Forschungszentrum Jülich Neue Gehirn-Simulationen in greifbarer Nähe

JÜLICH · Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich haben einen zukunftsweisenden Algorithmus mitentwickelt, mit dem Prozesse, wie sie im menschlichen Gehirn ablaufen, deutlich schneller berechnet werden können.

 Die Verbindungen zwischen den etwa 86 Milliarden Neuronen, das sogenannte Konnektom des menschlichen Gehirnes. Die Abläufe in solch komplexen Netz-werken zu simulieren, ist ein Ziel der computational neuroscience.

Die Verbindungen zwischen den etwa 86 Milliarden Neuronen, das sogenannte Konnektom des menschlichen Gehirnes. Die Abläufe in solch komplexen Netz-werken zu simulieren, ist ein Ziel der computational neuroscience.

Foto: Andreas Horn

Unter maßgeblicher Beteiligung von Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich ist eine Innovation auf dem Gebiet der Neurowissenschaften gelungen. Mit Supercomputern, wie sie am Forschungszentrum vorhanden sind, wird es in Zukunft möglich sein, Prozesse, wie sie im menschlichen Gehirn ablaufen, deutlich schneller zu berechnen.

Die computerbasierte Simulation einzelner Nervenzellen bis hin zur komplexen Interaktion zwischen ihnen ist der Gegenstand der computational neuroscience (etwa: Rechnerbasierte Neurowissenschaft). Dabei handelt es sich um ein stark interdisziplinäres Feld, in dem biologischer, physikalischer und psychologischer Sachverstand gepaart mit mathematischen Modellen in entsprechender Simulationssoftware auf einem möglichst leistungsstarken Computer zusammenlaufen.

Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich, des japanischen RIKEN-Instituts und des schwedischen KTH Royal Institute of Technology haben nun eine der bereits bestehenden Simulationsmethoden durch die Einführung eines neuen Algorithmus stark beschleunigt. Das ist nicht unbedeutend: Die innerhalb einer Sekunde in einem neuronalen Netzwerk von einer halben Milliarde Nervenzellen (etwas mehr als ein halbes Prozent des menschlichen Gehirns) ablaufenden Vorgänge auf dem Jülicher Supercomputer „JUQUEEN“ abzubilden, dauerte bislang fast eine halbe Stunde. Supercomputer der kommenden Generation sollen nun bis zu 100 Mal leistungsfähiger werden. Das Forschungszentrum plant die Anschaffung eines solchen Rechners noch in diesem Jahr.

Doch trotz steigender Rechenleistung tat sich bislang ein Pro-blem auf: Ein Supercomputer ist als Parallelrechner angelegt und setzt sich aus zahlreichen vernetzten Rechenknoten zusammen. Die Simulation sah bislang vor, dass jeder dieser Einzelrechner, der jeweils für die Simulation einer bestimmten Menge von Neuronen zuständig ist, ausgehende Signale aller anderen Rechenknoten erhält, und eigenständig überprüft, ob unter den Adressaten des Signals auch Neurone sind, die er selbst simuliert.

Neue Forschungsfelder rücken in greifbare Nähe

Dies stellt keine Schwierigkeit dar, wenn das Netzwerk so klein ist, dass auf fast jedem Knoten ein Neuron simuliert wird, welches das Signal auch erhalten soll. Doch um ihre Leistung zu erhöhen, werden Parallelrechner hochskaliert, was gleichzeitig die Menge der Neurone, die simuliert werden können, und die Anzahl der Rechenknoten erhöht.

Mit den neueren Generationen von Supercomputern fing somit die Zahl der nicht adressierten Knoten an, die Zahl der adressierten Knoten zu übersteigen, was letztendlich zu einer Verschwendung von Rechenleistung führte. Die neue Version der Simulationssoftware NEST (Neural Simulation Technology) legt daher schon vor Beginn der Simulation fest, welche Rechenknoten überhaupt mit-einander kommunizieren müssen. Bereits auf den heutigen Maschinen können hierdurch die vormals halbstündigen Simulationen in nur mehr fünf Minuten durchgeführt werden.

Damit rücken neue Forschungsfelder in greifbare Nähe: „Mit Exascale-Computern und der entsprechenden Simulationssoftware werden sich erstmals Aspekte höherer Hirnfunktionen wie Plastizität und Lernprozesse in großen Netzwerken praktisch untersuchen lassen, die sich biologisch über mehrere Minuten erstrecken“, sagt Professor Markus Diesmann vom Forschungszentrum, der von Beginn an maßgeblich an der Entwicklung von NEST beteiligt war. Und auch sonst werden in die computational neuroscience große Hoffnungen gesetzt – bereits jetzt benutzen Diesmanns Kollegen in Japan die Software, um die Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson zu erforschen.

Andere Zweige der Disziplin verbinden die Neurowissenschaften mit der Robotik, um simulierten neuronalen Netzwerken die Möglichkeit zur Interaktion zu verleihen, oder lassen sich von neuronalen Netzen inspirieren, um künstliche Intelligenz zu entwickeln. Eher simpel angelegte Simulationen einzelner Nervenzellen kommen in der Lehre zum Einsatz.

Die Neuerung erscheint wie der Rest des Programmes als freie Software – quelloffen – was bedeutet, dass es für jeden frei zugänglich ist und an den eigenen Bedarf angepasst und verbessert werden darf. Hierdurch soll die gesamte Gemeinschaft der computational neuroscience von dem Programm profitieren – und seine Entwickler von möglichen Verbesserungen durch andere Nutzer. Ausführ-licher wird über das Thema in der Fachzeitschrift „Frontiers in Neuroinformatics“ berichtet.

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