Mehr Kuhkomfort im Stall Forscher der Uni Bonn sammeln Sensordaten zum Tierwohl

Königswinter · Für mehr „Kuhkomfort“: Aus den Ergebnissen einer Studie wollen Wissenschaftler der Uni Bonn eine Software zur Planung und Bewertung unterschiedlicher Haltungsstrategien und den optimalen Stallaufbau entwickeln.

 Maren Krämer und Leonard Mandtler befestigen den Gurt mit den Elektroden zur Messung der Herzfrequenz am Bauch von Kuh Atara. FOTOS: WESTHOFF

Maren Krämer und Leonard Mandtler befestigen den Gurt mit den Elektroden zur Messung der Herzfrequenz am Bauch von Kuh Atara. FOTOS: WESTHOFF

Foto: Benjamin Westhoff

Was sonst vor allem bei Leistungssportlern zum Einsatz kommt, trägt die Kuh Atara täglich: Herzfrequenzmesser, GPS-Tracker, Schrittzähler und Accelerometer. Zwei Mal pro Tag – jeweils zu den Melkzeiten um 5.30 Uhr und um 16.30 Uhr – überprüfen Maren Krämer und ihr Kollege Leonard Mandtler die Messgeräte und protokollieren die gesammelten Daten. Die Messung zeigt für Atara für den Moment einen Puls von 73 Schlägen pro Minute an – damit liegt der Wert nur leicht unter dem Durchschnittspuls ihrer Artgenossen.

Die Erhebung ist Teil des Forschungsprojekt „CowSoft“ der Universität Bonn auf Gut Frankenforst in Königswinter-Vinxel. Anhand von Sensoren sollen objektive Daten über das Wohlbefinden der Tiere bei unterschiedlichen Stallaufbauten gesammelt werden. Aus den Ergebnissen wollen die Wissenschaftler eine Software zur Planung und Bewertung unterschiedlicher Haltungsstrategien und den optimalen Stallaufbau entwickeln – für mehr „Kuhkomfort“.

„Wir machen hier alles, was nicht in den Ställen der praktischen Landwirte durchgeführt werden kann“, erklärt Professor Karl Schellander, Leiter der Lehr- und Forschungsstation Frankenforst. Mehr als 65 Milchkühe und 70 Jungtiere sowie Schafe, Hühner und Schweine leben auf dem 900 Jahre alten Hofareal, das die Universität seit 1930 zu Forschungszwecken nutzt.

Methoden aus dem Pferdesport

Die Versuchsställe sind technisiert und lassen sich flexibel umbauen, um verschiedene Haltungsformen zu testen. Wiegtröge dokumentieren die Menge an Futter und Wasser, die die Tiere täglich zu sich nehmen, gleichzeitig wird die abgegebene Milchmenge verglichen. Aus den Daten haben die Forscher ein Kuhtagebuch zusammengestellt: Demnach verbringen Kühe fast Dreiviertel des Tages in ihrer Liegebox, die restliche Zeit nutzen sie zur Nahrungsaufnahme oder Bewegung. Im Schnitt legt eine Kuh so pro Tag 879 Meter in ihrem Stall zurück. Dabei liegt ihr Puls durchschnittlich in einem Bereich von 75 bis 87 Schlägen pro Minute.

Entscheidend für die Wissenschaftler sei jedoch die Herzfrequenzvariabilität, erklärt Dr. Ute Müller vom Institut für Tierwissenschaften – also ob das Tier mit einer erhöhten Pulsfrequenz auf Veränderungen im Stall gestresst oder entspannt mit Normalpuls reagiert. Die Veränderung der Herzfrequenz ist eine Methode, die Müller und ihr Team aus dem Pferdesport übernommen haben.

Seit Frühsommer 2015 läuft das Projekt der Uni in Kooperation mit dem Wirtschaftspartner GEA Farm Technologies und dem Bundeslandwirtschaftsministerium – mit ersten Ergebnissen: „Wir haben beispielsweise herausgefunden, dass sich die Tiere sehr wohl an Haltungsveränderungen anpassen können, ohne dass die Leistung abnimmt“, so Müller.

Solche wissenschaftlichen Forschungsergebnisse will das neue Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) in Bonn künftig besser verbreiten – zum einen an die Landwirte zur Weiterbildung und Verbesserung ihrer Höfe, aber auch an die Konsumenten.

Kontakt zur Landwirtschaft geht verloren

„Das Tierwohl ist ein Thema, das Verbraucher und Landwirte betrifft und beschäftigt“, sagt Dr. Hanns-Christoph Eiden, Präsident der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Durch die Verstädterung gehe für viele Menschen jedoch der Kontakt zur Landwirtschaft verloren – und damit auch das Verständnis dafür, dass ein Agrarbetrieb als Unternehmen eben auch wirtschaftlich denken und arbeiten muss.

„Der Verbraucher wünscht sich immer Kühe auf der Weide“, sagt Dr. Kirsten Kemmerling vom BLE, die im Nebenerwerb einen Bauernhof in Much führt. Dabei liege die Lieblingstemperatur von Kühen gerade einmal bei sechs Grad. Bei sommerlichen Temperaturen ziehe es die Tiere daher in den kühlen Stall: „Genau das wissen viele Verbraucher nicht.“

Das neue BZL versteht sich daher als Kommunikationsplattform für Themen der Landwirtschaft, aber auch der Fischerei, Forstwirtschaft, Imkerei und des Gartenbaus. Seit Februar 2017 ist das BZL, als Zusammenschluss von zwei bisher separaten Abteilungen des BLE und des ehemaligen Informationsdiensts im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, nun in Bonn angesiedelt.

„Uns geht es darum, einen Dialog anzuregen“, sagt der Leiter des BZL, Dr. Matthias Nickel. Dazu bietet das Informationszentrum eine Onlinedatenbank, zum Beispiel zu den aktuellen Milchpreisen, sowie Publikation und Workshops an. „Es muss einen Mittelweg zwischen Bauernhof-Romantik und Skandalisierung geben“, so Nickel.

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