Universität Bonn Bonner Exzellenzforschung hat Marktversagen im Fokus

Bonn · Ökonomen fragen im Bonner Exzellenzcluster ECONtribute, wann und wie politische Mandatsträger lenkend eingreifen müssen. Wie lässt sich ein Marktversagen in der Wirtschaft erklären?

 Die „Wirtschaftsweise“ Professorin Isabel Schnabel ist sich sicher: „Kein vernünftiger Ökonom würde heute noch das Lied einer völlig freien Marktwirtschaft singen.“

Die „Wirtschaftsweise“ Professorin Isabel Schnabel ist sich sicher: „Kein vernünftiger Ökonom würde heute noch das Lied einer völlig freien Marktwirtschaft singen.“

Foto: Martin Wein

Der Weg hinauf zur Bonner Wirtschaftsweisen, Professorin Isabel Schnabel, führt durch den wenig ansehnlichen Haupteingang ins Juridicum, dann scharf rechts bis ans Ende des Ganges und eine düstere Treppe hinauf in den ersten Stock. Man klingelt an einer unscheinbaren Tür und findet sich dahinter in einer umgebauten Wohnung wieder. Hier hat das Institut für Finanzmarktökonomie und Statistik der Bonner Universität seinen ziemlich unspektakulären Sitz. „Unsere Finance-WG“ nennt es Schnabel liebevoll. Und ergänzt: Auch in Harvard oder Berkeley residierten Wirtschaftswissenschaftler nicht luxuriöser.

Dabei steht Schnabel und ihren Kollegen in den kommenden sieben Jahren ein Geldregen von schätzungsweise 30 Millionen Euro ins Haus – für das bundesweit einzige wirtschaftswissenschaftliche Exzellenzcluster ECONtribute gemeinsam mit der Universität Köln. Die Bäume werden damit allerdings nicht in den Himmel wachsen, betont die Cluster-Sprecherin. Einerseits wurde das beantragte Budget aufgrund der großen Zahl genehmigter Vorhaben um rund ein Viertel gekürzt. Andererseits wird ein Großteil des Geldes in kluge Köpfe fließen, die die Unis auf dem internationalen Wissenschaftsmarkt in den USA anwerben wollen. Vier neue W3-Professuren, acht Junior-Professuren und zehn Doktoranden im Jahr sieht die ursprüngliche Planung vor – ein ordentlicher Zuwachs im Vergleich zum bisherigen Lehrkörper. „Was wir vor allem brauchen, sind die besten Forscher der Welt“, sagt Schnabel.

Bei vielen Problemen hat der Markt keine gescheite Lösung hervorgebracht

Schließlich haben die Ökonomen mit ECONtribute eine Fragestellung von gesellschaftlich höchster Brisanz geschultert. Die Finanzmarktkrise von 2008 und die weiterhin ungelöste Frage der ausufernden Staatsverschuldung, das schleppende Umsteuern im Klimaschutz, die zögerliche Reaktion auf den Betrug der Automobilindustrie bei Diesel-Fahrzeugen oder die sich verfestigende Ungleichheit in der Vermögensverteilung – Schnabel nennt viele Beispiele, in denen der freie Markt keine gesellschaftlich gewünschte Lösung entwickelt hat. „Kein vernünftiger Ökonom würde heute noch das Lied einer völlig freien Marktwirtschaft singen“, sagt sie.

Wie aber lässt sich ein solches Marktversagen erklären? Und wann und wie können und müssen politische Mandatsträger lenkend eingreifen? Diesen Fragen wollen die Cluster-Mitglieder nachgehen. Die Ökonomen haben dazu Sachverstand aus benachbarten Disziplinen wie der Rechts- und Politikwissenschaft sowie der Psychologie und Neurowissenschaft hinzugeholt.

Organisatorisch soll das jüngst gegründete Reinhard-Selten-Institut den Kern und das Aushängeschild von ECONtribute bilden. Beteiligt sind neben den Universitäten aber auch das 2016 in Bonn entstandene Briq-Institut für Verhalten und Ungleichheit und das Bonner Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Was genau im Cluster untersucht werden wird, lässt sich im Vorfeld noch kaum vorhersagen. Aber es gibt Beispiele, wohin die Reise gehen könnte.

Staus: „Eine riesige Ressourcenverschwendung“

So stellten die Kölner Professoren Peter Cramton und Axel Ockenfels im Sommer im Wissenschaftsmagazin „Nature“ ein Konzept vor, mit dem Staus – gesamtgesellschaftlich laut Schnabel „eine riesige Ressourcenverschwendung“ – der Vergangenheit angehören könnten. Sie denken an eine dynamische Gebühr für die Straßennutzung, die in Echtzeit und standortgenau auf das jeweilige Verkehrsaufkommen abgestimmt wird. Sie reagiert auch auf Faktoren wie Fahrzeugtyp und Abgaswerte. „Das Problem beim Verbrauch von Umweltgütern wie Luft, Wasser oder auch Straßenraum, ist, dass deren Kosten für die Gesellschaftdem Einzelnen nicht berechnet werden“, erklärt Schnabel. Mit einer Straßengebühr könnte der Staat das ändern – und zugleich die Umwelt entlasten.

Kritisch sieht sie in diesem Zusammenhang den Plan der Stadtwerke für ein testweises Klima-ticket für Neukunden zum Preis von 365 Euro. Um den Effekt einer solchen Maßnahme wissenschaftlich zu bewerten, müsse das Ticket an zufällig ausgewählte Bürger gratis verteilt werden. Zudem fehle eine entsprechende Kontrollgruppe ohne Gratis-Ticket.

Politikberatung wollen die Cluster-Mitglieder zwar nicht leisten. Aber mit einem Netzwerk in die Institutionen und zu Mandatsträgern sollen ihre Erkenntnisse doch schnelleren Eingang in politisches Handeln finden. Außerdem erhoffen die Forscher sich so Anregungen für gesellschaftlich relevante konkrete Forschungsfragen. Bonn sei als Standort für das Cluster ideal gesetzt, glaubt Schnabel. Schließlich ist die Stadt mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, dem Bundeskartellamt, der Bundesnetzagentur, der Monopolkommission und zahlreichen Nachhaltigkeits-Organisationen der Vereinten Nationen ein zentraler Ort für die Regulierung der Märkte in Deutschland – und Schnabel schon jetzt als „Wirtschaftsweise“ Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

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