Schon vor 130 000 Jahren? Nordamerika wohl schon wesentlich früher besiedelt

San Diego · Schnittspuren an Mammutknochen könnten der ohnehin laufenden Debatte um die Erstbesiedelung Amerikas eine ganz neue Wendung geben: Forscher datieren die Ankunft erster Menschen damit um ein Vielfaches zurück.

 Ein Paläontologe deutet auf Steinfragmente in der Nähe eines Mammutstoßzahns, die in San Diego entdeckt wurden.

Ein Paläontologe deutet auf Steinfragmente in der Nähe eines Mammutstoßzahns, die in San Diego entdeckt wurden.

Foto: San Diego Natural History Museum

Ist die Neue Welt vielleicht viel älter? Frühe Menschen haben Nordamerika möglicherweise schon 115.000 Jahre eher erreicht als bisher angenommen.

Ein US-Forscherteam leitet das aus Mammutknochen einer Ausgrabungsstätte in San Diego (Kalifornien) ab, die Spuren von Bearbeitung durch Steinwerkzeuge tragen und mittels moderner Methoden auf ein Alter von etwa 130.000 Jahre datiert wurden. Steine, die nach Auffassung der Forscher als Hammer und Amboss verwendet wurden, lagen neben den bearbeiteten Beinknochen und Zähnen, berichtet das Team im Fachjournal "Nature".

"Für mich gibt es keinen Zweifel, dass dies eine archäologische Ausgrabungsstätte ist", sagt der Mitautor Steve Holen. Experten aus Israel und Deutschland halten dies ebenfalls für plausibel, andere sind skeptisch.

Schon 1992 hatten Paläontologen, darunter Thomas Deméré vom San Diego Natural History Museum, die sogenannte Cerutti-Mammut-Fundstätte (CM Site) entdeckt. Zahlreiche Knochen- und Zahnreste lagerten in einer dünnen Sandschicht, eingebettet in eine zwölf Meter dicke Sedimentschicht aus dem Pleistozän. Erst 2014 aber konnte das Alter der Knochen anhand spezieller Analysen bestimmt werden. Es liegt bei etwa 130 000 Jahren - es könnten auch 10 000 mehr oder weniger sein. Die Funde stammen damit aus einer wärmeren Phase vor der jüngsten Eiszeit.

Holen und sein Team fanden an den Knochen zum gleichen Zeitpunkt entstandene Kerben, die sie als Bruch- und Bearbeitungsspuren von Steinwerkzeugen deuten. "Die Knochen und mehrere Zähne zeigen deutliche Anzeichen, dass sie absichtlich von Menschen mit handwerklicher Geschicklichkeit und Wissen gebrochen wurden", erläutert Holen. Ähnliche Muster gebe es bei Mammut-Fossilien aus Kansas und Nebraska, wo geologische Kräfte oder Angriffe von Raubtieren ausgeschlossen werden konnten.

Zudem fanden sich unmittelbar neben den Knochen fünf große Steine - von Menschen für Bearbeitungszwecke genutzt, sind die Forscher überzeugt. Um ihre Vermutung zu überprüfen, testeten die Forscher eigenhändig an Elefantenknochen, ob diese sich mit Steinäxten und auf einem Stein als Amboss liegend durchtrennen lassen. Dies war der Fall. Die Jäger hätten so an das nahrhafte Mark im Innern der Knochen gelangen oder aus den Knochenstücken andere Werkzeuge bauen können, erläutern die Wissenschaftler.

Der US-Frühzeitforscher Michael Waters von der Texas A&M University bleibt skeptisch, ob die Steine tatsächlich Werkzeuge darstellten. "Eindeutige Behauptungen erfordern auch eindeutige Beweise." Diese seien in der Studie nicht gegeben. Für Friedemann Schrenk, Paläoanthropologe am Senckenberg-Institut, sind die Ergebnisse hingegen der erste überzeugende Nachweis für die Besiedlung Nordamerikas vor der durch den modernen Menschen.

Homo sapiens zog nach derzeitig gängiger Expertenmeinung erst vor höchstens 15.000 Jahren in der letzten Eiszeit von Asien aus auf den Kontinent - durch den tieferen Meeresspiegel gab es eine Landbrücke an der heutigen Beringstraße. Für eine frühere Besiedelung durch andere Homo-Arten gab es bislang nur vereinzelte und umstrittene Anzeichen.

Die israelische Paläontologin Erella Hovers hält die neue Studie für sorgfältig ausgearbeitet, wie sie in einem Begleitartikel schreibt. Sie hält sie es für möglich, dass späte Vertreter des Homo erectus, des Denisova-Menschen oder auch des Neandertalers das Mammut zerteilten.

Fraglich ist, wie diese Frühmenschen ins heutige Kalifornien gelangten. Die US-Forscher vermuten, dass dies in der damaligen Warmphase über den Seeweg gelungen sein könnte. Auch in Asien und im Mittelmeer seien vor über 100.000 Jahren frühe Menschen auf Inseln gelangt.

Der deutsche Experte Schrenk nimmt an, dass es Neandertaler-Verwandte gewesen sein könnten, die damals in Europa bis hinüber nach Sibirien lebten. "Die Paläoanthropologie wird dadurch zwar nicht neu geschrieben, sondern ergänzt, was aber dennoch ziemlich spektakulär ist. Frage ist dann natürlich auch, was ist mit diesen Menschen weiter passiert, es kam ja dann wieder eine Eiszeit."

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