Werner Heisenberg Der Meister der Unschärfe

Vor 40 Jahren starb Werner Heisenberg. Mit der „Quantenmechanik“ schuf er eine der tragenden Säulen der modernen Physik. Bei der Suche nach der „Weltformel“ scheiterte er hingegen – und das genaue Ziel seiner Atomforschung für das Nazireich ist bis heute ungeklärt.

Dieser Heuschnupfen wird Weltgeschichte schreiben. Juni 1925: Der junge Physiker aus Göttingen ist vor den Pollen aufs frischluftige Helgoland geflüchtet – mit derart verquollenem Gesicht, dass seine Zimmerwirtin denkt, er habe sich geprügelt. Doch bald erholt sich der 23-Jährige, packt seine Arbeiten aus und rechnet und rechnet und rechnet. Und schließlich, nachts um drei Uhr: Heureka!

Alles passt zusammen. Die „Matrizenmechanik“ ist fertig. Stolz erklimmt der junge Mann eine Fels-nadel an der Steilküste, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Der junge Mann heißt Werner Heisenberg. Seine Entdeckung macht ihn schlagartig zu einem der berühmtesten Physiker aller Zeiten. Vor 40 Jahren, am 1. Februar 1976, ist er in München gestorben.

In den frühen 1920er Jahren ringen Physiker weltweit mit den Geheimnissen im Innern des Atoms. Verwirrt stellen sie fest: Was dort geschieht, folgt nicht den bisher geltenden Regeln der Physik (einem Zusammenspiel fester Körper, die sich an konkretem Ort befinden oder auf konkreter Bahn bewegen). Im Inneren der Materie gibt es keine festen Körper und keine festen Orte, sondern nur wolkiges Chaos aus „Aufenthaltswahrscheinlichkeiten“.

Heisenbergs neue „Matrizen-“ oder „Quantenmechanik“ ermöglicht es erstmals, mit diesen Wahrscheinlichkeiten zu rechnen. 1927 formuliert er zudem seine „Unschärferelation“: In der Kernphysik ist es nicht möglich, Bewegung und Ort gleichzeitig zu betrachten – misst man das eine, wird das andere „unscharf“.

Sein Werk beschert ihm den Nobelpreis für Physik – ausgerechnet im Jahre 1933. Andere Denker fliehen in Scharen aus dem NS-Reich; Heisenberg bleibt. Noch kurz vor Kriegsausbruch besucht er die USA und sagt seinen Kollegen: „Deutschland braucht mich.“ Logisch, dass die sich fragen: Wozu? – und ans Schlimmste denken: eine Atombombe in der Hand der Nazis. Als die US Army ins geschlagene Reich einmarschiert, macht sich ein Spezialtrupp auf die Suche: Wo steckt Heisenberg? Woran forscht er?

Die Antwort liegt im Bierkeller des Gasthauses „Zum Schwan“ im Städtchen Haigerloch bei Tübingen: 664 Würfel aus Uran hängen an 78 Aluminiumdrähten in einem Kessel mit 1500 Litern „Schwerem Wasser“. Heisenberg hat versucht, einen Kernreaktor zu bauen. Ob der jemals funktioniert hat (oder hätte), ist umstritten, weil alle Unterlagen verlorengegangen sind. Zu einer Atombombe hätte er jedenfalls nicht getaugt.

Nach dem Krieg wird Heisenberg Chef des Max-Planck-Instituts für Physik in Göttingen. Sein neues Projekt ist die „Einheitliche Feldtheorie der Materie“. Eine einzige Gleichung soll alle Fragen auf einmal beantworten: Warum gibt es Elementarteilchen? Warum gerade diese? Warum verhalten sie sich so wie beobachtet?

Doch seit dem Krieg spielt die Musik in Amerika; Heisenberg hat den Anschluss verloren und verachtet den Wust von immer neuen „Elementar“-Teilchen, die jenseits des Atlantik aus den teuren Beschleunigern purzeln. Sein Ansatz ist philosophisch, nicht experimentell: Erst eine wohlgeformte Idee, dann die mathematische Begründung.

Im Februar 1958 hält er einen Vortrag darüber; die Presse bekommt Wind davon und fasst das Vorhaben ins Schlagwort „Weltformel“. Heisenberg gibt sich genervt von dem „Unsinn“; noch viel genervter ist sein Nobelpreisträgerkollege Wolfgang Pauli (nicht zu verwechseln mit dem Bonner Physiker Wolfgang Paul, Nobelpreisträger von 1989). Pauli, viel fixer in Mathe, sollte vor (!) Veröffentlichung die Haken und Ösen der Formel prüfen.

Jetzt ärgert er sich, dass Heisenberg sagt, die Theorie sei „fast fertig, es fehlen nur noch ein paar technische Details“ – und das unfertige Ding sogar als „Heisenberg-Pauli-Gleichung“ bezeichnet! Als Antwort verschickt Pauli Postkarten, auf denen sich nichts als ein leerer schwarzer Rahmen befindet, und ätzt: „Das hier beweist, dass ich malen kann wie Tizian. Es fehlen nur noch ein paar technische Details.“

Heisenberg ignoriert die Kritik aus berufenem Munde. Mit großem Pomp hält er stattdessen den Festvortrag zum 100. Geburtstag des Physikers Max Planck am 25. April 1958 in der Berliner Kongresshalle. Im Auditorium sitzen knapp zweitausend Menschen, weitere tausend hören wegen Überfüllung nebenan am Lautsprecher zu. Ein Orchester spielt Mozart und Bach. Dann projiziert Heisenberg seinen „Vorschlag für die Materiegleichung“ an die Wand:

Anspruchsvoll. Sehr anspruchsvoll. Man könnte auch sagen: Völlig unverständlich. Aber schööön! 16 griechische Buchstaben, wie in einer Neufassung des Bibelworts „Im Anfang war der Logos“! Das mystisch-unklare Plus/Minus links! Das Klarheit verheißende Gleichheitszeichen rechts! Die majestätische Null, auf die das alles hinausläuft! Eine Formel fast von der Machart des Einstein'schen „E=mc²“, das inzwischen (im Ulmer Münster) sogar in Kirchenfenstern erscheint.

Genau das Richtige fürs Deutschland der 50er Jahre, das seinen durch die Nazi-Barbarei verspielten Ruf als Wissenschaftsmekka zurückgewinnen will. Genau das Richtige in einer Zeit, die sich aus der Atomforschung die Lösung aller Weltprobleme erhofft. Wen kümmert da, dass kaum einer weiß, was die 16 griechischen Buchstaben sagen wollen? (Sie beschreiben die Materie als „Spinorfeld mit halbzahligem innerem Drehimpuls“ – alles klar?)

Dennoch hat sich Heisenberg keinen Gefallen getan. Reporter belagern sein Ferienhaus; der Nobelpreisträger muss sich hintenrum durch die Büsche schlagen, um den hartnäckigen Fragen nach der „Weltformel“ zu entkommen. Und zu allem Übel erweist sich Paulis Spott als berechtigt. So schön die Formel, so irrig ist sie.

Ihr Ansatz einer „kleinsten Länge im Kosmos“ geht fehl; für ihre Vor-aussagen über Größe und Verhalten der Elementarteilchen findet sich keinerlei Beweis. Heisenberg legt die „Einheitliche Feldtheorie der Materie“ stillschweigend zu den Akten, schreibt philosophische Aufsätze statt physikalischer, erhält den theologischen Romano-Guardini-Preis, veröffentlicht seine Erinnerungen „Der Teil und das Ganze“.

Über seine Arbeit im Dritten Reich schreibt er darin, er habe rasch erkannt, dass der immense Aufwand, eine Atombombe zu bauen, für Hitlers Reich zu groß war – und er sei froh darüber gewesen. Was unklar bleibt: Ob er, hätten die Nazis die Mittel irgendwie aufgetrieben, sich nicht doch versucht gefühlt hätte. Denn misstrauisch macht, wie Heisenberg und Co., nach Kriegsende interniert, sich fast wie über eine Niederlage ärgern, als sie von der Hiroshima-Bombe erfahren: Die insgeheim abgehörten Gespräche der Atomforscher und ihren Eiertanz zwischen Macht und Machbarkeit beschreibt der Autor Richard von Schirach in seinem lesenswerten Buch „Die Nacht der Physiker“.

Heisenbergs untechnischer Ansatz ist heute aus dem Blick geraten. So mancher mystisch veranlagte, mathematisch aber suboptimal ausgerüstete Jüngling ist schwer enttäuscht aus dem abgebrochenen Physikstudium hinausgestolpert: Heutige Physik ist keine Philosophie, sondern harte Arbeit mit knallharter Technik. Ihre Grundlage ist das „Standardmodell“. Sein Nachteil: Schön ist es nicht. Sein Vorteil: Es funktioniert.

Dennoch lebt das Andenken an den Meister der Unschärfe weiter – in einer sublimierten Form, wie sie nur die Postmoderne hinbekommt. Die meisten Zeitgenossen denken bei seinem Namen nämlich inzwischen an die enorm zweischneidige Figur des Walter White aus der US-Kultserie „Breaking Bad“: einen Chemielehrer, der mit der Killer-droge Crystal Meth dealt und sich dabei „Heisenberg“ nennt.

Warum, um aller wissenschaftlichen Musen willen? „Walt ist eine menschliche Verkörperung von Heisenbergs Unschärfeprinzip“, antwortet der New Yorker Schriftsteller Dan Zahler: Indem White zum Drogenbaron werde (also „Bewegung aufnehme“), gerate „seine ursprüngliche Position als moralisch gefestigter Familienvater außer Sicht“. Wo genau seine Wandlung zum Bösen erfolge, sei dabei „unsicher“ – wie in der Unschärferelation.

Vielleicht kein unpassendes Denkmal für diesen sehr, sehr deutschen Denker, der viel, aber nicht jede Erkenntnis errang. Der erfahren wollte, was die Welt zusammenhalte, und dazu einen Pakt mit einem Weltenzerstörer einging. Der in einem Reich des Bösen an Dingen bastelte, die die Welt in Brand setzen können – und der bis zum Schluss nicht deutlich klarmachte, ob sein Scheitern Absicht war oder bloß Irrtum.

Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper, 288 S., 9,99 Euro – Richard von Schirach: Die Nacht der Physiker. Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe. Rowohlt-Tb., 256 S., 12,99 Euro – Atomkeller-Museum: Pfluggasse 7, Haigerloch (mit Dauer-ausstellung „Werner Heisenberg – Leben und Wirken“). Geöffnet März/April Sa 10-12, 14-17, So/Fei 10-17 Uhr; Mai bis September auch Mo-Fr (gleiche Zeiten wie samstags). Eintritt 1,50, ermäßigt 1 Euro. Kontakt Tel. 07474/69727, fechter@haigerloch.de

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