Ein Rätsel aus vier Buchstaben Bonner Biochemikerin untersucht Bausteine der Erbinformationen

BONN · Für ihre Forschung zur Ribonukleinsäure erhält die Wissenschaftlerin Stephanie Kath-Schorr 800.000 Euro Förderung. Die konkrete Anwendung ist vielversprechend, aber noch Zukunftsmusik.

 Im Labor setzen Dr. Stephanie Kath-Schorr und ihre Forschungsgruppe die Bausteine der Ribonukleinsäure zusammen.

Im Labor setzen Dr. Stephanie Kath-Schorr und ihre Forschungsgruppe die Bausteine der Ribonukleinsäure zusammen.

Foto: Benjamin Westhoff

Hinten rechts in der Ecke, genau vor dem Fenster, steht sie – die Doppelhelix der DNA als tischgroßes Kunststoffmodell. Manche erinnert das an eine Wendeltreppe, andere an eine um die eigene Achse drehende Strickleiter. Für die Biochemikerin Dr. Stephanie Kath-Schorr vom LIMES-Institut der Universität Bonn ist die DNA vor allem ein Beispiel geradezu mustergültiger Ordnung. Bei ihrem eigenen Forschungsobjekt hingegen – der einsträngigen Ribonukleinsäure (RNA) – sieht die Sache schon anders aus. Denn just dieser Strang dreht sich, faltet sich und widerspricht dabei jeder laienhaften Ansicht, es handele sich hier um den weitaus weniger aufregenden Teil unserer Erbinformationen.

„Wie viele dieser Faltungen zufällig entstehen oder von Anfang an so geplant waren, auf welche Art sich die RNA im Zellkern formt und wie außerhalb, können wir heute noch nicht mit Bestimmtheit sagen“, sagt Kath-Schorr. „Das verstehen zu lernen, ist Stoff genug für eine spannende Zukunft“, ergänzt die 36-jährige Wissenschaftlerin.

Die gebürtige Frankfurterin hat an der Ruhr-Universität in Bochum Biochemie studiert, an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert und bekam am 16. Dezember 2006 ihren PhD in Organischer Chemie verliehen. Als Postdoktorandin forschte sie zwei Jahre an der University of Dundee und kam 2013 als Nachwuchsgruppenleiterin ans LIMES-Institut. Dort hat sie jetzt eine Förderung der Boehringer Ingelheim Stiftung über rund 800 000 Euro für die nächsten drei Jahre eingeworben. Zu dieser Gruppe gehören außer ihr zwei Doktoranden und zwei Studenten.

Ziel ist es, neue Methoden zu entwickeln, mit denen Faltung, Struktur, Lokalisierung und Transport spezifischer RNAs im Reagenzglas und im lebenden Organismus untersucht werden können. Doch zuvor nochmals zurück zur Basis, wo die Ribonukleinsäure – grob vereinfacht ausgedrückt – Abschnitte der DNA abliest, kopiert und Informationen weitertransportiert. Auf Grundlage dieser Anweisungen werden Proteine zusammengesetzt. Dazu müssen DNA und RNA dieselbe Sprache sprechen. Und die besteht aus vier Buchstaben: den organischen Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin (entspricht Uracil in RNA).

DNA und RNA müssen dieselbe Sprache sprechen

Eine Grafik auf dem Monitor in Kath-Schorrs Büro – direkt links neben der Doppelhelix am Fenster – zeigt, dass jedoch nur wenige Prozent der RNA-Abschnitte zur Bildung von Proteinen bestimmt sind. Mehr als 80 Prozent bestehen aus nicht kodierenden Sequenzen. Sie aber bloß als „Buchstabenmüll“ anzusehen, würde viel zu kurz greifen. „Das, so fügt Kath-Schorr hinzu „wäre ja pure Verschwendung. Und so etwas tut die Natur nicht.“

Um nun also beobachten zu können, was mit diesen Sequenzen geschieht und für welche biochemischen Prozesse sie verantwortlich sein könnten, möchte die Forscherin Markierungen in Form von Signalmolekülen anbringen. „Im Reagenzglas ist uns das bereits gelungen. Das beschränkt sich zunächst noch auf eher kurze Stücke“, berichtet Kath-Schorr aus dem Labor. „Die nächsten Schritte werden längere Abschnitte und die Forschung in menschlichen Zellen sein.“

Das bisher überschaubare Spektrum auf mehrere Hundert bis zu Tausenden Nukleotiden (die Bausteine in den Strängen der RNA und DNA) zu erweitern, ist also ein durchaus ambitioniertes Ziel. Doch Kath-Schorr betrachtet es mit Zuversicht: „Wir bauen ja schon auf der Forschung von fünf Jahren auf.“ Dabei wird ein erweitertes genetisches Alphabet eingesetzt. „Wir setzen selbst neue, künstliche Buchstaben in die RNA ein, um den Informationsfluss zu verfolgen. Diese neuen Buchstaben enthalten zum Beispiel Fluorophore, also bestimmte Moleküle, die dann im Reagenzglas oder in Zellen aufleuchten“, ergänzt Kath-Schorr. „Damit wollen wir RNA gezielt sichtbar machen, ihre Faltung und Lokalisation untersuchen und möglicherweise auch steuern.“

Das eröffnet neue Reaktionsmöglichkeiten und Prozesse. Ein vorstellbares Anwendungsgebiet der RNA in der medizinischen Forschung könnte im Transport und Prozessierung von eigens dazu eingeschleuster Informationen liegen. Gerade bei Autoimmunerkrankungen und in der Onkologie beginnen die auf molekularer Ebene entwickelten und wirkenden RNA-basierten Medikamente ihr Potenzial gerade erst zu entfalten. „Ein gezielter Einsatz ist“, so schließt Kath-Schorr, „heute noch ferne Zukunftsmusik“. Die ersten Noten dazu liefert die von manchen oft so leichtfertig unterschätzte Kette namens RNA.

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