Skepsis führt nicht zum Verzicht auf Facebook Promotion über Privatheit im digitalen Zeitalter

Bonn · Der Bonner Sozialwissenschaftler Andreas Mühlichen hat seine Dissertation „Privatheit im Zeitalter vernetzter Systeme“ abgeschlossen. Viele Menschen sorgen sich um den Datenschutz - und nutzen die sozialen Medien.

 Immer online: Auch ein Besuch bei der Tätowiererin lässt sich für einen Blick auf Whatsapp oder befreundete Facebook-Seiten nutzen.

Immer online: Auch ein Besuch bei der Tätowiererin lässt sich für einen Blick auf Whatsapp oder befreundete Facebook-Seiten nutzen.

Foto: picture alliance/dpa

Das Netz vergisst nichts, vor allem aber niemanden. Was ein Facebook-Nutzer von sich preisgibt, obliegt ihm selbst – so könnte man meinen. Dem ist in Zeiten von künstlicher Intelligenz aber längst nicht mehr so. Algorithmen nutzen nicht nur die Daten, die jemand selbst veröffentlicht, sondern erzeugen selbst das, was gerade interessant sein könnte. Einfluss darauf hat man nicht.

„Das Individuum hat de facto keine Möglichkeit, zu verhindern, dass Daten gesammelt oder generiert werden“, sagt Andreas Mühlichen, der am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Uni Bonn kürzlich seine Dissertation abgeschlossen hat. „Ich kann weder absehen, was mit meinen Daten möglich sein könnte, noch, wie ich mich schützen kann.“

In seiner Doktorarbeit „Privatheit im Zeitalter vernetzter Systeme“ hat sich Mühlichen einem Thema gewidmet, das ihn schon lange beschäftigt: „Ich bin sehr technikaffin, habe mich aber von Anfang an um den Datenschutz gesorgt.“ Einfach so einen Account zu erstellen, ist für ihn nicht denkbar: „Es ist jedes Mal eine Grenzentscheidung, ich muss lange die Geschäftsbedingungen lesen und mich dann entscheiden.“ Er ist bis heute weder bei Facebook noch bei Whatsapp.

Nur, weil fast jeder derartige Messenger oder soziale Netzwerke nutzt, heißt das nicht unbedingt, dass dem Großteil völlig egal ist, was mit den eigenen Daten geschieht. Genau dem ist Mühlichen in einer empirischen Untersuchung nachgegangen: Über 1500 Bachelorstudenten haben seinen Fragebogen ausgefüllt, alle etwa im gleichen Alter, aber aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen. „Ich wollte einerseits wissen, wie sie soziale Medien nutzen und andererseits erfahren, wie sie mit Informationen im sozialen Leben umgehen – wem sie etwa davon erzählen würden, wenn sie Schulden haben“, so Mühlichen.

Es gibt die Sorge, nicht mehr dazuzugehören

Skepsis gab es bei den Studenten durchaus – selbst von denen, die große Bedenken äußern, nutzen 80 Prozent soziale Medien. „Nur aufgrund des Nutzungsverhaltens kann ich nicht nachweisen, dass es kein Bedürfnis nach Privatheit gibt“, folgert Mühlichen. Um den Zusammenhang zwischen der Einstellung seiner Testpersonen und ihrer Nutzung sozialer Medien zu erklären, hat der 41-Jährige gleich drei Motive gefunden: „Es gibt die Sorge, nicht mehr dazuzugehören, wenn man keine sozialen Medien nutzt, dann Resignation, dass man ohnehin keine Kontrolle über die eigenen Daten hat und zuletzt eine Kontrollüberzeugung – diese Leute denken, sie könnten Einfluss darauf nehmen, welche Daten von ihnen im Umlauf sind.“

In der Praxis gestaltet sich das aber sehr schwierig, denn gerade generierte Daten berücksichtigt man oft nicht. Dass aus den eigenen Nachrichten, dem Wortschatz und dem Satzbau Rückschlüsse auf Bildungsstand, Job und damit etwa auf die Kreditwürdigkeit geschlossen werden könnte, ist vielen nicht bewusst. „Vielleicht leide ich eines Tages unter bestimmten Beschränkungen, weil mich eine künstliche Intelligenz aufgrund generierter Daten auf eine schwarze Liste gesetzt hat“, gibt Mühlichen zu Bedenken. „Den Grund dafür werde ich aber nie erfahren.“

Die Thematik hat auch eine politische Dimension: Für Mühlichen, der Familie in der ehemaligen DDR hatte, spielte schon als Kind eine Rolle, wer welche Informationen erhielt. Das neue Datenschutzgesetz begrüßt er, auch, wenn er nicht wirklich denkt, dass sich dadurch etwas ändert. „Mir war relativ früh klar, dass es schön ist, in einem solchen politischen System wie hier zu leben, aber das ist nicht sicher und immer wandelbar. Es führt bei mir manchmal zu Verzweiflungsmomenten, wenn jemand sagt, er habe ja nichts zu verbergen. Immerhin kann ich bei Freunden dafür sorgen, dass ein Bewusstsein für Datenschutz und Privatheit entsteht.“

Die Ergebnisse seiner Studie sind zwar nicht repräsentativ, genügen aber, um Zusammenhänge aufzudecken. „Auf dieser Grundlage könnte weitergeforscht werden, wie es bevölkerungsweit mit dem Bedürfnis nach Privatheit und mit der Nutzung sozialer Medien aussieht. Gerade bei den Älteren wird es schwierig, sie zu erreichen, die sind zum Teil nicht online“, sagt der Sozialwissenschaftler. Mühlichen ist überzeugt, dass Privatheit eines der großen Politika der nächsten Zeit sein wird – nicht nur für Sozialwissenschaftler.

Ob er selbst weiterhin forschen wird, ist noch unklar. „Ich bin froh, dass ich meine Dissertation abgeschlossen habe“, sagt Mühlichen. „Eins weiß ich genau: Eine Habilitation werde ich nicht mehr schreiben, danach hätte ich keine Beziehung mehr und auch keine Freunde – selbst, wenn ich mich bei Facebook und Whatsapp anmelden sollte.“

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