Juniorprofessur an der Uni Bonn Ulrike Saß ist Herkunft von Kunstwerken auf der Spur

Bonn · Ulrike Saß hat eine neu eingerichtete Juniorprofessur für Kunsthistorische Provenienzforschung an der Universität Bonn angenommen.

 Vom Büro aus hat Ulrike Saß direkten Blick aufs Münster. Derzeit pendelt sie zwischen Bonn und Hamburg – dort wohnt ihre Familie.

Vom Büro aus hat Ulrike Saß direkten Blick aufs Münster. Derzeit pendelt sie zwischen Bonn und Hamburg – dort wohnt ihre Familie.

Foto: Benjamin Westhoff

Gedanklich und arbeitsmäßig ist Ulrike Saß schon komplett in Bonn und an der Uni angekommen. Ihre Möbel und ein Großteil dessen, was die Menschen sonst so im Alltag umgibt, sind es hingegen nicht. Vieles befindet sich noch an ihrem alten und nun zweiten Wohnsitz in Hamburg, wo auch ihr Mann und ihre kleine Tochter leben. Entsprechend zurückhaltend ist das Büro der jungen Frau am Etscheidhof eingerichtet. Das Schild draußen neben der Tür strahlt in unberührtem Weiß. Drinnen sitzt Ulrike Saß gerade an dem von ihr gehaltenen Blockseminar „Akteure auf dem NS-Kunstmarkt“.

Die 35-Jährige hat zum Sommersemester eine neu eingerichtete Juniorprofessur für Kunsthistorische Provenienzforschung an der Uni Bonn angenommen. Ihre wissenschaftliche Disziplin untersucht, woher Bilder und andere Kulturgüter stammen, bevor Geschichte, Krieg und Politik diese Kunstwerke – oft mit Gewalt – raubten. Dieses Thema ist ein besonders wichtiges gerade für Deutschland, das in Sachen Kunstraub vor allem Täter und später zum Teil auch selbst geschädigt wurde. Die Nazis raubten Kulturgüter aus ganz Europa zusammen, deportierten und ermordeten die jüdischen Eigentümer vieler Kunstwerke. Später, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bediente sich manches siegreiche Heer in deutschen Museen.

Im Blockseminar der neuen Junior-Professorin lernen die Bachelorstudenten viele verschiedene Mitspieler des Kunstmarkts während der NS-Zeit kennen. „Es geht um Kunsthändler, Sammler, Museumspersonal und Parteifunktionäre“, erklärt Saß. Dabei ist ihr wichtig zu zeigen, wie das System die Biografien der Menschen verändern kann. Sie möchte unter anderem mit einem Vorurteil aufräumen: „Es hält sich die Ansicht, dass Menschen, die mit Kunst zu tun haben, automatisch moralisch höher stehen als andere. Der Blick auf die Zeit von 1933 bis 1945 macht ganz klar: Das ist nicht so. Viele waren in erster Linie Händler, denen nichts an moralischen Kategorien lag.“

In Hamburg wohnen, in Bonn arbeiten: „In Familien mit zwei Kunsthistorikern keine Seltenheit“

Diesem Thema ist die gebürtige Chemnitzerin auch in ihrer Dissertation nachgegangen. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte in Leipzig erhielt sie ein Promotionsstipendium vom Land Sachsen, das sie zum Forschen am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München berechtigte. Das ist eine Auszeichnung für besonders erfolgreiche Absolventen. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie die Biografie des Kunsthändlers Wilhelm Grosshennig. Er betrieb von 1913 bis 1951 die Galerie Gerstenberger in Saß' Heimatstadt Chemnitz, bis er die DDR in Richtung Westdeutschland verließ.

„Ob er wirklich geflohen ist oder einfach die Grenze passieren konnte, wissen wir heute nicht mehr“, sagt die Wissenschaftlerin. Dafür aber das: Grosshennig habe während der NS-Zeit Netzwerke und Kontakte geknüpft, die er auch anschließend gut habe nutzen können. „Er fuhr während des Nazi-Regimes in die besetzten Länder Frankreich und Niederlande und kam mit vielen, auch von jüdischen Besitzern enteigneten, Kunstwerken zurück“, so die Expertin.

Nach seinem Weggang aus der DDR eröffnete Grosshennig 1951 eine Galerie in Düsseldorf. Auch diese Geschäfte hat Saß für ihre Doktorarbeit beleuchtet: „Dort hat er dann außer mit Werken aus dem 19. Jahrhundert auch mit Bildern der Klassischen Moderne gehandelt. Letztere hat er vor allem an deutsche Museen verkauft. Denn in den dortigen Beständen gab es große Lücken in der Klassischen Moderne, weil die Werke während der NS-Zeit als “entartete Kunst„ angesehen worden und beschlagnahmt worden waren.“

Während Saß in München forschte, lernte sie dort ihren späteren Mann, ebenfalls Kunsthistoriker, kennen. Gemeinsam zogen sie nach Hamburg, weil er dort eine feste Stelle hatte. Sie arbeitete nach der Verteidigung ihrer Doktorarbeit unter anderem in der Kunsthalle der Hansestadt. In Hamburg kam im Juli 2017 die gemeinsame Tochter zur Welt.

Zu der Zeit war das langwierige Bewerbungsverfahren für die auf drei Jahre befristete Bonner Juniorprofessur bereits abgeschlossen. Nach vielen Auswahlgesprächen und Gutachten hatte Saß das Rennen gemacht. Nun pendelt sie zwischen Rhein und Elbe hin und her. „Das ist in Familien mit zwei Kunsthistorikern keine Seltenheit“, sagt die 35-Jährige.

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