Plagiate bei Promotionen Ein Doktorhut mit fremden Federn

BONN · Die Universität Bonn ist wie keine andere sonst ein Experimentierfeld für den Umgang mit angeblichen Plagiaten in Doktorarbeiten. So hielt sie etwa im Falle der Politikberaterin Margarita Mathiopoulos fehlende Zitatnachweise zunächst (1991) für falsch, aber nicht weiter schlimm, später aber (2012) für eine Täuschung der Prüfer, die die Rücknahme des Doktorhutes rechtfertigen soll.

Rechtlich entschieden ist die Sache bis heute nicht. Viele andere Fälle bleiben allerdings unter dem Mantel der Verschwiegenheit, wenn der Doktorand nicht so prominent ist und die Uni den Täuschungsverdacht für nicht plausibel genug hält.

Wie heikel aber auch eine solch schonende Erledigung erscheinen kann, zeigt sich an einer Bonner medizinischen Doktorarbeit über Epilepsie. Auf mehr als der Hälfte von knapp 70 Seiten ist die Dissertation in Gliederung und Text heimlich abgeschrieben, oft aus dem Internetlexikon Wikipedia, ferner ein paar Fachbüchern und sogar aus einer studentischen Seminararbeit. Die Prüfer hatten das 2010 aber nicht bemerkt.

Auf GA-Nachfrage bestätigt die Medizinische Fakultät jetzt das wissenschaftliche Fehlverhalten des Doktoranden. Private Quellenforscher auf der Internetplattform Vroniplag hatten die Plagiate jüngst entdeckt, und zwar ziemlich einfach: Denn die Dissertation steht im Netz, und eine handelsübliche Suchmaschine spuckt verheimlichte Übernahmen aus älteren Online-Texten ganz automatisch aus.

Auch die Medizinische Fakultät schaffe sich nun einen technischen "Plagiatefinder" an, sagt Professor Bernd Pötzsch, Vorsitzender der Promotionskommission. Für die Betreuung der Promovenden wurde neuerdings auch ein genaues Regelwerk vorgeschrieben, eine "Standard Operation Procedure" wie bei riskanten Verfahren in der Industrie oder beim Militär. Immerhin promovieren in Bonn mehr als zwei Drittel aller angehenden Mediziner, in der Regel mehr als 150 im Jahr.

Die aufgefallene Schummelei in Bonn ist kein Einzelfall. Vroniplag hat in letzter Zeit Dutzende ähnlicher Fälle beispielsweise an der Charité-Universitätsmedizin Berlin und in Münster aufgedeckt. Volker Bähr, an der Charité zuständig für die "Gute wissenschaftliche Praxis", bescheinigt Vroniplag "ganz hervorragende Arbeit". Jeder Doktorand solle wissen: "Wer insgeheim schummelt, kann damit in der Öffentlichkeit auf die Nase fallen."

Gleichwohl behält der Bonner Abschreiber seinen Doktorhut. Denn die Fakultät erkennt keine "vorsätzliche Täuschungsabsicht", mit der er seine Prüfer bewusst hinters Licht geführt hätte. Niemand hatte ihm genauer beigebracht, was und wie bei wissenschaftlichem Schreiben zitiert werden muss. Die Promotionskommission betont indes, dass die Plagiate allein auf den ersten fünfzig Seiten vorkommen, im Kapitel über "Grundlagen"-Wissen von epileptischen Anfällen. Dafür, so der Vorsitzende Pötzsch, müsse man nicht unbedingt andere Autoren zitieren - so wenig wie etwa für den einfachen Satz, dass die Erde rund ist.

Der Doktorand hat freilich nicht einzelne Sätze, sondern laufend ganze Absätze abkopiert. Hingegen sind knapp zehn Seiten über "Statistische Analysen und Ergebnisse" offenbar frei von Plagiaten oder Datenfälschungen. Dieses saubere Kapitel ist aus Sicht des Promotionsausschusses der ausschlaggebende wissenschaftliche Teil der Doktorarbeit; wäre dort gepfuscht worden, wäre der Doktortitel weg gewesen, versichert Pötzsch.

Ob die Kunstfehler beim Verfassen einer Dissertation die Aberkennung des Doktorgrades erfordern, ist eine Ermessensentscheidung der jeweiligen Fakultät. Dabei reagieren reine Buchwissenschaften, die aus älteren Texten neue entwickeln, offenbar empfindlicher auf verheimlichte Abschreibereien als andere Disziplinen, die auf eigenen Datenerhebungen etwa für klinische Studien beruhen.

Mit einem simplen Textabgleich, wie er von diversen Internetplattformen praktiziert wird, sei es nicht getan, lautet da eine typische Expertenmeinung. Beim möglichen Titelentzug wegen einer "schlampigen" Zitierweise ohne böse Absicht sind nicht zuletzt auch die "weitreichenden Folgen" für die Selbstdarstellung des Betroffenen in Beruf und Gesellschaft zu berücksichtigen, betont beispielsweise der renommierte Bonner Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz.

Das klingt wie eine Bemerkung seines Fachkollegen Paul Laband schon vor über hundert Jahren: "Die Verleihung eines Titels hebt den dadurch Ausgezeichneten bei Weitem nicht in dem Grade, wie ihn die Entziehung herabsetzt." Indes lehnt der Münchener Rechtslehrer Volker Rieble jeden "Sondervertrauensschutz für Doktoranden" ab, die mit "schlampigem Abschreiben" zur Promotion gelangt sind - egal in welchem Fach.

Andererseits ist es natürlich für eine Fakultät kein Ruhmesblatt, wenn sie sich hat täuschen lassen. Um den Anschein der Befangenheit zu vermeiden, ziehen deshalb manche Fachbereiche im Zweifel auswärtige Gutachter hinzu. Offenbar ist die Unsicherheit derzeit bei Prüfern und Prüflingen gleichermaßen groß. Deshalb bereitet jetzt der Deutsche Hochschulverband, die Berufsvertretung der Uniprofessoren, ein Handbuch vor, das fächerübergreifende Zitierstandards herausarbeiten soll. An der Arbeit beteiligen sich auch die Bonner Rechtswissenschaftler Gärditz und Wolfgang Löwer.

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