Hurrikan-Forschung Macht und Ohnmacht

Die Wirbelsturm-Genese kennt viele Geburtshelfer und Gegenspieler zwischen El Niño, Klimawandel und natürlichen Zyklen, die alle 30 bis 40 Jahre wechseln.

 Satelliten informieren seit Jahrzehnten über die Großwetterlage über dem Nordatlantik. Das Bild zeigt, kaum hat Texas Hurrikan „Harvey“ überstanden, die nächsten Bedrohungen „Irma“ und „José“.

Satelliten informieren seit Jahrzehnten über die Großwetterlage über dem Nordatlantik. Das Bild zeigt, kaum hat Texas Hurrikan „Harvey“ überstanden, die nächsten Bedrohungen „Irma“ und „José“.

Foto: AFP

Tropische Wirbelstürme sind unberechenbar, egal ob sie über den Nordatlantik (Hurrikan), den Westpazifik (Taifun) oder den Indischen Ozean (Zyklon) ziehen. In Australien heißen die Wasserdampfmaschinen aus Naturhand übrigens „Willy-Willy“. Das mächtigste Wetterphänomen nimmt jedes Mal einen anderen Verlauf. Danach wird bilanziert: volkswirtschaftlicher Schaden, versicherter Schaden, Todesopferzahl. Jedes Hurrikan-Ranking fällt deshalb völlig anders aus.

Was lässt einen Wirbelsturm entstehen? Es beginnt mit einer physikalischen Grenze: Da die ablenkende Kraft der Erdrotation (Corioliskraft) am Äquator bei null liegt, kann sich hier kein spiralförmiger Wirbel bilden, sondern nur weiter nördlich. Am Anfang steht meist ein tropisches Tief vor Westafrika. Wehen dort die Winde in Bodennähe (Wasseroberfläche) und in der Höhe in die gleiche Richtung, entsteht der charakteristische Wirbel. Von diesen tropischen Depressionen entstehen rund 60 pro Jahr.

Nun geht die Reise des Wirbels westwärts. Sind die oberen Ozeanflächen mindestens 26,5 Grad warm, kann ein Sturm entstehen – ein sich selbst verstärkendes System, das immer mehr Wasserdampf aus dem Meer in sich hineinsaugt. Unterhalb von 118 Stundenkilometern Windgeschwindigkeit heißt das Druckgebilde „Tropensturm“, darüber „Hurrikan“. Kann es einige Tage störungsfrei (keine Windscherung in der Vertikalen, keine Landberührung) über den Nordatlantik ziehen, droht Ungemach.

Der Klimawandel verstärkt die Wirbelstürme

Die Lufttemperatur entscheidet darüber, wie groß der Wasserdampftank des Sturms ist. Faustregel: je wärmer, desto größer. Die Meerestemperatur bestimmt hingegen, wie leicht und zügig aus Wasser Hurrikan-Treibstoff (Wasserdampf) wird. So ist es in Zeiten der globalen Erwärmung plausibel, dass nicht nur Vögel früher brüten oder der Dorsch aus der zu warmen Nordsee flüchtet, sondern sich auch die Wirbelsturm-Stärke verändert: Der Klimawandel vergrößert den atmosphärischen Tank und optimiert den Tankvorgang. Faustregel: pro Grad Celsius drei Prozent mehr Wasserdampf.

Als Hurrikan „Harvey“ Ende August in den Golf von Mexiko einbog, war der Ozean über 30 Grad Celsius (teilweise bis in 60 Meter Tiefe) warm und die Luft noch wärmer. Obwohl er „nur“ als Tropensturm bei Houston an Land ging, war das System proppenvoll mit Wasserdampf beladen.

Der Klimawandel dreht an vielen kleinen Stellschrauben der atmosphärischen Zirkulation. Einmal verändert er die Höhenwinde (Jetstreams), die wiederum blockierte Wetterlagen begünstigen, was zu „stehenden Wettern“ führt, wie sie bei den dauerhaften Extrem-Regenfällen in Deutschland 2016 spürbar waren. Ob „Harveys“ Bewegungslosigkeit über Texas, ein quasi auf der Stelle verharrender Tropensturm, damit zusammenhing, liegt noch in der Pipeline wissenschaftlicher Klärung. 2010 hatte ein ex-trem mäandrierender Jetstream ebenfalls Wetterlagen – hier ein Dauertief, dort ein Dauerhoch – blockiert. So entstanden die Flut in Pakistan und die großflächigen Feuersbrünste in Russland. Das Wetter verharrte wochenlang im selben Zustand.

Wirbelstürme werden weniger, aber heftiger

Eine dieser Stellschrauben wirkt auch im Hurrikan-Kreißsaal. Forscher beobachten Veränderungen bei den Höhenwinden. Der Klimawandel begünstigt vermehrt auf Ost drehende Äquatorwinde: Eine Art Gegenkraft zu den dominanten westlichen Höhenwinden, die die „Wirbelsturm-Embryos“ vor Westafrika gebären. Scherwinde sind unterm Strich also eine Hurrikan-Bremse. Insofern erwarten wissenschaftliche Studien auch keine klimawandelbedingte Zunahme von Wirbelstürmen, eher eine Abnahme. Nur: Entsteht einer, wird er häufiger heftiger ausfallen.

Doch die Lage ist komplizierter, denn weitere Weichensteller beeinflussen die Hurrikan-Aktivität, etwa die großräumigen, von Unterschieden in Temperatur und Salzgehalt getriebenen Umwälzungen im marinen Förderband (thermohaline Zirkulation). Alle 30 bis 40 Jahre kommt es dazu und stehen die Zeichen im Nordatlantik günstiger oder schlechter für eine Hurrikan-Genese. So ist die kurzskalige, jahreszeitliche Hurrikan-Saison (Juni bis November) von der langskaligen zu unterscheiden.

Von 1965 bis 1995 herrschte die große Flaute, während danach wieder eine aktive Phase auf dem Atlantik begann. Schließlich gibt es noch El Niño – einen weiteren Mitspieler, der alle vier bis sieben Jahre auftaucht und die normalen Strömungsmuster auf den Kopf stellt, Hurrikans im Nordpazifik begünstigt und im Nordatlantik seltener werden lässt. Der letzte Zyklus endete Ende 2015, was „Harvey“ und „Irma“ im Atlantik in 2017 erklären würde, auch den Pazifik-Rekordhurrikan „Patricia“ (2015).

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