Projektleiter Wolfgang Scholze. Denn die Gänse sollen künftig ihren Artgenossen und nicht den Menschen folgen.

Außerdem will Scholze noch eine Art Geheimsprache entwickeln, damit die kleinen Zwerggänse nicht zu sehr auf den Menschen geprägt werden: "Das klingt dann etwa wie “wiwiwi„ oder “gagaga„", sagt Scholze. Im Gefolge des Ultraleichtflugzeuges lernen die Tiere in Lappland das Fliegen und prägen sich dabei ihr späteres Brutgebiet ein.

Sobald die jungen Gänse kräftig genug sind, beginnt der Zug in das Überwinterungsgebiet. Mitte August werden 25 junge Zwerggänse mit zwei Ultraleichtflugzeugen in den Bergen Nordschwedens starten und über Dänemark nach Deutschland ziehen. Voraussichtlich Anfang Oktober wird der Geleitzug auf der Bislicher Insel am Niederrhein ankommen.

"Dieses europäische Vogelschutzgebiet ist eines der wichtigsten Überwinterungsgebiete für arktische Gänse in Deutschland", sagt Blanke. Dort angekommen, reduzieren die Betreuer schrittweise den Kontakt zu den Zwerggänsen. Die Jungvögel schließen sich mehr und mehr den anderen Gänsen an und fliegen mit ihnen zu den nahen Futter- und Übernachtungsplätzen.

Im Frühjahr ziehen die Zwerggänse dann ohne menschliche Begleitung selbstständig zurück nach Lappland. Den Weg dorthin haben sie sich auf dem ersten Flug für immer eingeprägt und geben ihn an ihre Nachkommen weiter. Laut Blanke gab es auch Kritik an dem Projekt: Die künstlich aufgezogenen Zwerggänse würden die letzten reinen Wildbestände verderben.

Außerdem sahen einige Artenschützer das Prägen auf eine neue Flugroute als einen unzulässigen Eingriff in die Natur. Beide Punkte konnten die Projektverantwortlichen entkräften. Professor Michael Wink und seine Mitarbeiter von der Universität Heidelberg haben das Erbgut von 270 Zwerggänsen aus Zuchtbeständen und wilden Populationen verglichen. "Das Erbgut der Zucht-Zwerggänse entspricht demjenigen der frei in der Natur lebenden", berichtet Wink.

Der Gänseforscher Johan Mooij hat Beobachtungsdaten aus Schweden und Deutschland ausgewertet. Dabei entdeckte er eine bislang unbekannte Zwerggans-Wanderroute von Lappland entlang der schwedischen Küste nach Südschweden, die sich an der Deutschen Nordseeküste fortsetzt. Diese alte Route sei bestens geeignet für den Aufbau einer neuen stabilen Population. "Wir können das Projekt nun mit gutem Gewissen durchführen", sagt Blanke.

Der Kern des Artenschutzprojektes ist also, eine früher von den Zwerggänsen genutzte, sichere Zugroute wiederherzustellen. Die Methode mit den Ultraleichtfliegern soll mehrere Jahre hintereinander wiederholt werden, um dauerhaft eine überlebensfähige Population der Zwerggans aufzubauen.

Alle Gänse tragen Telemetriesender, um die Aufenthaltsorte der Tiere überwachen zu können. Das Vorhaben hat den Charakter eines Pilotprojektes: Die Methode soll optimiert und gleichzeitig sollen neue Erkenntnisse für die Vogelzugforschung gewonnen werden.

Informationen gibt es unter: www.zwerggans.de.

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