Dunkle Flecken auf dem weißen Arztkittel Immer mehr Plagiate kommen ans Licht

SIEGBURG · Lange war es offenbar gängige Praxis, dass Doktoranden und ihre Betreuer stillschweigend kooperierten und Arbeitsergebnisse teilten. Mittlerweile kommen aber immer mehr Plagiate ans Licht.

 Von Ärzten wird Sorgfalt erwartet, auch an der Tastatur.

Von Ärzten wird Sorgfalt erwartet, auch an der Tastatur.

Foto: picture alliance / Marijan Murat

Der Zahnarzt Francis Rowbotham fiel aus allen Wolken, als er vor Monaten erstmals davon erfuhr: Das grundlegende Einleitungskapitel seiner 1998 veröffentlichten Doktorarbeit findet sich weitgehend im selben Wortlaut auch auf Dutzenden Seiten einer unveröffentlichten Freiburger Habilitationsschrift für eine Hochschullehrerprüfung im selben Jahr – ausgerechnet von seinem früheren Betreuer Andrej Kielbassa, inzwischen eine Respektsperson auf dem internationalen Parkett der Zahnmedizin. Kielbassa wurde Uniprofessor in Berlin und Spitzenvertreter in Fachgesellschaften, heute lehrt und forscht er in Österreich.

Die Überschneidungen mit Rowbotham dokumentieren seriöse Plagiatsjäger auf der Internetplattform vroniplag wiki. Eine Untersuchungskommission der Uni Freiburg hat jetzt „wissenschaftliches Fehlverhalten“ festgestellt und der Rektor deshalb die Medizinische Fakultät aufgefordert, die nötigen Konsequenzen zu ziehen.

Die Freiburger Mediziner haben im laufenden Jahrzehnt schon mehrere Habilitationen wegen heimlicher Kopien aus Doktorarbeiten aberkannt, in einem Fall sogar nach 30 Jahren. Ähnliche Plagiatsvorwürfe belasten im Übrigen ehemalige Habilitanden an Unis von München bis Göttingen und heutige Medizinprofessoren etwa in Köln oder Greifswald.

Es gehört nicht alles dem Habilitanden

Wenigstens bis zur Jahrtausendwende wurde zwischen Arbeitsergebnissen von Betreuern und Betreuten anscheinend nicht immer so klar unterschieden wie das hätte sein müssen, bestätigt der Bonner Rechtsprofessor Wolfgang Löwer, zugleich langjähriger Chef des bundesweiten Beschwerdegremiums für die Wissenschaften. „Faktisch war es wohl früher oft so“, bemerkt Löwer, „ dass der Habilitand als Supervisor einer Arbeitsgruppe gemeint hat, alles gehöre ihm.“

Kielbassa gibt an, über Jahre mit Doktoranden wie Rowbotham an einem Projekt der Deutschen Krebshilfe gearbeitet zu haben. Der in entsprechenden Veröffentlichungen einleitend „zu erwähnende Stand der Wissenschaft“ sei „natürlich inhaltsgleich“ gewesen. „Denn die Beschreibung der verfügbaren Originalliteratur führt automatisch zu Inhaltsidentitäten“. Kielbassa räumt ein: Der gleiche Wortlaut „mag oberflächlich nach Plagiat aussehen“, wiewohl es sich dabei nur um Allgemeinwissen handle.

Indes können solche Erläuterungen heute kaum mehr überzeugen. Der bundesweit maßgebliche Wissenschaftsrat mahnt vielmehr seit Jahren laufend: In Veröffentlichungen aus „Forschungsgruppen“ heraus müssen „die jeweiligen Beiträge der Mitglieder transparent“ sein – und zwar nicht nur bei der Mitarbeit am Datenpool, sondern ebenso bei der „Darlegung“ von Fragestellung und Ergebnissen, also auch in der Textfassung der Studien.

Kein Ruhmesblatt für Gutachter und Lehrer

Dabei geht es allemal um die Leistung des Einzelnen. Aber die nahm offenbar auch der akademische Lehrer und Hauptgutachter von Rowbotham und Kielbassa nicht wirklich ernst, als er den identischen Wortlaut im Literaturbericht beider Prüfungsschriften durchgehen ließ.

Heraus kam das überhaupt erst, als Mitwisser in der Fakultät ein verstaubtes Archivexemplar von Kielbassas ungedruckter Arbeit hervorholten, nach fast 20 Jahren. Das ist der blinde Fleck im deutschen Habilitationswesen: Kandidaten vieler, vor allem medizinischer Fakultäten, müssen ihre Qualifikationsschrift bislang nicht als Buch oder im Internet anbieten und damit womöglich unerwünschter Kritik aussetzen.

Speziell Bonner Medizinern bieten sich heute zwei Wege: Sie können entweder mit einer Mehrzahl vorliegender Veröffentlichungen habilitiert werden oder auch mit einer unveröffentlichten Untersuchung. Von dieser wird dann ein Belegexemplar in der Unibibliothek katalogisiert und damit im Prinzip zugänglich – je nachdem aber erst nach Wochen über die Fernleihe und vielleicht mit einem Kopierverbot des Autors. Ein Publikationszwang für Habilitationsschriften (wie für Doktorarbeiten) wäre wissenschaftsfreundlicher.

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