Die "Stadt im Berg" mahnt zum Frieden

Vor 60 Jahren lebten 2 500 Ahrweiler Bürger im Adenbachtunnel - Der Eingang ist auf Initiative des Heimatvereins zum Freilichtmuseum und zur Gedenkstätte geworden

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Wie mahnende Finger ragen sie aus dem Adenbachtal, die Brückenpfeiler der "strategischen Eisenbahn". Wilhelminische Großmannssucht ist ihr Ursprung, denn sie sollte schon vor 1914 einen Blitzkrieg gegen Frankreich ermöglichen. Doch die Bahnlinie Köln-Trier durch das Ahrtal wurde nie fertig. Das waren hingegen vor dem Ersten Weltkrieg die kilometerlangen Tunnel zwischen Ahrweiler und Dernau.

Von den Nazis in den dreißiger Jahren zur Champignonzucht genutzt, wurden sie Anfang 1944 vom Oberkommando der Wehrmacht für die Einlagerung von Munition und zur Auslagerung von Produktionsstätten vorgesehen. Fünf Tunnel wurden am 4. April vom Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion als kriegswichtig aufgeführt: der Ahrweiler Silberbergtunnel, der Kuxbergtunnel mit dem Decknamen "Rebstock", Trotzenbergtunnel, Sonderbergtunnel und der Herrenbergtunnel mit dem Decknamen "Spatz".

Bei Dernau bestand vom 21. August 1944 bis zum 13. Dezember 1944 in Baracken ein Außenkommando des Konzentrationslagers Buchenwald. Die KZ-Häftlinge - 180 am 26. August 1944, 99 am 13. Dezember 1944 - waren in der Mehrzahl Belgier, Italiener, Franzosen und Russen. Sie mussten in den unterirdischen Produktionsstätten Zwangsarbeit leisten. Die Anlage unter dem Decknamen "Rebstock" war mit der Entwicklung und Produktion von Flüssigkeitsraketen befasst, in einem anderen Tunnel wurden Abschussrampen für die V 2 produziert.

Fest steht heute, dass die letzten KZ-Häftlinge am 13. Dezember 1944 abtransportiert wurden. Ob sie zurück in ein Konzentrationslager oder zu anderen Produktionsstätten gebracht wurden, ist nicht bekannt. Bekannt sind hingegen die Ereignisse, die sich zwischen Dezember 1944 und März 1945 - also vor 60 Jahren - im Adenbachtunnel abspielten. Fast 1 000 Meter war dieses Teilstück der "strategischen Eisenbahn" lang.

Mehr als 2 500 Einwohner von Ahrweiler, 80 Prozent der Zivilbevölkerung, suchten in diesen Monaten Zuflucht im Tunnel. In provisorischen Verschlägen und Hütten richteten sich die Menschen dort auf engstem Raum ein.

Dechant Josef Rausch, selbst Bewohner des Tunnels, erinnerte sich in den fünfziger Jahren: "Ich besitze noch die Hausliste von dieser seltsamen Stadt im Berg. Es waren zusammen 305 Hausnummern. In den einzelnen Baracken wohnten bisweilen vier bis fünf Familien und oft auf ein paar Quadratmetern 20 bis 30 Personen." Die Liste kann auf der Homepage des Heimatvereins Alt Ahrweiler gelesen werden: www.alt-ahrweiler.de.

Josef Groß, heute 68, denkt zurück: "Wir hatten eine Hütte mit Dach. Das war schon gehobenes Wohnen, denn es tropfte ständig von der Tunneldecke." "Zeitweise waren wir mit 25 Personen in unserem Verschlag", macht Groß'' Bruder Karl-August (71) die Enge klar: "Von der Oma aus Rheinbrohl über Onkel und Cousinen, wir schliefen abwechselnd in den Etagenbetten, teilten uns zur dritt oder viert eine Matratze."

Von Läusen, Flöhen und Ungeziefer geplagt, war den Menschen dennoch ein sicheres Leben im Berg lieber, als draußen Fliegerangriffen ausgesetzt zu sein. Nur nachts kehrten einige in ihre Häuser zurück, aus Angst vor Plünderungen. Und auch das gab''s: In der Stadt im Berg wurde zumindest ansatzweise versucht, eine gewisse Ordnung zu halten.

Jede Hütte hatte eine Hausnummer, es gab sogar ein Postamt, und der Mittelweg im Tunnel - die "Adolf-Hitler-Allee" - wurde für Fahrradfahrer freigehalten. Auf dem freien Platz vor dem Tunnel im Adenbachtal standen Hunderte von Kohleöfen, denn Kochen im Tunnel war verboten. Latrinen prägten das Bild zwischen den Rebstöcken am Hang unter dem Eingang.

Vom Tunneleingang aus erlebten die Groß-Brüder auch den letzten Bombenangriff am 2. März: "Die schwarzen Punkte am Himmel wurden immer größer, dann wurden sechs Bomben ausgeklinkt. Ihr Ziel, die Brücke am Ahrtor, verfehlten sie jedoch. In den nächsten vier Tagen zog ein schier endloser Treck von Wehrmachtseinheiten über die Wilhelmstraße Richtung Rhein.

Dann rollte oberhalb der Ellig ein amerikanischer Panzer Tank an. Er muss von Meckenheim gekommen sein. Am Tunnel hing eine weiße Fahne." Es war der Nachmittag des 7. März, und Josef Groß - "die GI''s waren sehr kinderlieb" - aß den ersten Kaugummi seines Lebens.

Die Stadt im Berg wurde später von französischen Pionieren gesprengt, der Tunnel zwischen dem Silberberg, Marienthal und Dernau wurde in den sechziger Jahren zum Regierungsbunker. Doch auch der ist mittlerweile Geschichte. Geschichte live können Interessierte jedoch seit vergangenem Jahr am Eingang zur Stadt im Berg erleben. Der Heimatverein hat Teile der Stadt im Berg freigelegt, als Freilichtmuseum einige der Hütten nachgebaut. Und die Brückenpfeiler in der Adenbach mahnen zum Frieden.

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