90. Geburtstag Ein Gelehrter von Weltrang: Karl Dietrich Bracher

BONN · Dem Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher ging es stets um engagierte Aufklärung und kühle Analysen. Je nach Blickwinkel galt er mal als linksliberal oder als Konservativer. Doch das war Bracher stets egal. Rund 120 Schüler hat er promoviert.

Für Generationen von Politologie-Studenten war das Institut Am Hofgarten 15 schlicht das "Bracher-Seminar". Der Wissenschaftler von Weltrang erhielt immer wieder Rufe zu Universitäten in Harvard, Washington, Florenz und anderen Hochschulen, doch Karl Dietrich Bracher blieb, bis auf einige Gastprofessuren, stets in Bonn. Heute wird der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker 90 Jahre alt.

Es mag die Bescheidenheit der damaligen Bundeshauptstadt gewesen sein, die so gut zu seinem Naturell passte, dass Bracher allen wissenschaftlichen Verlockungen in der Ferne widerstand. Die Nähe zur Uni von seinem Haus auf dem Bonner Kreuzberg sei schon ein Vorteil gewesen, sagt Bracher. Aber es war wohl zunächst die Chance für den noch nicht einmal 37-Jährigen Professor, ab 1959 den ersten Lehrstuhl für Politische Wissenschaft aufzubauen und dann bis zu seiner Emeritierung 1987 als zeitgeschichtlich orientierte Politikwissenschaft zu festigen.

Er kann sich noch gut an die Widerstände der Historiker erinnern und an den Wunsch der Juristen, diesen neuen, modernen Lehrstuhl zu besetzen. Letztlich war es eine gute Wahl, denn dank Bracher galt das Institut für Politische Wissenschaft als eines der angesehensten in der Bundesrepublik.

Bracher, 1922 in Stuttgart geboren, legt 1940 sein Abitur ab, erlebt in dieser Zeit hautnah die Entstehung des totalitären Hitler-Staates mit. Als er 1943 als Mitglied des Afrika-Korps in amerikanische Gefangenschaft gerät, lernt er die USA kennen. In der Nähe von Concordia in Kansas baut er mit anderen im Lager eine Universität auf. "Ich gab Lateinkurse", erinnert er sich.

Sein Studium der Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaften schließt Bracher 1948 in Tübingen mit seiner Doktorarbeit über "Verfall und Fortschritt im Denken der frühen römischen Kaiserzeit" ab. Nach einem Jahr an der Harvard-Universität geht Bracher nach Berlin, wo er 1955 habilitiert. Seine Schrift über die "Auflösung der Weimarer Republik" gilt heute noch als Standardwerk. 1959, ein Jahr nach seiner Ernennung zum Professor, kommt er schließlich nach Bonn.

Für die Studentenbewegung gilt der junge Wissenschaftler als Leuchtgestalt, vor allem, weil er als einer der Ersten in Deutschland überhaupt die NS-Machtergreifung, den Aufstieg und Fall der NS-Herrschaft analysiert. Bracher erinnert sich: "Die Historiker waren der Meinung, alle Akteure müssten gestorben sein, bevor über diese Zeit überhaupt objektiv geschrieben werden könnte. Und es gab damals ja mehr alte Nazis als junge Leute."

Nie dem Diktat des Zeitgeistes unterworfen

Joachim Fest, der 1973 mit "Hitler. Eine Biografie" einen Bestseller herausbrachte, faszinierte Brachers Werk über "Die deutsche Diktatur" (1969) als "erste sachkundige Gesamtdarstellung von Entstehung, Geschichte und Nachwirkung des Nationalsozialismus". Es sei eine "von Engagement und Kühle gleichzeitig geprägte Geschichtsschreibung", jubelt er im Spiegel.

Brachers Forschung, vor allem bei der Totalitarismusfrage, unterwarf sich nie dem Diktat des Zeitgeistes. Aufklärerisch musste Politikwissenschaft sein, auch wenn sie mal gegen den Strich gebürstet war. Das galt dann, wenn er etwa darstellte, dass der Nationalsozialismus mit seinem rassenbiologischen Programm und dem planmäßigen Völkermord sich qualitativ vom italienischen und spanischen Faschismus doch wohl unterscheide. Das galt auch bei der Frage nach dem Missbrauch von Ideologien, der Frage nach der Vergleichbarkeit von faschistischen und kommunistischen Systemen. Je nach Blickwinkel galt Bracher mal als linksliberal oder als Konservativer. Doch das war Bracher stets egal.

Rund 120 Schüler hat er promoviert, unter ihnen auch Margarita Mathiopoulos, gegen die Plagiatsvorwürfe erhoben werden. Doch Bracher findet ihre Arbeit nach wie vor "gut lesbar". Bracher: "Das ist keine glückliche Entwicklung, wenn jetzt Buchstabe für Buchstabe verglichen wird."

"Brachers Gelehrsamkeit faszinierte", bekannte der vor anderthalb Jahren verstorbene Politologe Manfred Funke. Es war wohl diese Fähigkeit zur vielschichtigen Analyse aus geistesgeschichtlicher, soziologischer, ökonomischer und psychologischer Sicht, die Bracher zu einem solch einzigartigen Gelehrten macht, der bis heute für viele Nachfolgegenerationen ein Vorbild ist. Auch mit 90 Jahren verfolgt Bracher die Entwicklungen in seinem Fachbereich und in der aktuellen Politik.

Die Affäre Christian Wulff etwa, so Bracher, sei "ein Tiefpunkt in der Geschichte der Bundesrepublik. Und dann dieses Unglück, das Geld als Ehrensold zu bezeichnen!" Allerdings, so Bracher, sei dies keine gefährliche Entwicklung für die Demokratie: "Ich betrachte das alles mit gewissem Humor."

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