Neue Vortragsreihe Professor Hermann zu den Grenzen der Religion

"Grenzen der Religion“ heißt eine neue Vortragsreihe, die der Kultur- und Religionswissenschaftler Adrian Hermann organisiert hat. Was damit gemeint ist, erklärt der Professor im Interview mit Moritz Rosenkranz.

 Eine chinesische Touristin in traditionellem Gewand vor einem Tempel in Tibet.

Eine chinesische Touristin in traditionellem Gewand vor einem Tempel in Tibet.

Foto: AFP

Herr Hermann, was ist unter „Grenzen der Religion“ zu verstehen?

Professor Adrian Hermann: Wir wollen damit deutlich machen, wie wir am Forum Internationale Wissenschaft die Religionsforschung verstehen. Wir fragen uns, wie Religion in Konfliktprozessen und Grenzkämpfen Thema wird. Dabei geht es einerseits um Grenzen zwischen Religionen, also dem Christentum und dem Islam beispielsweise. Es geht aber auch um Grenzen der Religion zu allem anderen in der Gesellschaft, zu Medizin, Recht oder Politik etwa oder zu Spiritualität oder Magie.

Sie setzen Religion also in ein Verhältnis zu etwas ...

Hermann: Ich verwende eine kulturwissenschaftliche Perspektive und betrachte Religion nicht aus Sicht einer bestimmten Religion, wie es etwa in der christlichen Theologie oft der Fall ist. Religion ist ein Begriff, der in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eine Rolle spielt und sich global durchgesetzt hat. Um Religion wird gestritten – bei uns, in den USA, in Japan oder auch China und Indonesien. Das beobachten wir.

Ließe sich allgemein die Frage beantworten, welchen Ruf Religion in der Gegenwart hat?

Hermann: Das ist schwierig, weil wir aus einer globalen Perspektive denken. Wenn man sich aber regionale Verhältnisse ansieht, lässt sich für Westeuropa festhalten, dass Religion ein sehr großes Thema geworden ist. Derzeit wird, was die öffentliche Wahrnehmung angeht, etwa in Rechtsprozessen viel stärker über Religion verhandelt, als das noch vor zehn Jahren der Fall war.

Ist es denn nicht so, dass die christliche Religion in Deutschland an Bedeutung verliert – Stichwort Homo-Ehe?

Hermann: Es ist so, dass sich politische Programme der großen Parteien immer weniger auf christliche Inhalte beziehen. Man muss aber auch sehen, dass innerhalb der religiösen Gemeinschaften Veränderungen stattfinden, die teilweise auch eine große Akzeptanz der Homo-Ehe bedeuten.

Aber natürlich gibt es von bestimmten Vertretern auch eine Frontstellung. Grundsätzlich wird aber eine zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft sichtbar, das heißt es gibt Menschen, die zum Beispiel sagen, sie seien spirituell, aber nicht religiös. Andere gehen zum Yoga und in die Kirche, wieder andere nur zum Schamanen oder Geistheiler. Das sind alles unterschiedliche Formen, um sich mit Religion in Beziehung zu setzen.

Der Eindruck verfestigt sich, dass sich immer mehr Menschen eine Ersatzreligion in der Eventkultur suchen oder ihre persönlichen Stars anbeten. Ist da was dran?

Hermann: Da sind wir an einem zentralen Punkt unserer Arbeit angekommen. Denn wenn Sie von Ersatzreligionen sprechen, muss man diese erst einmal von „echten“ Religionen abgrenzen. Die Frage ist: Wer entscheidet das? Zur Klärung solcher Fragen legitim beizutragen, ist komplex.

Welche Kategorien spielen dabei eine Rolle?

Hermann: Man müsste sich an-sehen, welche Kriterien bisher angelegt wurden an vorhandene religiöse Gemeinschaften, und würde dann schauen, ob die zur Debatte stehenden Gruppen dem entsprechen. Mit allgemeinen Aussagen zu Religion bin ich vorsichtig. Das Beispiel Scientology zeigt etwa, dass solche Fälle immer nur im Kontext des lokalen gesellschaftlichen Systems betrachtet werden können – in Deutschland ist die Organisation sehr umstritten, in den USA als Kirche anerkannt.

Während sich die Gesellschaft in Deutschland immer weiter ausdifferenziert und den christlichen Kirchen die Mitglieder schwinden, ist Religion als Thema nicht zuletzt durch den islamistischen Terror sehr präsent. Was passiert da?

Hermann: Religion ist ein gesellschaftliches Phänomen, das immer schon in unterschiedlichen Zusammenhängen aufgetaucht ist. Und natürlich kann aus religiösen Kontexten auch Gewalt legitimiert werden. Das gab es früher mit den Kreuzzügen im Christentum, das gibt es heute als Problem im Islam, aber eben auch im Buddhismus, siehe Myanmar. Hier stellt sich aus meiner Sicht die Frage, woher die Vorstellung von einer Religion kommt, die im Kern gut ist, aber missbraucht wird.

Die Religionswissenschaft kann keine normative Position einnehmen und sagen: Richtige Religion ist nur eine, die gewaltfrei ist. Solch ein wertendes Urteil kann man als Bürger fällen, aber nicht als Wissenschaftler. Als solcher sage ich, dass man ganz wichtige Dinge übersieht, wenn man damit anfängt, dass der Islam ja eigentlich gut ist und gerade missbraucht wird. Ich kann nur fragen: Warum wird das Text-material in einer bestimmten historischen Situation so oder so interpretiert?

Nach den jüngsten Anschlägen in den USA konnte man den Eindruck gewinnen, dass Religion dort zur bloßen Geste verkommt, wenn immer wieder öffentlichkeitswirksam Gebete an die Opfer und Hinterbliebenen gesendet werden ...

Hermann: Es stimmt, aus unserer Perspektive scheint es, als ob mit einer christlichen Ethik dort heute alles legitimiert werden kann. Es ist allerdings komplizierter, als die bloße Antwort zu geben, dass diese Leute keine Christen wären und es nicht so meinen. Als Religionswissenschaftler mit kulturwissenschaftlichem Hintergrund muss ich eine Vielzahl von Einflüssen berücksichtigen, denn Religion lässt sich nur in einem breiteren Kontext verstehen – da spielen beispielsweise Strukturen von Geschlecht, Klasse und in den USA oft auch „Rasse“ eine Rolle. Diese Dinge sind miteinander verwoben. Die Menschen dort sind jedenfalls nicht unchristlich, so einfach kann es nicht sein.

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